Sicherheit:Wenn die Angst mitfährt

  • Nach dem Attentat im Regionalzug macht die Bahn auf die zunehmende Gewalt gegen ihr Personal aufmerksam.
  • Gewerkschaft und Fahrgastverband fordern mehr Personal, Trainings und Sicherheitsvorkehrungen.
  • Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Körperverletzungen gegen Bahnmitarbeiter um 20 Prozent.

Von Maximilian Gerl, Gianna Niewel und Wolfgang Wittl

Nach dem Attentat in einer Regionalbahn bei Würzburg, bei dem ein 17-Jähriger mit einer Axt fünf Menschen teils schwer verletzt hat, wird der Ruf nach mehr Sicherheit im Bahnverkehr wieder laut. Denn immer wieder kommt es an Bahnsteigen oder in Zügen zu Gewalt.

Erst vor zwei Monaten erstach ein geistig verwirrter Mann in einer S-Bahn in Grafing bei München einen Fahrgast. Drei weitere verletzte er teils lebensgefährlich. Im Februar 2015 wurde ein Mann an einer U-Bahn-Station in Fürth getötet. Regelmäßig ist in Polizeiberichten von Vandalismus, Körperverletzungen und anderen Verbrechen im Bahnbereich die Rede.

Viele Zugreisende fühlen sich unsicher - laut Statistik zu Unrecht. In Bayern zählte das Landeskriminalamt für 2015 insgesamt 1790 Körperverletzungen im Öffentlichen Personennahverkehr. Das sind immerhin 48 Fälle weniger als im Vorjahr. Auch Innenminister Joachim Herrmann verweist darauf, dass die Gewalt in Zügen in den vergangenen zehn Jahren zurückgegangen sei.

Was dagegen deutlich zunimmt, ist die Gewalt gegen Schaffner und Lokführer. Laut eines Sicherheitsberichts der Deutschen Bahn kam es im vergangenen Jahr deutschlandweit zu 1800 Körperverletzungen gegen Bahnmitarbeiter. Das sind 20 Prozent mehr als 2014.

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG nimmt die Tat von Würzburg zum Anlass, auf das Gewaltproblem hinzuweisen. Besonders im Regionalverkehr nehme die Gewalt gegen Zugbegleiter zu, berichtet EVG-Sprecher Uwe Reitz: "Kolleginnen und Kollegen werden beleidigt, bespuckt, geschubst, geschlagen oder mit Flaschen beworfen."

Die Bahn müsse deshalb zukünftig auf gefährlichen Strecken zwei Schaffner einsetzen, damit sich diese notfalls gegenseitig helfen könnten. Außerdem müssten alle Zugbegleiter die Möglichkeit bekommen, an Deeskalationstrainings teilzunehmen: Einerseits, um problematische Situationen beruhigen zu können. Andererseits, um zu wissen, "wann der Punkt gekommen ist, um sich zurückzuziehen."

Bei der Deutschen Bahn ist man bemüht, die Sicherheitsdebatte klein zu halten. "Vor dem Hintergrund der terroristischen Bedrohung hat die DB die Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Polizei- und Sicherheitsbehörden schon seit langem intensiviert", erklärt das Unternehmen. Bundesweit seien 5000 Bundespolizisten und 3700 Sicherheitskräfte der Bahn in Zügen und an Bahnhöfen im Einsatz.

Insgesamt investiere die Bahn rund 160 Millionen jährlich in die Sicherheit. Aber: "Bei täglich 40 000 Zugfahrten und über sieben Millionen Reisenden allein in Deutschland kann trotz aller Anstrengungen niemand eine hundertprozentige Sicherheit garantieren." So sieht das auch Innenminister Herrmann: "Es wäre einfach unehrlich, Menschen vorzugaukeln, dass wir so eine Tat verhindern könnten." Und: "Axt und Messer sind Tatwaffen, die ich in einer Gesellschaft nicht eliminieren kann." Auch nicht in Zügen.

Rückendeckung bekommt die Deutsche Bahn auch vom Fahrgastverband Pro Bahn. "Solche Taten wird man nie ganz verhindern können", sagt Winfried Karg vom Landesverband Bayern: "Das hat nichts mit dem Verkehrsmittel Bahn zu tun, das ist ein gesellschaftliches Problem." Natürlich müsse in jedem Zug genug Personal vorhanden sein, Schaffner, die "Auskünfte geben, helfen, den Kinderwagen einzuladen und die ein bisschen nach dem Linken und dem Rechten sehen".

Zugbegleiter seien aber keine Bodyguards, die gefährliche Situationen lösen könnten und sollten. Mehr Sicherheit durch mehr Sicherheitspersonal ist für Karg der falsche Ansatz: Erstens könnten die Sicherheitskräfte nicht in jedem Waggon stehen und damit auch nicht sofort eingreifen, falls etwas geschehe. Zweitens lasse sich eine solche Personalaufstockung gar nicht finanzieren. Insgesamt sieht Karg die Bahn mit ihrer bisherigen Sicherheitsstrategie auf dem richtigen Weg.

Wenn es ernst wird, sind Reisende letztlich meist auf sich gestellt. Für heikle Situationen gibt es laut der Bundespolizei in München keine allgemeingültigen Regeln, weil jede Situation anders sei, weil Menschen unterschiedlich reagierten. Das oberste Gebot: Niemand sollte sich selbst in Gefahr bringen. Wird man angegangen, empfiehlt die Polizei, wenn möglich den Notruf zu wählen und Umstehende auf sich aufmerksam zu machen.

Wenn niemand reagiere, könne es helfen, gezielt Personen anzusprechen: "Sie mit dem weißen Hemd, helfen Sie mir." Umstehende Zeugen sollten ebenfalls den Notruf wählen. Sie sollten zeigen, dass sie die Situation erkannt haben, etwa durch laute Ausrufe wie "Lassen Sie die Frau in Ruhe" oder "Ich habe die Polizei gerufen".

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