Sicherungsverwahrung in Straubing:Mehrere Straftäter kommen wohl bald frei

Bezirkskrankenhaus Straubing (BKH)

Ein Straftäter ist bereits aus dem Bezirkskrankenhaus Straubing entlassen worden, weitere Freilassungen könnten folgen.

(Foto: Armin Weigel)

Die Gitter öffnen sich: In Straubing ist ein Sexualstraftäter entlassen worden. Die Stadt erwartet, dass einige gefährliche Kriminelle bald folgen - aufgrund einer neuen Rechtsauslegung des Bundesverfassungsgerichts.

Von Dietrich Mittler

Im Bezirkskrankenhaus Straubing ist am Dienstag erneut ein Straftäter entlassen worden, der gemäß den Vorgaben des Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) dort untergebracht war. Dieses Gesetz sieht vor, dass ehemals sicherungsverwahrte Straftäter auch weiterhin festgehalten werden dürfen, wenn sie infolge einer psychischen Störung mit "hoher Wahrscheinlichkeit" schwerwiegende Straftaten begehen. Der nun in Straubing auf freien Fuß gesetzte Mann - ein Sexualstraftäter - verdankt seine Freilassung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).

Die Stadt Straubing geht indes davon aus, dass der am Dienstag entlassene Mann nur die Vorhut darstellt, und dass an diesem Mittwoch die verbliebenen ThUG-Probanden das Bezirkskrankenhaus Straubing ebenfalls als freie Personen verlassen können - aufgrund einer neuen Rechtsauslegung des Bundesverfassungsgerichts. Wie das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) bestätigte, soll am Mittwoch "über die Fortdauer der Unterbringung von neun Personen" entschieden werden. Sieben dieser Männer waren in Straubing untergebracht worden, zwei in Erlangen.

"Der Entscheidungsspielraum, den das am 8. August veröffentlichte Urteil des Bundesverfassungsgerichts da lässt, ist denkbar gering", sagte der OLG-Richter Michael Hammer. Dies läuft - ohne dass Hammer dies so vorhersagen will - de facto auf weitere Entlassungen hinaus. Karlsruhe hat in seinem jüngsten Urteil die Kriterien für die Therapieunterbringung ehemals sicherungsverwahrter Straftäter verschärft. Demnach dürfen ThUG-Probanden nur noch dann festgehalten werden, "wenn das Vorliegen einer hochrangigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten festgestellt werden kann".

Bei den Verantwortlichen der Stadt Straubing ist die Verärgerung darüber mehr als spürbar - und ein Stück weit auch Resignation. "Für uns ist das eine höchst unerfreuliche Entwicklung", sagte Alois Lermer, der gerade vertretungsweise die Belange des Sicherheitsamtes vertritt. Die Stadt Straubing hatte vor dem Landgericht Regensburg versucht, die weitere Unterbringung der als hoch gefährlich eingestuften Straftäter durchzusetzen, wird nun allerdings vom neuen Urteil des Bundesverfassungsgerichts überrascht. "Da müssen wir nicht drumrumreden, das ist für uns nicht ganz glücklich", sagte Lermer. Natürlich sei das Urteil des Verfassungsgerichts zu beachten. Und nun müsse man wohl davon ausgehen, "dass das OLG Nürnberg sowie das Landgericht Regensburg in allen übrigen Fälle so entscheiden werden", wie es der BGH im Falle jenes Mannes getan habe, der am Dienstag entlassen wurde.

Ganz will die Stadt Straubing aber noch nicht aufgeben. Es gehe darum, "den entsprechenden Sicherheitsrahmen für die Bevölkerung herzustellen", sagte Lermer. Es werde nun geprüft, ob weitere Unterbringungsanträge gestellt werden können - begründet durch neue psychologische Gutachten über die tatsächliche Gefahr, die von den ThUG-Probanden ausgehen könnte. Bestätigt sieht sich indes der Münchner Strafverteidiger Adam Ahmed, der vier der sieben ThUG-Probanden in Straubing vertritt. "Das Bundesverfassungsgericht gibt meiner bisherigen Argumentation vor dem Landgericht Regensburg und dem OLG Nürnberg recht", sagte er. Insgesamt sei das Urteil aber auch "ein Erfolg für den Rechtsstaat". Für das Therapieunterbringungsgesetz gebe es nun faktisch keinen Anwendungsfall mehr.

"Das Gesetz läuft damit leer", sagte Ahmed. Er werde dennoch vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg ziehen, um das ThUG endgültig zu Fall zu bringen. "Das ThUG war von vornherein ein Schnellschuss, ein Schuss in den Ofen", ist sich Ahmed sicher. Das umstrittene Gesetz war Anfang 2011 in Kraft getreten. Es regelt die weitere Unterbringung von verurteilten Straftätern, die nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und einem daraus resultierenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr in Sicherungsverwahrung genommen werden dürfen. Zum Hintergrund: Der EGMR hatte es 2009 als Verstoß gegen die Menschenrechte erachtet, dass bei inhaftierten Straftätern in Deutschland nachträglich eine Sicherungsverwahrung angeordnet worden war.

"Möglicherweise ist das ThUG bald Rechtsgeschichte", sagt auch der Nürnberger OLG-Richter Michael Hammer. Was entlassene ThUG-Probanden betreffe, so stünden für sie nun Bewährungshelfer bereit. "Da wird sich gekümmert", sagt Hammer.

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