Drinnen haben sie aufgetischt an diesem Vormittag. Es gibt Kaffee, es gibt Früchtetee, wer will, darf beim Gebäck zugreifen. Das Haus Simeon hat zum Tag der offenen Tür eingeladen, einige Frauen, vor allem aber Männer sind gekommen, erkunden nun das Haus oder stärken sich am Buffet. Das Interesse ist offenbar groß an Deutschlands erster privater Seniorenresidenz für Priester im Ruhestand.
Im vergangenen Sommer hat das fünfstöckige Haus in Kempten eröffnet. 27 Apartments beherbergt der Bau, dazu zahlreiche Räume für Freizeitaktivitäten, von der Bibliothek bis zu einer Sauna – und natürlich einer Kapelle ganz oben im Dachgeschoss. „Ein Schmuckstück“, sagt einer der Bewohner. „Wir haben einen überdurchschnittlichen Bedarf für so eine Einrichtung gesehen“, berichtet Geschäftsführer Julian Heigl. Gerade Priester, die zölibatär leben, haben im Alter kaum Anschluss an Familie. Im Haus Simeon können sie Gemeinschaft finden – aber auch weiter so selbständig leben, wie sie es zeitlebens gewohnt waren.

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Heigls Vater betreibt als Arzt ein medizinisches Versorgungszentrum. „Insofern hatten wir schon immer Kontakt zu Priestern im Ruhestand.“ Die Pfarrer kommen in die Praxis, wenn sie krank sind, aber es habe sich schon offenbart, berichtet Heigl, dass die Seelsorger bei ihrem Arztbesuch auch gerne mal selbst seelsorgerischen Rat suchen. Mutter Birgit Heigl, die gemeinsam mit ihrem Sohn Julian die Seniorenresidenz leitet, hat sich im Umkreis von Kempten ehrenamtlich um Priester im Ruhestand gekümmert. „Manche waren allein, manchen hatten allenfalls entfernte Verwandte.“
Mit 70 Jahren gehen Priester in den Ruhestand. Meist sollen sie den Ort verlassen, an dem sie gewirkt haben, um ihrem Nachfolger nicht in die Quere zu kommen. Ein Neustart mit 70 Jahren aber, das ist eine Herausforderung. „Gerade, wenn jemand ein Leben lang auf sich allein gestellt ist“, sagt Julian Heigl, „ist es nicht leicht, sich noch einmal umzustellen.“ Mit dem Haus Simeon wollen die Heigls, die der katholischen Kirche sehr verbunden sind, ein Angebot schaffen, um diesen Neuanfang zu erleichtern.
Die Renovierung und Erweiterung des medizinischen Versorgungszentrums brachte die Möglichkeit, auf dem Grundstück auch die barrierefreie Seniorenresidenz zu errichten. 27 Zweizimmer-Wohnungen sind nun entstanden, zu beziehen ab einer Warmmiete von 2200 Euro. Die Lage des Hauses ist ideal für ein solches Projekt: Gleich über der Straße liegt das Klinikum Kempten, hinten heraus, neben den Gartenanlagen der Seniorenresidenz, beginnt ein Landschaftsschutzgebiet. Die Natur im Allgäu ist ohnehin nicht weit.



Im Gebäude sind die Wohnungen mit Küchenzeile ausgestattet und grundsätzlich nach Süden ausgerichtet, während Heigl die Gemeinschaftsräume auf der Nordseite geplant hat. Es gibt einen Fitnessraum und auch einen Whirlpool. „Wir sind kein Altenheim und auch kein Pflegeheim“, betont Heigl. Aber es gibt bei Bedarf Vollverpflegung, es gibt Ansprechpartner an der Rezeption, die direkte Anbindung an das Versorgungszentrum und es gibt einen eigens gegründeten ambulanten Pflegedienst im Haus.
Fünf Bewohner sind seit vergangenem Sommer eingezogen. Teils sind sie frisch in Rente, teils Mitte 80. „Ich hatte mir mehr erhofft“, gesteht Heigl. Das Interesse, das zeigt der Andrang beim Tag der offenen Tür, ist schon groß. Der Schritt, dann wirklich zuzusagen, ist aber offenbar doch eine hohe Hürde. Dabei schwärmen Bewohner, mit denen man sich unterhält, nicht nur von der „einzigartigen Kapelle“, der nahen Natur und den gut ausgestatteten Wohnungen. Ihnen ist auch wichtig, „dass man noch gebraucht wird“.
Einige von ihnen arbeiten im nahe gelegenen Klinikum als Seelsorger, sie helfen in der Gefängnisseelsorge aus oder übernehmen extern Gottesdienste. „Gerade bei dieser Berufsgruppe ist der Drang groß, sich weiter einzubringen“, sagt Heigl. Die Bewohner verabreden sich allmorgendlich zu einem Gottesdienst, den sie abwechselnd leiten, sofern sie nicht andere Termine haben. Es ist aber schon auch so, dass sie ihre Eigenständigkeit bewahren wollen und suchen. Heigl ist es deshalb wichtig zu betonen, dass die Seniorenresidenz versucht, Gemeinschaft und soziale Kontakte zu ermöglichen – den Bewohnern je nach Bedarf aber auch ihre Ruhe lässt.
Das Bistum Augsburg hat die Eröffnung des Hauses Simeon begrüßt, aber auch auf eigene Hilfsangebote für Priester im Ruhestand verwiesen. Eine Lücke im Angebot für Pfarrer will sich die Kirche nicht nachsagen lassen, und gerade Menschen dieses Berufsstands haben eine hohe Lebenserwartung. Bischof Bertram Meier hat die Seniorenresidenz selbst besucht, um den Altar in der hauseigenen Kapelle zu weihen. Er ging dabei auf den Namensgeber der Einrichtung ein, Simeon, dem offenbart wurde, dass er nicht sterben werde, ohne den Messias geschaut zu haben.
Der Bischof ging aber auch auf die Bedeutung dieses konzeptionell einzigartigen Seniorenheims ein. Es sei, sagt er in seiner Predigt, nicht so sehr letzte Station des Lebens, sondern vielmehr eine Himmelspforte: „ein Obergemach der Gemeinschaft mit Christus“, für den Austausch mit Gott. Dies sei in der aktiven Zeit als Priester wichtig, um nicht auszubrennen – aber auch im Ruhestand solle man die Bedeutung solcher Schutzräume nicht unterschätzen.