Süddeutsche Zeitung

Regierungserklärung:Söders neu entdeckte Liebe für das Wörtchen "wir"

  • In seiner dritten Regierungserklärung binnen eines Jahres schlägt Ministerpräsident Söder moderate Töne an: Gemeinsam mit den Freien Wählern wolle die CSU in Harmonie regieren.
  • Söder präsentiert seine Rede als Destillat des Koalitionsvertrags (hier nochmal die Vorhaben von Schwarz-Orange).
  • In der anschließenden Aussprache im bayerischen Landtag geht es zur Sache - die Opposition greift die Regierung bei mehreren Themen an.

Von Wolfgang Wittl

Alle Bürger sollen sich in Bayern gut aufgehoben fühlen, wünscht sich Markus Söder. Ein Ministerpräsident für alle wolle er sein. Es dauert fast eine Stunde, bis sich das selbst formulierte Ziel auch im Applaus niederschlägt. Söder spricht über den Kampf gegen Fluchtursachen. Seine erste große Auslandsreise nächstes Jahr werde ihn daher nach Afrika führen. Da unterbricht ihn lautes Lachen aus dem AfD-Block. "Außenminister", spottet der Abgeordnete Martin Böhm. "Lächerlich", ruft ein anderer. Söder wartet ab, seinen Konter setzt er für seine Verhältnisse in Zeitlupe: "Sie-ha-ben-nichts-ge-lernt." Es ist der einzige Moment, in dem er den Beifall aller Abgeordneter im Parlament bekommt - mit Ausnahme der AfD natürlich.

Söder hält am Dienstag seine dritte Regierungserklärung in nur acht Monaten. Seine erste im April, als er die Zuhörer mit hundert Einzelprojekten erschlug, war eine klassische Höher-Schneller-Weiter-Rede. Seine zweite kurz vor der Landtagswahl war ein Wir-haben-doch-auch-vieles-richtig-gemacht-Plädoyer. Und jetzt? Wie wird er bei der Premiere als Chef einer Koalition sprechen? "Bayern ist es wert", hat Söder seine Regierungserklärung überschrieben. Die erste Rede des Ministerpräsidenten setzt traditionell den Ton für die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament. Söder zerfließt nicht bei jedem Satz in Demut ("wir sind also einzigartig"), er vermeidet aber auch Sticheleien. Weniger gegeneinander, mehr miteinander, so könnte sein Vorsatz aussehen - und trotzdem stellt er das eigene Regierungshandeln ins Schaufenster. "Probleme sachlich zu lösen, statt ständig zu streiten, die Gegenwart zu verbessern und gleichzeitig vorausschauend die Zukunft zu planen." Diesen Stil wolle die Koalition aus CSU und Freien Wählern pflegen.

Söder präsentiert seine Rede als Destillat des Koalitionsvertrags, mit einer neu entdeckten Liebe für das Wörtchen "wir". 18 von 19 Punkten sind damit überschrieben. "Wir stehen für" (Stabilität), "Wir kümmern uns" (medizinische Versorgung), "Wir schützen" (Klima), "Wir schaffen" (bezahlbaren Wohnraum), "Wir gestalten" (Energiewende, digitalen Aufbruch), "Wir investieren" (Wissenschaft, Forschung), "Wir wollen" (sicheres Bayern) - und noch vieles mehr. Der Aufbau der Rede zeigt, wie Söder seine Prioritäten und die Koordinaten der CSU inzwischen verschoben hat. Er beginnt mit einem "menschlichen Bayern", mit Familienförderung und Umweltschutz. Erst auf Seite 19 von 23 erwähnt er innere Sicherheit und Migration.

Am 19. Januar will Söder als Nachfolger von Horst Seehofer zum CSU-Chef gewählt werden, ein paar bundespolitische Signale sendet er bereits vom bayerischen Landtag aus. Er wolle den Föderalismus in Deutschland stärken und deshalb die Südschiene mit (dem grün regierten) Baden-Württemberg neu beleben. Für den Bau von Gaskraftwerken fordert er vom Bund mehr Unterstützung, Bayern müsse mehr eigenen Strom erzeugen. Klar sei aber auch: "Versorgungssicherheit und Preisstabilität sind dabei oberstes Gebot." Hubert Aiwanger, der als Wirtschaftsminister für dieses Thema zuständig ist, bewegt begleitend dazu den Mund, als wolle er jetzt selbst mitsprechen. Doch der Freie-Wähler-Chef muss am Dienstag schweigen, das Wort haben Söder und die Fraktionen.

Immer wieder nennt Söder Summen, die für die einzelnen Projekte anfallen. Eine Milliarde Euro jährlich für Familien, mehr als zwei Milliarden in den nächsten Jahren für medizinische Versorgung im ländlichen Raum, fast eine Milliarde jährlich für sozialen Wohnungsbau, 400 Millionen für Luftreinhaltung, vier Milliarden für Universitäten und Hochschulen. Finanzminister Albert Füracker, dem eine höhere Ausgabendisziplin nachgesagt wird als den investitionsfreudigen Partnern Söder und Aiwanger, tippt währenddessen eifrig ins Handy. Oder ist es ein Taschenrechner? Als Söder eine solide Haushaltspolitik und Schuldenabbau verspricht, wedelt Füracker plötzlich mit den Händen. Es ist die unverhohlene Aufforderung an seine Fraktion, doch bitte zu klatschen.

So sehr Söder an seinem Wandel zum soliden Landesvater arbeitet, so treu bleiben sich die folgenden Redner. Oppositionsführerin Katharina Schulze (Grüne) wirft der Regierung Mut- und Ideenlosigkeit vor. "Sie bleiben Antworten auf wichtige Fragen schuldig", ruft sie Söder zu. "Ich verstehe nicht, warum Ihnen der Abstand der Windräder wichtiger ist als der Anstieg des Meeresspiegels." Kein Wort zu einem höheren Frauenanteil in der Politik habe Söder gesagt, kein Wort zur Armut in Bayern.

Fehlender Mut? Man könne "nicht einfach" loslegen und "schauen, was passiert. Wir machen eine verantwortungsvolle Politik", entgegnet CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer. Er arbeitet sich am Dienstag nicht zum ersten Mal an den Grünen ab, hält ihnen etwa "Verbotspolitik" vor. Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler, nutzt seine Rede zur Versöhnung mit seinem Parteichef. Vor Tagen hatte er ihn gerüffelt, dass Aiwanger noch nicht in sein Regierungsamt gefunden habe. Nun sagt Streibl: "Ich möchte dir, lieber Hubert, danken, dass du unsere Themen eingebracht hast." Immerhin: Aiwanger lächelt.

Das Grinsen verschwindet aber schnell, als Katrin Ebner-Steiner ans Pult tritt, die Fraktionschefin der AfD. Sie liest ihre Rede ab, Missverständnisse will sie offenbar ausschließen. Das Geld, das Söder mit der Gießkanne verteile, sei "geraubtes Geld der Bürger". Es gehe Söder "nicht ums Klima, sondern um Sozialismus". Migration werde "rechtswidrig legalisiert", "das bayerische Volk einmal mehr im Stich gelassen". Es ist der Moment, in dem Söder den nächsten Redner mit Gesten bittet, auf Ebner-Steiner zu antworten. SPD-Fraktionschef Horst Arnold hilft gerne aus, wie auch FDP-Mann Martin Hagen. Doch auch für die Regierung haben sie Kritik mitgebracht. Der Ministerpräsident sei ein "Verpackungskünstler", findet Arnold. Und Hagen klagt, die Wirtschaft hätte dringend ein Update gebraucht: "Bekommen hat sie Hubert Aiwanger."

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SZ vom 12.12.2018/infu
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