Skisportort Bayrischzell:Was vom Winter bleibt

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Bayrischzell ist ein hübscher Ort mit vielen alten Bauernhäusern. (Foto: af)

Studien sagen bayerischen Skigebieten schlechte Zeiten voraus. Skiorte wie Bayrischzell am Sudelfeld müssten umdenken. Doch wie bereitet sich ein Wintersportort auf eine Zukunft ohne Schnee vor? Ein Besuch.

Von Anna Fischhaber, Bayrischzell

Plötzlich wirbelt eine Schneewolke auf. Ein einsamer Skifahrer schraubt sich Kurve um Kurve durch das makellose Weiß, die Piste glitzert in der Sonne. Perfektes Skiwetter. Zumindest im Film. Vor der Skischule steht eine Gruppe Touristen aus Brandenburg und blickt missmutig auf den Bildschirm im Schaufenster und hoch zum grauen Himmel.

Über Nacht hat es auch in Bayrischzell geschneit. Ein bisschen zumindest. Eine feine Puderschicht bedeckt das Dach der Skischule, doch auf den Straßen hat sich der Schnee längst in grauen Matsch verwandelt. "Wir haben schon im September gebucht, da konnten wir ja nicht ahnen, dass es hier auch nicht richtig Winter wird", sagt eine der Frauen. "Wir kommen definitiv nicht wieder", sagt ihr Mann und packt seine Skibrille wieder in den Rucksack.

Bayrischzell sieht aus, wie man sich in Brandenburg ein bayerisches Bergidyll vorstellt. Kein Neubau verschandelt den Ortskern, stattdessen herausgeputzte Bauernhöfe mit Holzbalkonen, dazwischen knorrige Bäume, ein klarer Bach, dahinter die Berge. Nur 1600 Menschen leben hier, und doch gibt es alles, was es braucht: einen Supermarkt, Bäcker, Ärzte.

Skifahren in Bayern
:"Bis 2050 werden wir nur noch die Zugspitze haben"

Geograf Jürgen Schmude hat den Einfluss des Klimawandels auf den Wintersport untersucht. Ergebnis: Skigebiete müssen künftig auf weiße Ostern setzen. Und im bayerischen Alpenraum wird Skifahren in Zukunft kaum mehr möglich sein.

Von Anna Fischhaber

Natürlich verdienen sie ihr Geld nicht nur mit den Bayrischzellern. Der Ort hat so viele Betten für Touristen wie Einwohner. Aus München und Rosenheim reisen außerdem Tagesausflügler zum Skifahren an, weil das Sudelfeld so nah, so billig ist. Und dieses Wintersportparadies soll plötzlich ein Krisengebiet sein?

Studien zufolge sieht es für Skigebiete in den bayerischen Alpen schlecht aus. Nur 50 bis 70 Prozent seien in 20 Jahren noch schneesicher. Selbst Schneekanonen könnten die Skigebiete nicht retten. Tourismusforscher Jürgen Schmude von der Ludwig-Maximilians-Universität in München formuliert es drastisch: "Bis 2050 werden wir nur noch die Zugspitze haben." In Skigebieten wie dem Sudelfeld lohne sich nur noch eine Investitionsrunde in Schneekanonen und Lifte. 15 bis 20 Jahre sollen die laufen, dann zwinge der Klimawandel zum Umdenken. Konzepte müssten her. Jetzt.

"Klimaerwärmung ist totaler Käse"

"Das mit der Klimaerwärmung ist totaler Käse", sagt Markus Büchl, braungebrannt, sportlich, breites Lachen. Büchl ist Skilehrer. Gerade hat er die Skischule Sudelfeld mit dem Bildschirm im Schaufenster übernommen. Existenzängste hat er nicht. Schnee werde es hier auch weiterhin geben, sagt Büchl. Mal mehr, mal weniger. So sei das eben mit der Natur. So genau könne die Temperaturen doch sowieso niemand voraussagen, sagt die Frau im Tourismusamt Bayrischzell. "Vielleicht kommt auch eine Eiszeit."

Im Rathaus wollen die Mitarbeiter am liebsten gar nicht mehr über das Thema reden. "Ich kann es nicht mehr hören, dass es keinen Schnee mehr geben soll", sagt Bürgermeister Helmut Limbrunner genervt. In Bayrischzell denken viele so: Das Problem ist nicht der Klimawandel, das Problem sind die Forscher, die Journalisten, die Umweltschützer. Kaum ist der Winter mal nicht perfekt, kommen sie und stellen Fragen. Fragen nach Alternativen zum Wintersport. Nach Konzepten für die Zukunft.

In Bayrischzell macht man sich derzeit vor allem Sorgen über die nächsten Tage. Die Herren von der FIS werden erwartet. Zum ersten Mal in der 18-jährigen Geschichte des Snowboard FIS Weltcups soll ein Weltcup-Finale auf deutschem Boden stattfinden. 50 Minuten will das Fernsehen live übertragen, 50 Minuten Werbung für Bayrischzell und das Skigebiet. Doch noch ist nicht entschieden, ob der Wettkampf Anfang Februar wirklich stattfinden kann. Noch ist es zu warm für Kunstschnee. Künftig soll sich das ändern: Am Sudelfeld soll Bayerns größter Beschneiungssee entstehen, um bei höheren Temperaturen flächendeckend Schnee für die ganze Saison zu produzieren.

Der Wendelstein oberhalb von Bayrischzell. Viel Schnee liegt derzeit nicht (Archivbild von Anfang Januar). (Foto: dpa)

"15.000 m² Wahnsinn", pinselte die Umweltverband Mountain Wilderness mit blauer Farbe in den Schnee. Der Bund Naturschutz kritisierte: Statt in Nachhaltigkeit zu investieren, werde in Touristenorten aufgerüstet. Selbst Tourismusforscher Schmude, der ausgerechnet hat, dass sich die Investition lohnt, sagt: "Wir haben das rein ökonomisch betrachtet, nicht ökologisch." Darüber müsse man separat diskutieren.

"Wir wollen unsere Heimat nicht zerstören", verteidigt Egid Stadler das Projekt. Der Almbauer hat vor 40 Jahren als Einsteighelfer bei den Bergbahnen am Sudelfeld angefangen, hat sich hochgearbeitet zum Kassierer, zum Pistenchef. Inzwischen ist der kleine Mann mit den roten Wangen Geschäftsführer. Früher habe es auch schlechte Winter gegeben, aber dann habe nirgends Schnee gelegen, erzählt Stadler. In Bayrischzell nicht und in den anderen Skigebieten auch nicht. "Dann begann das Wettrüsten." Selbst am benachbarten Spitzingsee haben sie inzwischen eine moderne Beschneiung.

Am Sudelfeld machen die Bergbahnen im Winter 80 Prozent der Umsätze mit den Tagesgästen. Doch wenn wie jetzt nur wenige der 19 Lifte geöffnet sind und die Webcam grüne Flecken auf der Piste zeigt, fahren die Touristen eben zum Spitzingsee. Oder gleich nach Österreich. "Wir wollen ja nicht beschneien, um des Beschneiens willen. Wir wollen in die Lifte investieren, auch für den Sommer", sagt Stadler. "Um das zu finanzieren, brauchen wir eine schneesichere Wintersaison."

Wer mit dem einzigen Lift von Bayrischzell ins Obere Sudelfeld fährt, versteht, was der Mann meint. Fast eine Viertelstunde rattert der Schwebelift aus den sechziger Jahren nach oben, der Sitz ist gefroren, nur eine alte Matte schützt gegen die Kälte. Oben gibt es zahlreiche Schlepplifte, die im Sommer stillstehen. Doch eine Gondel und neue Sessellifte kosten etwa 30 Millionen Euro. Mit 400.000 Euro sind die Bergbahnen bereits in Vorleistung gegangen - sogar ein Unternehmensberater aus der Schweiz wurde beauftragt. Die Studie von Wissenschaftler Schmude hat ergeben, dass sich die Investition lohnt. Einmal zumindest noch. Die Frage ist nur: Was kommt danach?

Nostalgisches Vergnügen: Der Schwebelift in Bayrischzell stammt noch aus sechziger Jahren. (Foto: af)

"Vogel-Strauß-Politik", nennt Schmude das, was Bayrischzell und andere Wintersportorte in Bayern derzeit betreiben. "Sie setzen auf tagespolitische Erfolge, auf technische Lösungen statt auf nachhaltige Konzepte." Spricht man mit Bergbahnen-Geschäftsführer Stadler, kann man das ein wenig verstehen. "Jeder redet immer von sanftem, nachhaltigen Tourismus, aber wie das gehen soll, kann mir keiner sagen." Er zuckt fragend mit den Schultern. Wandern könne man schließlich überall, so ein Skigebiet wie das Sudelfeld existiere dagegen nur einmal in Bayern. Und das müsse doch bewirtschaftet werden. Alternativen gibt es viele, sagt dagegen Wissenschaftler Schmude: Von Golf über Wellness bis hin zur Spezialisierung auf ältere Touristen.

Sucht man in Bayrischzell nach Alternativen, muss die Dame im Tourismusamt überlegen. Statt Schneeschuh- gibt es jetzt Winterwanderungen. Und dann ist da noch der Parkplatz, auf dem man Schlittschuhlaufen kann. Wirklich unabhängig vom Schnee ist eigentlich nur der Tannerhof. Ein Bauernhaus, ein Anbau aus Glas und hellem Holz. Einige Mitarbeiter tragen Arztkittel, die Gäste können zwischen Yogakursen, Ayurvedakuren und Ernährungsseminaren wählen. Eine Revolution? Ein Umbau. Der Tannerhof war 100 Jahre ein Sanatorium, vor zwei Jahren feierte er Wiedereröffnung. Als Biohotel.

Aber ist das ein Konzept für einen ganzen Ort? Die Touristen aus Brandenburg wirken nicht so, als würden sie großen Wert auf Ernährung legen. Mit Weißbier und Schnaps haben sie es sich inzwischen in einer Bar an der menschenleeren Piste gemütlich gemacht. "So schlecht ist der Schnee für Anfänger gar nicht", sagt der Mann nun ein wenig versöhnlicher. "Immerhin hat man den Berg für sich allein."

Mitarbeit: Thierry Backes

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