Serie: König Ludwig II.:Tödlicher Irrtum

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Paranoia! So lautete die Diagnose von Dr. von Gudden über Ludwig II. Neue psychiatrische Forschungen lassen vermuten, dass dieses Urteil falsch war.

Ulrike Heidenreich

Die Zwangsjacke besteht aus dickem Leder, drei feste Riemen sollen den Patienten zusammenzurren. Eines ist sicher: König Ludwig II. wurde dieses albtraumhafte Monstrum nicht übergestülpt. Es stammt aus der Irrenanstalt Hubertusburg vom Ende des 19.Jahrhunderts und soll in der aktuellen Landesausstellung "Götterdämmerung" im Schloss Herrenchiemsee nur illustrieren, wie hart und hilflos einst mit psychisch kranken Menschen umgegangen wurde. Das "König-Ludwig-Lied" weiß zwar davon zu berichten, dass die Kommission, die Ludwig II. in der Nacht des 12. Juni 1886 in Gewahrsam nahm, "mit Bandasch und Kloroformen behendig" auftrat.

Guglmänner in Berg am Starnberger See: Was sich in der Nacht von Ludwigs Tod genau abgespielt hat, ist bis heute unklar. (Foto: ddp)

Doch der 1,91 Meter große, beleibte Monarch, dessen Geisteszustand die Psychiater bis heute schwer beschäftigt, bestieg völlig ruhig, fast teilnahmslos die Kutsche, die ihn nach Berg brachte. Körperliche Gewalt war nicht vonnöten. Der Bedienstete Osterholzer hatte zuvor eine Tür der Kutsche und die Fenster mit Stricken verschnürt. Ludwigs treuer Kutscher weinte dabei.

Das traurige Kapitel des trostlosen Gemütszustands von Ludwig II. wird immer wieder neu aufgeschlagen. In diesen Tagen, um seinen 125. Todestag herum, überschlagen sich die psychiatrischen Koryphäen in Aufsätzen in Fachmagazinen - und in der Psychiatrischen Klinik in der Münchner Nussbaumstraße beschäftigen sich kommende Woche in einem Seminar vier namhafte Professoren mit der Rolle Bernhard von Guddens, schließlich jährt sich ja auch der Todestag des königlichen Psychiaters zum 125.Mal. Ob sich daraus neue Erkenntnisse gewinnen lassen?

Sicher ist, dass es viele der heute geläufigen Fachausdrücke für das Leiden Ludwigs damals noch nicht gab. Weder Begriffe wie "Störungen der Impulskontrolle", "Verhaltenssucht" noch "schizophrene Spektrumsstörung". Im Gutachten vom 8. Juni 1886, das von Gudden gemeinsam mit drei Universitätslehrern verfasst hatte und das die Regierungsunfähigkeit Ludwigs II. bezeugen sollte, heißt es: "Seine Majestät sind in sehr weit vorgeschrittenem Grade seelengestört und zwar leiden Allerhöchstdieselben an jener Form von Geisteskrankheit, die den Irrenärzten aus Erfahrung wohl bekannt mit dem Namen Paranoia (Verrücktheit) bezeichnet wird." Durch die Krankheit sei die freie Willensbestimmung des Monarchen vollständig ausgeschlossen.

Hanns Hippius, einer der Teilnehmer des Seminars und ehemaliger Direktor der Münchner Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, schreibt in seinem aktuellen Aufsatz über den Todestag des Arztes Bernhard von Gudden, der mit seinem König im Starnberger See ertrank: "Sich mit einem Patienten, den man für schwer krank und suizidgefährdet hält, für Dritte unerreichbar zurückzuziehen, diesen Fehler hatte Gudden vermutlich aus Ehrfurcht vor dem König, aus der Überzeugung, bei einem Hochgestellten auch eine hochgestellte Einsicht zu gewinnen, vielleicht aber auch aus eben paternalistisch anmutender Selbstüberschätzung begangen."

Von Gudden war ein umsichtiger, fortschrittlicher Mediziner, der in Fachkreisen für Aufsehen gesorgt hatte, als er nachwies, dass die häufig auftretenden sogenannten Ohrhämatome bei geistig Behinderten nicht etwa eine Begleiterscheinung von psychischen Erkrankungen waren - sondern schlichtweg von gängigen Misshandlungen durch ihre Pfleger herrührten. Von Guddens Umsetzung des "No-Restraint"-Prinzips, wonach die Kranken bei größtmöglicher Freiheit behandelt werden sollten, habe sich, so Hippius, als "tödlicher Irrtum" erwiesen. In der Krisennacht im Juni, als von Gudden nach Neuschwanstein gerufen wurde, weil Ludwig II. damit drohte, sich vom Turm zu stürzen, hatte der Psychiater nämlich nach München telegrafiert, "dass Selbstmordabsichten Ludwigs nur in alkoholisiertem Zustand zu befürchten seien,...er sei wie ein Kind, eine Gefahr gehe von ihm nicht aus..."

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Der Spaziergang der Majestät und seines Arztes am Ufer des Starnberger Sees beschäftigt Florian Holsboer, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, in seinem Werk "Biologie für die Seele" in ganz anderem Bezug. "Seit der aus meiner Sicht wenig glaubwürdigen Behauptung, König Ludwig II. hätte seinen Psychiater Bernhard von Gudden im Starnberger See ertränkt, wird das Thema ,Gewaltausübung von Patienten gegenüber ihrem Arzt' immer wieder diskutiert. Meiner Einschätzung nach sind Nervenärzte durch ihre Patienten nicht besonders gefährdet", schreibt Holsboer.

Also, wie war es nun? Liefern die verschiedenen posthumen Diagnosen Stoff zur Legendenbildung "wie bei der Märchenprinzessin Diana, deren früher gewaltsamer Tod ebenfalls der Herrscherfamilie zur Last gelegt wurde"? So formuliert es Detlev von Zerssen, Emeritus des Max-Planck-Instituts, der die letzten Jahre des "Märchenkönigs" aus psychiatrischer Sicht ebenfalls unter die Lupe genommen hat. Die von Gudden gestellte Diagnose der Paranoia ließe sich jedenfalls nicht aufrecht erhalten. Während sein Bruder Otto in einer Wahnwelt lebte, habe sich Ludwig in eine Traumwelt zurückgezogen und sei sich dessen durchaus bewusst gewesen. Dies entspreche keinesfalls einer echten Wahnpsychose.

"Cäsarenwahnsinn" bescheinigt von Zerssen dagegen dem kranken König. Der Begriff wurde schon Mitte des 19.Jahrhunderts geprägt, und es liegt in der Natur der Sache, dass es sich dabei um ein seltenes Phänomen handelt. Ein Muster suchtartiger Verhaltensexzesse bei egomanischen Herrschern darf man darunter verstehen.

"Herrschsucht, Prunksucht, Bau- und Verschwendungssucht, Genuss- und Vergnügungssucht besonders auf kulinarischem und sexuellem Gebiet, Rachsucht mit einem Hang zur Grausamkeit", beschreibt der Psychiater die Bestandteile des Syndroms, das maßgeschneidert für Ludwig II. sein könnte. Dass der König sein Personal etwa auf Schloss Neuschwanstein zuletzt mit Fußtritten, Schlägen und absurden Befehlen gegängelt hatte, ist überliefert.

Bei den einen ist Ludwig der König von der traurigen Gestalt, der durch seine Völlerei adipös geworden war und Schmerzmittel im Übermaß verbrauchte, weil ihn die wenigen verbliebenen Zahnstummel im Unterkiefer peinigten. Für die anderen bleibt er Lichtgestalt mit "außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten", wie der Mannheimer Hirnforscher Heinz Häfner glaubt: Den Rückzug in die mystischen Welt habe Ludwig wegen einer sozialen Phobie und der Angst, verachtet zu werden, gesucht.

Einig mit dem Kollegen Häfner ist sich Zerssen aber darin, dass sich durch eine schwere Meningitis des kleinen Prinzen in seinem zweiten Lebensjahr eine Reduktion der Hirnmasse ergeben haben könnte, die bei der Obduktion der Leiche ersichtlich wurde. Von einem schleichenden neurodegenerativen Prozess, einem Orbitalhirn-Syndrom, sprechen die Experten heute. Dies sind ebenfalls Begriffe, die damals, als König Ludwig II. mehr oder weniger glücklich lebte, noch nicht erfunden waren.

Der Psychiater Bernhard von Gudden verließ sich eher auf Erfahrungen, die er auch bei der Behandlung von Ludwigs krankem Bruder Otto gemacht hatte und zeigte sich den Aufzeichnungen nach bewandert in den Sorgen im Hause Wittelsbach. Der Psychiater Hanns Hippius hat nachgeforscht: "Ob er sich tatsächlich 1878 gegenüber dem preußischen Gesandten Georg von Werthern salopp und abfällig über die psychische Gesundheit von Mitgliedern des Hauses Wittelsbach geäußert hat, kann bezweifelt werden." Die wohl falsch überlieferte Einschätzung Guddens ging demnach folgendermaßen, dass "alle krank seien durch Inzucht; normal sei von der gesamten Familie nur Prinz Luitpold, welcher bloß dumm sei"."Cäsarenwahnsinn

© SZ vom 21.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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