Katastrophenschutz in Bayern:Die nächste Flut kommt, aber kommt auch die Sirene?

Lesezeit: 3 min

Für den Ernstfall: Sirene auf dem Feuerwehrhaus in Ottobrunn. (Foto: Claus Schunk)

Die Landesregierung will die Zahl der Warnsirenen auf 26 000 verdoppeln, als Lehre aus dem Sturzregen vergangenes Jahr. Getan hat sich bisher: sehr wenig. Der Innenminister fordert mehr Geld vom Bund.

Von Johann Osel, München

Mehr Sirenen braucht das Land! Das war die Devise vergangenen Sommer. Nachdem über unzureichende Warnungen der Bürger bei den Naturkatastrophen in Westdeutschland diskutiert worden war, beschloss das bayerische Kabinett einen Sirenen-Wiederaufbau. Bis in die Neunzigerjahre hatte es deutschlandweit noch ein flächendeckend organisiertes Netz gegeben, nach Ende des Kalten Krieges waren die Anlagen vom Bund den Kommunen angeboten worden. Die Gefahr schien weit weg zu sein, Sirenen wurden immer öfter nicht mehr gewartet oder abmontiert, es folgte ein schleichender Abbau. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte im Juli jedenfalls an, Bayern wolle die Zahl der Sirenen auf etwa 26 000 verdoppeln - in Ergänzung zu digitalen Methoden. Man habe gemerkt, dass die analoge Warnung etwa mitten in der Nacht und unabhängig von Mobiltelefonen und Medien "das akustisch wichtigste Mittel" sei. Eine Frist für das Projekt nannte er nicht. Wohl aus gutem Grund.

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Was hat sich getan, ein gutes halbes Jahr später? Sehr wenig. Von größeren Aufbauten im Land kann das Innenministerium auf Anfrage der SZ nicht berichten, "wir rechnen mit einem mehrjährigen Prozess". Kernfrage ist: Wer zahlt's? Ein kleines Förderprogramm des Freistaats wird laut Prognose des Ministeriums 2022 etwa 50 sogenannte mobile Sirenen fördern. Peanuts, angesichts der angestrebten Verdoppelung. Der Freistaat unterhält zudem ein Sonderförderprogramm Digitalfunk für Feuerwehren, dadurch könnten deren alte Sirenen flottgemacht werden, um dann auch allgemeine Warnsignale zu senden. Vor allem aber sieht die Staatsregierung jetzt den Bund in der Pflicht: Aus dessen laufendem Förderprogramm erhalte man 13,4 Millionen Euro; damit könnten "jedoch voraussichtlich gerade mal 1000 Sirenenanlagen neu errichtet werden". Herrmann verlangt eine Fortführung über 2022 hinaus und eine deutliche Aufstockung. Bayern benötige zur flächendeckenden Ausstattung zwischen 130 und 200 Millionen Euro, "also etwa das Zehnfache der uns bereitgestellten Summe".

Die Staatsregierung solle handeln, statt ständig nach Berlin um Hilfe zu rufen

Vor einer Anhörung im Landtag zum Katastrophenschutz kommt nun Kritik an den fehlenden Fortschritten auf. An diesem Mittwoch sprechen im Innenausschuss Experten etwa über die Anforderungen der Ausbildung und Ausrüstung - auch Sirenen werden Thema sein. "Der dringend benötigte Ausbau der Sirenen in Bayern wird seit Monaten angekündigt, aber passiert ist fast gar nichts", sagt Johannes Becher, Kommunalexperte der Grünen-Fraktion. "Statt ständig nach Berlin um Hilfe zu rufen, wäre es für die Staatsregierung höchste Zeit, selbst zu handeln." Von einem eigenen, größeren Landesprogramm, wie noch im Sommer, sei plötzlich nicht mehr die Rede. "Die nächste Katastrophe kommt bestimmt und in Zeiten des Klimawandels künftig wohl häufiger und heftiger." Auch der FDP-Abgeordnete Alexander Muthmann sagt: "Wir brauchen die gute, alte Warnsirene." Dass sich der Freistaat zurücklehne, sei nicht in Ordnung - es müsse eine gemeinsame Lösung von Land und Bund her, auf keinen Fall dürfe man jedoch das Thema "bei den Kommunen abladen".

Eben mit dieser Sorge hat sich kürzlich der Bayerische Gemeindetag laut Medienberichten zu Wort gemeldet. Eine komplett neue Sirene koste bis zu 25 000 Euro, die Kommunen müssten ohnehin immer zuzahlen, obwohl der Bevölkerungsschutz nicht ihre originäre Aufgabe sei, hieß es: "Viele Gemeinden empfinden es als eine Frechheit, dass sie nun die Versäumnisse von Bund und Freistaat aufarbeiten müssen." Die jetzt vorhandene Förderung - vom Bund, die vom Freistaat fällt kaum ins Gewicht - reiche bei weitem nicht. Die Bestandsschätzung vom Sommer zählte neben etwa 11 000 klassischen Sirenen in Kommunen auch besagte Feuerwehrsirenen, die gerade auf dem Land mitunter noch zur Alarmierung von Einsatzkräften dienen oder als Reserve, falls der "Piepser" streikt. Hinzu kommen 2500 Sirenen im Umfeld von kerntechnischen Anlagen oder Betrieben, die unter die sogenannte Störfallverordnung fallen. Als 2020 bei einem bundesweiten "Warn-Tag" auch in Bayern vielerorts die Sirenen stumm blieben, war das Thema schon mal auf die Agenda gekommen. Auch damals nach dem Flop tat sich nicht viel.

Wegen Konflikten mit Anwohnern gestaltet sich die Standortsuche oft schwierig

Weitere Probleme außer der Finanzierung, die aus Kommunen zu hören sind: schwierige Standortsuche und Konflikte mit Anwohnern. Niemand wolle, dass es nebenan heult, und sei es nur zur Probe. Oder knappe Verfügbarkeit von Sirenen auf dem Markt, wegen des überall gestiegenen Problembewusstseins - was wiederum zu längeren Wartezeiten führe. Beides erwähnt auch das Ministerium auf die SZ-Anfrage hin als Gründe, warum das Ziel der Verdoppelung nicht so schnell umzusetzen sei. Bei den Anbietern von Sirenenanlagen lägen sehr viele Nachfragen von Gemeinden aus ganz Deutschland vor, man gehe aber davon aus, dass die Hersteller "reagieren und die Kapazitäten ausweiten". Und: Den konkreten Standort für die Sirenen und bauliche Belange "können nur die Gemeinden festlegen, weshalb diese aufgerufen sind, sich mit ihrem individuellen Bedarf auseinanderzusetzen".

Bayern sitzt derzeit der Innenministerkonferenz vor, Joachim Herrmann will auch über diesen Weg die finanziellen Forderungen an den Bund "adressieren". Im Landtag in München dürfte indes weiterhin die Frage kommen, ob der Freistaat selbst genug tut.

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