Süddeutsche Zeitung

Volksheilige:Markus Söder und die wundersame Resl von Konnersreuth

Bayerns Ministerpräsident weiht ein Museum ein, das der umstrittenen Volksheiligen Therese Neumann gewidmet ist. Ihre Geschichte ist zu verblüffend, um wahr zu sein.

Von Sebastian Beck, Konnersreuth

Es ist kurz vor halb zehn Uhr am Morgen, als ein Raunen durch die Menge geht. "Er kommt!", ruft einer, "Strammstehen!" Da setzt auch schon der bayerische Defiliermarsch ein und Ministerpräsident Markus Söder grüßt sich durchs Empfangskomitee am Eingang zum Schafferhof. "Der 3. Juni wird in die Geschichte eingehen", verkündet Konnersreuths Bürgermeister Max Bindl ein paar Minuten später. Noch nie hat ein bayerischer Ministerpräsident der Marktgemeinde im nördlichsten Zipfel der Oberpfalz einen Besuch abgestattet.

Ein historischer Moment also für Konnersreuth, zu vergleichen vielleicht nur mit dem 22. September 1962, dem Tag, als Tausende durch den Ort zogen, um einer weltberühmten Frau das letzte Geleit zu geben. Vier Tage zuvor war Therese Neumann - besser bekannt als Resl von Konnersreuth - im Alter von 64 Jahren gestorben. Die Frau, die regelmäßig aus Wunden des gekreuzigten Heilands blutete und mehr als 30 Jahre lang nichts außer täglich eine Hostie verspeist haben soll, angeblich.

Auch an diesem Sonnentag stiehlt Resl Ministerpräsident Söder posthum ein wenig die Schau, denn nach vielen Jahren der Streitereien und Planungen kann Konnersreuth endlich das "Informations- und Begegnungszentrum Schafferhof" samt "Theres-Neumann-Museum" einweihen. Dabei hatten die Bürger 2014 noch mehrheitlich für den Abriss des denkmalgeschützten Anwesens gestimmt. Doch an diesem Festtag sind sich zumindest die Redner einig, es sei eine weise Entscheidung der Gemeinderats gewesen, das Votum zu ignorieren. Auf weitläufigen 500 Quadratmetern wird im mit Millionenaufwand renovierten Schafferhof nun sehr andächtig der Volksheiligen Resl gedacht. Unter den vielen Gegenständen aus ihrem Privatbesitz finden sich neben Briefen, Schuhen und Socken auch so schaurige Stücke wie der "Bestickte Stoffbeutel mit Blutkompresse von Theres Neumanns Herzwunde". "Eine schöne Ausstellung", "ein spiritueller Rundgang", befindet Söder, nachdem er in 15 Minuten durch die Räume geschleust wurde, wobei er eher mäßiges Interesse an Artefakten wie Resls weißer Haube bekundete.

Das mit der Spiritualität ist auch so eine Sache, denn die Zweifel an ihrem gutem Draht nach oben sind so alt wie die ersten Berichte über ihre freitäglichen Stigmata. Im Jahr 1926 zeigten sich an Therese Neumanns Körper erstmals die Wundmale des Gekreuzigten. Von da an durchlebte sie fast jeden Freitag - sichtbar qualvoll - das Leiden Christi. Nach den ersten Sensationsberichten standen freitags oft Tausende vor ihrem Elternhaus, um die Stigmatisierte zu sehen. Den Nazis missfiel diese Art der Verehrung sehr, und dass sie von da an in Konnersreuth keinen Fuß mehr auf den Boden brachten, führten sie nicht zuletzt auf den Einfluss der Familie Neumann zurück, die überdies den Hitlergruß verweigerte. "Auch wir haben einen Führer", rief Pfarrer Joseph Naber auf der Kanzel, "aber einen, der nicht kommt, um uns zu unterdrücken, sondern um uns zu lieben."

Auch der Publizist Fritz Gerlich (1883-1934), Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, ging zunächst von einem Schwindel aus. Um Therese Neumann zu entlarven, fuhr er von 1927 an mehrmals zu ihr. Er erlebte dabei die Visionen der Frau und sah die blutenden Stigmata. Neumann und ihre im Konnersreuther Kreis versammelten Anhänger ermunterten Gerlich zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Und Gerlich griff die Nazis in seiner Zeitschrift Der gerade Weg tatsächlich immer schärfer an. Überdies konvertierte er 1931 zum katholischen Glauben.

Gerlich wurde nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 9. März 1933 in den Redaktionsräumen von SA-Truppen überfallen, misshandelt und in "Schutzhaft" genommen. Im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhm-Putsch kam er ins KZ Dachau, wo er am 1. Juli 1934 ermordet wurde. Sein Beispiel zeigt auch, wie rätselhaft die Biografie eines Nazi-Gegners sein kann. Er war ein geachteter Publizist, ein mutiger Kämpfer, dem in der Ausstellung viel Platz eingeräumt wird. Wie viele andere kompromisslose Anhänger der Therese Neumann hat aber auch Gerlich mit seinem Verhalten bei Skeptikern Irritationen ausgelöst.

Der katholische Pfarrer Josef Hanauer, der sich mit den bizarren Geschehnissen bis ins Detail beschäftigt hatte, kam schon zehn Jahre nach ihrem Tode zum Schluss, dass Resl eine fromme Schwindlerin gewesen sei, eine "Pseudomystikerin": "Therese Neumann und ihr engster Kreis haben die Unwahrheit gesagt. Wenn nicht viele Leute in Konnersreuth diese Tatsache laut ausgesprochen haben, so ist das nur verständlich." So ist es in seinem Buch "Konnersreuth als Testfall" nachzulesen, das auch in der Mini-Bibliothek des neuen Museums steht. Eine Feststellung, die bis heute Gültigkeit behalten hat - jedenfalls für jene Menschen, die nicht an Stoffwechselwunder glauben.

Doch für rationale Erklärungen von Stigmata und jahrzehntelanger Nulldiät ist man in Konnersreuth eher unempfänglich. Solche Argumente kommen Stimmungskillern gleich, schließlich ist der Kult um die Resl seit fast hundert Jahren ein entscheidender Wirtschaftsfaktor der Gemeinde. Aber was auch immer es mit den Stigmata auf sich hat: Die Frau muss auf alle Fälle der Himmel geschickt haben. Inzwischen ist der ganze Ort geradezu verreselt. Ihre Gruft auf dem Friedhof von Konnersreuth ist schon längst zum internationalen Wallfahrtsort geworden, ebenso ihr Gartenhaus. Am Ortsrand steht seit 1963 das Anbetungskloster Theresianum mit angeschlossenem Seniorenheim, das auf Betreiben von Resl gegründet wurde. Ihr Geburtshaus am Therese-Neumann-Platz wird gerade renoviert und soll samt Sterbebett danach wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wem das alles noch nicht reicht, der kann auf dem "Waldbesinnungspfad Resl von Konnersreuth" 13 Stationen abwandern - und nun auch noch das Museum im Schafferhof besuchen.

Die einstündige Visite von Ministerpräsident Markus Söder ist noch einmal eine gewaltige Aufwertung für Konnersreuth - und zumindest eine kleine für ihn. Denn nach seinen Ausflügen in bundespolitische Höhen bemüht er sich seit Monaten in auffälliger Weise um Kontakt zum bayerischen Wahlvolk, bei dem er in Umfragen zuletzt ziemlich schlecht wegkam. Er lässt sich plötzlich an Orten blicken, an denen man ihn nie vermutet hätte - neulich verlieh er Kindern in einem Nürnberger Freibad das Seepferdchen. In Konnersreuth umschmeichelt Söder seine Zuhörer eingangs mit der Bemerkung, sein Besuch sei ein "Bekenntnis zum ländlichen Raum". Er sei der "tiefen Überzeugung", dass hier die "Seele Bayerns" liege. Das kommt an so einem Tag gut an, zumal er auch noch verkünden kann, dass er für das Projekt "ein bisschen mitverantwortlich" sei.

Allerdings ist da noch die Sache mit der Resl, die womöglich nicht überall im Lande gleich gut ankommt. "Ich weiß nicht, ob das alles stimmt", sagt Söder vorsichtshalber. Auf alle Fälle habe die Frau aber ein enormes Charisma gehabt und eine "tiefchristliche" Botschaft verbreitet. Nachdem er bekannt hat, dass der Glaube auch ihm selbst sehr viel Kraft gebe, zieht er eine Art Resümee: "Wer daran glaubt, soll daran glauben. Wer es nicht hören will, soll woanders hingehen."

Nach einer Stunde ist Söder schon wieder weg, zum Termin in Oberfranken. Zwei Stunden noch ziehen sich die Grußworte hin, wobei es viel um Fördertöpfe geht. Als Letzter tritt schließlich Monsignore Georg Schwager aus Regensburg ans Mikrofon. Man darf ihn als graue Eminenz bezeichnen, denn er trumpft nicht groß auf, obwohl er ein ganz Wichtiger ist: Schwager leitet im Bistum die Abteilung für Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Und die Anhänger der Resl warten mit Ungeduld darauf, dass in der Causa etwas voran geht, seit 2005 der damalige Bischof Gerhard Ludwig Müller das Seligsprechungsverfahren eingeleitet hat. An jedem 18. Tag des Monats, Resl Todestag, beten sie in Konnersreuth um die Seligsprechung. Bisher allerdings mit mäßigem Erfolg. Schwager spricht mit leiser, hoher Stimme, tiefste Anerkennung, großartiges Ereignis. Er verrät nur so viel: Es seien "diözesane Untersuchungen und religiöse Forschungen" im Gange. Er hoffe, "zu gegebener Zeit" das Ergebnis an die Heiligsprechungsbehörde im Vatikan übergeben zu können. Wie man die katholische Kirche so kennt, kann das dauern. Fünf Jahre, zehn Jahre, hundert Jahre.

Den Verehrern der Resl dürfte das egal sein: Sie haben sie längst schon heilig gesprochen.

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