Serie: Zum 20. Todestag von FJS:"Maßlos im Umgang mit Menschen"

Der ehemalige SPD-Chef Vogel erinnert sich an den Lieblingsfeind der Linken und sagt: Erst seine Gegner haben ihn groß gemacht.

Annette Ramelsberger

Es gab eine Sitzung im deutschen Bundestag, in der die Herren Franz Josef Strauß und Hans Jochen Vogel direkt aufeinander prallten. 1973 war das, die Zeit, als der RAF-Terrorismus in Deutschland gerade richtig Schwung holte. Da warf Strauß der linksliberalen Regierung vor, nicht genügend gegen den Terror der RAF zu tun.

Hans Jochen Vogel, dpa

Hans Jochen Vogel: "Strauß war wie ein 100-Megawatt-Kraftwerk mit Sicherungen für zwei bis drei Stall-Laternen."

(Foto: Foto: dpa)

Der damalige Bauminister Vogel antwortete für die Regierung und er holte zum Gegenangriff aus. Strauß sei oft das Alibi für die Extremisten gewesen, sagte Vogel, er habe Ihnen erst die Argumente geliefert, mit seinen Reden in Vilshofen und in Tuntenhausen. Und dann warf Minister Vogel dem CSU-Vorsitzenden Strauß einen Satz von bajuwarischer Wucht vor die Füße: "Herr Strauß, es gibt Feuerwehrleute, sagt man bei uns in Bayern, die zündeln, um dann zu zeigen, was sie für famose Feuerwehrleute sind."

Ein infamer Satz

Heute ist Hans Jochen Vogel 82 Jahre alt, Strauß wäre 92, wenn er noch leben würde. Milde ist der ehemalige SPD-Vorsitzende Vogel nicht geworden. Doch den alten Widersacher Strauß betrachtet er im Abstand von 20 Jahren mit einer geradezu akkuraten Sachlichkeit. Natürlich habe Strauß Großes für Bayern geleistet, habe die Bundesrepublik maßgeblich mitgestaltet. Aber, so sagt Vogel heute, "seine Selbstkontrolle war äußerst mangelhaft". So kann man es auch sagen.

Strauß war ein Mann, der kleine Polizisten zusammenstauchte, wenn sie nicht ihm, sondern einer Straßenbahn die Vorfahrt gaben. Der Kritiker "Ratten und Schmeißfliegen" nannte. Der dem politischen Gegner unterstellte, mit dem Kommunismus im Bunde zu sein.

Ein Mann, der stets kochte und zu oft versuchte, diese Hitze mit Alkohol zu löschen. "Strauß war wie ein 100-Megawatt-Kraftwerk mit Sicherungen für zwei bis drei Stall-Laternen", sagt Vogel. "Wenn er loslegte, kannte er keine Grenze mehr. Er war maßlos im Umgang mit Menschen."

Vor allem war er maßlos mit seinem politischen Erzfeind Willy Brandt. Dem unterstellte er indirekt, er habe in der Zeit seiner Emigration in Wirklichkeit gegen die Heimat gearbeitet. "Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht", fragte Strauß. "Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben." Es war ein infamer Satz. Strauß konnte reden wie kein zweiter, er konnte aber auch verletzen wie kein zweiter.

Und dann gab es den anderen Strauß. Der Mann, der in den Sechziger Jahren gemeinsam mit Vogel für die Olympischen Spiele kämpfte. Der als Finanzminister jede Mark locker machte für die Stadt München. Ein Mann, liebenswürdig und fast charmant. Ein Mann, der noch spät nachts bei Vogel anrief und sich bedankte.

Das war 1968, als Demonstranten in München die Auslieferung der Bild-Zeitung verhindern wollten und heftige Krawalle losbrachen. Damals war noch die kommunale Polizei zuständig und stellte die Auslieferung sicher. "Er hat sich fast überschwänglich bei mir bedankt", erinnert sich Vogel.

In seinen Memoiren "Die Amtskette" beschreibt Vogel diese eigenartige Straußsche Persönlichkeitsspaltung. Er habe den Eindruck gewonnen, "es gebe eigentlich zwei ganz verschiedene Personen des gleichen Namens. "Die eine klug, realistisch, von enormer Auffassungsgabe und unerschöpflicher Vitalität. Die andere ungezügelt, ja mitunter fanatisch, machtbesessen und in hohem Maße egozentrisch."

Und unberechenbar: Mal verkündete Strauß in Kreuth kurzerhand die Trennung von der CDU und musste diesen Beschluss nach wenigen Tagen wieder einsammeln. Mal fädelte er den Milliardenkredit für die DDR ein und vergrätzte damit die eigene Partei. Er stand Dutzende von Affären durch, von denen jede einzelne heute für einen Rücktritt reichen würde. "Einer wie Strauß wäre heute nicht mehr möglich", sagt Vogel. "Man kann daran auch erkennen, welche beachtliche Entwicklung die Demokratie seitdem genommen hat."

Doch Strauß wuchs auch durch seine Gegner. Mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel pflegte er eine Dauerfeindschaft - nachdem er wegen der Spiegel-Affäre zurücktreten musste umso mehr. Fast wöchentlich kamen neue Enthüllungen über Strauß heraus. Doch der Dauerbeschuss ging - zumindest in Bayern - nach hinten los. "Die Versuche, ihn zu verteufeln und als eine Art leibhaftigen Gottseibeiuns hinzustellen, haben ihm in Bayern zusätzliche emotionale Sympathien verschafft", sagt Vogel. "Den Nimbus, der ihn eine Zeitlang umgab, verdankt er im Grunde seinen Gegnern."

Postminister Strauß

Dabei war auch der große Strauß verwundbar. Als er 1962 über die Spiegel-Affäre gestürzt war und arg unter Macht-Entzugserscheinungen litt, ließ Strauß in seiner Not bei Vogel vorfühlen, ob die SPD auf Bundesebene an politischen Gesprächen mit der CSU interessiert sei. Strauß, so sagte der damalige Zweite Bürgermeister von München, Georg Brauchle, sei mit jedem Ministerium zufrieden, selbst mit dem Postministerium.

Vogel gab die Offerte an den SPD-Parteivorstand weiter. Der winkte ab. Strauß, so schrieb Vogel in seinen Memoiren, "musste noch bis zum Dezember 1966 auf ein neues Ministeramt warten". Auf den Kanzlersessel wartete er sein ganzes Leben vergebens.

Vielleicht ist Vogel doch ein bisschen milde geworden. Auf Strauß passe der altbayerische Ausdruck: "Hund samma schon", sagt er. Er kenne kein anderes Land, in dem man eine vergleichbare Redewendung habe. 20 Jahre nach seinem Tod ist Strauß keine Feindfigur mehr, nur noch Erinnerung. Nachdenklich wiegt Vogel den Kopf und sagt: "Er war ein Mensch, nehmt alles nur in allem."

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