Serie: Zum 20. Todestag von FJS:Ein sehr heimlicher Freund

Zu Nordbayern pflegte Strauß eine eher distanzierte Beziehung - erst unter Beckstein kommen die Franken zum Zug.

Olaf Przybilla

Er hätte das nicht tun sollen. Denn erstens gehört es sich nicht, einem Gast so öffentlich über den Mund zu fahren. Und zweitens war das nicht irgendein Gast, den die Stadt Nürnberg da zum Empfang geladen hatte. Nein, es war Franz Josef Strauß, der Nürnbergs Oberbürgermeister Andreas Urschlechter in festlicher Runde die Aufwartung machte.

Franz Josef Strauß, dpa

Franz Josef Strauß beim Besuch der Brauerei Hagenmeyer in Schweinfurt.

(Foto: Foto: dpa)

Während aber Strauß anhob zu einer Rede über die Vorzüge der Stadt Nürnberg, war es dem SPD-Stadtrat Peter Schönlein vorbehalten, dem Ministerpräsidenten ausgerechnet an der Stelle ins Wort zu fallen, als Strauß, um mit Horaz zu sprechen, den Nürnbergern lachend die Wahrheit sagen wollte - und hierfür die Wendung ridendo dicere verum wählte.

Genau an dieser Stelle begehrte Schönlein auf. Und zwar mit dem Einwand, diese Sentenz hätte korrekterweise ridentem dicere verum heißen müssen. Worauf ein wilder Disput entbrannte über Partizipien, Gerundien, Akkusative und deren Konstruktionen - ein Streitgespräch, das sich eines fehlenden Grammatikbuchs wegen den ganzen Abend lang nicht mehr aus der Welt schaffen ließ.

Im Drama "Die Kleinbürgerhochzeit" von Bertolt Brecht sagt eine Tante an ähnlich verfahrener Stelle: "Oh. Es ist ein Misston hineingekommen." Und in der Tat führte der Nürnberger Disput über lateinisch korrektes Lachen nicht etwa zu einem amüsanten Briefwechsel zwischen einem altbairischen Universalgeist und einem mittelfränkischen Altphilologen.

Stattdessen schwieg man sich demonstrativ aus, das aber intensiv. Denn ausgerechnet der Stadtrat Schönlein wurde auserkoren, die gewaltige Ära des Nürnberger Oberbürgermeisters Urschlechter vom Jahr 1987 an für die Sozialdemokraten fortzuführen - und ihm entgegen setzte die CSU einen Mann namens Günther Beckstein.

Einen Wahlkampf wie diesen hatte die Stadt Nürnberg in der Nachkriegszeit nie zuvor erlebt - und seither auch nicht mehr. Insgesamt drei Jahre lang kämpfte Beckstein mit Schönlein um jeden Quadratmeter in Nürnberg. Immer wieder kam Strauß zu Hilfe, um mit flammender Rede die Nürnberger hinter Beckstein zu sammeln, nicht selten bevölkerten 25.000 Zuhörer den Hauptmarkt.

Beckstein macht heute keinen Hehl daraus: Sein Debakel nach dreijährigem Kampf und trotz permanenter Unterstützung durch FJS war die schwerste politische Niederlage seines Lebens. Schönlein siegte am Ende mit 14 Prozentpunkten Vorsprung in der Stichwahl.

Der Triumph blieb nicht folgenlos. Ein knappes Jahr später schon setzte sich Schönlein an die Spitze einer ungewöhnlichen Bewegung in Franken. Schönlein sammelte erstmals die 21 bis dahin heillos zerstrittenen Oberbürgermeister Frankens hinter sich, um mit gemeinsamer Kraft gegen die politische Übermacht aus Altbayern ins Feld ziehen zu können.

Helmut Ritzer, der ehemalige Landtagsvizepräsident, sagt, dass "niemals der Leidensdruck in Franken stärker war als in der Regierungszeit von Strauß". Vor 25 Jahren wäre der Ausbau des Erlanger Universitätsklinikums längst dringend notwendig gewesen, sagt Ritzer. Ausgebaut aber wurden stattdessen sämtliche Münchner Kliniken - erst jetzt unter Beckstein durften sich die Erlanger in den vergangenen Wochen über den Grundstein für einen Klinikneubau freuen.

Ein staatliches Museum außerhalb Münchens kam schon gleich gar nicht in Frage, und für so etwas wie ein Hofer Städtebundtheater wollte Strauß erst recht kein Geld in die Hand nehmen. Ein Max-Planck-Institut, ein einziges, für Nordbayern? Sollte es erst in der Ära Becksteins geben.

Oscar Schneider, ehemaliger Bundesbauminister und CSU-Chef von Nürnberg, hielt dergleichen "Jammerei" damals schon für völlig abstrus. Strauß, sagt Schneider, sei "ein ganz großer Freund der Franken" gewesen. Von einem altbairischen Zentralismus unter Strauß könnten nur Geschichtsblinde reden. Strauß habe als Bundesfinanzminister alles getan, um Geld nach Franken fließen zu lassen. So habe er der Nürnberger U-Bahn den Weg geebnet.

Nun ja, sagt Jürgen Weber, ehemaliger CSU-Bürgermeister von Würzburg, das sei ihm jetzt nicht wirklich aufgefallen. Es habe damals eben keinen gegeben, der sich am Kabinettstisch in München hätte einsetzen können für die Franken.

Mittlerweile fliegt Markus Söder als Vertreter des Freistaats zu den olympischen Spielen nach Peking. Joachim Herrmann ist Innenminister und Günther Beckstein Ministerpräsident. "Wir in Unterfranken konnten uns damals 30 Jahre lang jubelnd zu Boden werfen, wenn wir wieder einen Staatssekretär abbekommen haben." Politischer Regionalproporz unter Strauß?

"Ein Treppenwitz", sagt Weber. Die große Politik machten Strauß, Stoiber, Streibl, Tandler und Scharnagl - " Franken durften da nicht mitspielen". Das wandelte sich erst, als Edmund Stoiber Ministerpräsident wurde, und vollends dann unter dessen Nachfolger Beckstein.

Und Schönlein? Zog die Unverfrorenheit des Stadtrats noch irgendwelche Konsequenzen nach sich - als der Sozialdemokrat als Nürnbergs Oberbürgermeister gewählt war? Niemals würde er das so behaupten wollen, sagt Schönlein. Aber ein wenig uncharmant fand er es doch, als Strauß ihn beim Antrittsbesuch in der Staatskanzlei auf die Ecke eines Sofas zwängte, das zu zwei Dritteln mit Aktenordnern überhäuft war.

Schönlein überreichte Strauß trotzdem ein gerahmtes Bild von Nürnberg. Auf dessen Rückseite fanden sich Anmerkungen in lateinischer Sprache, Strauß möge doch bitteschön die Franken nicht vergessen. Der Bund der 21 Oberbürgermeister in Franken existiert übrigens bis heute - eine Gründung aus der Zeit von FJS.

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