Selbstbild der Parteien:Die Kunst der Zahlendeutung

Es kommt nur auf die richtige Interpretation an: Nach den jüngsten Umfragen fühlen sich alle Parteien als Sieger - selbst die tief gestürzte FDP redet sich die Lage schön. Ein Stimmungsbild.

Von Robert Roßmann, Peter Fahrenholz, Katja Auer, Heiner Effern und Christian Sebald.

CSU-Landesgruppe zum Jahresauftakt in Kreuth

Die CSU kann wieder auf eine absolute Mehrheit hoffen.

(Foto: dpa)

"Kopf-an-Kopf-Rennen", "Fotofinish" - Bayerns Politiker greifen derzeit gerne auf Metaphern aus der Welt des Sports zurück, wenn sie auf die Landtagswahl im Herbst 2013 vorausblicken. Zwei aktuelle Umfragen legen nahe, dass es bei der Abstimmung tatsächlich sehr, sehr knapp werden könnte. Nach der Erhebung von Infratest dimap im Auftrag des Bayerischen Rundfunks könnte die CSU wieder knapp die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringen. Laut der Umfrage der GMS Marktforschung, bestellt von Sat 1 Bayern, lägen die Christsozialen dagegen hinter der derzeitigen Opposition aus SPD, Grünen und Freien Wählern. So reagieren die Parteien auf die Zahlen:

CSU: Das große Aufatmen

Generalsekretäre sind nicht dafür bekannt, sich von Selbstzweifeln plagen zu lassen. Doch der Auftritt von Alexander Dobrindt bei der Klausur in Kreuth war selbst für einen Generalsekretär dick aufgetragen. "Bärenstark", sei die CSU, befand der Oberbayer. Die Umfrage des BR-Politikmagazins "Kontrovers" stelle seiner Partei ein "ausgezeichnetes Zeugnis" aus. Man liege über dem Ergebnis der letzten Landtagswahl. Aber das sei ja auch kein Wunder, schließlich sei Bayern "die Benchmark für ganz Europa".

Nach dem Katastrophenjahr 2011 mit Fukushima, Guttenberg-Rücktritt, der Energiewende, der überraschenden Ude-Kandidatur und den Wulff-Querelen war die Partei tief verunsichert. Die 44 Prozent in der als besonders solide bekannten BR-Umfrage lassen sie deshalb aufatmen. Ginge die Landtagswahl so aus, wie es die Demoskopen vorhersagen, dürfte sich die CSU sogar über die absolute Mehrheit der Mandate freuen.

Angesichts der Unruhe, die Christian Ude mit seiner Kandidatur ausgelöst hat, freuen sich die Christsozialen vor allem über die Zahlen für den Ministerpräsidenten: Bei einer Direktwahl läge er sechs Prozent vor Ude. Und bei der Frage, ob er ein guter Regierungschef sei, legte Horst Seehofer um neun Prozentpunkte zu.

So groß war die Erleichterung in Kreuth, dass sich Seehofer schon bemüßigt sah, die Freude zu dämpfen: Umfragen seien nur Momentaufnahmen. Man sei jetzt "natürlich selbstbewusst, aber nicht überheblich" und müsse sich "noch gewaltig anstrengen". In der Partei geht man von einem "Fotofinish" bei der Landtagswahl 2013 aus. Auf der einen Seite die CSU, auf der anderen SPD, Grüne und Freie Wähler. Am Ende könnten die Piraten die Wahl entscheiden. Bisher hilft deren Ergebnis von vier Prozent der CSU, die Schwelle zum Erreichen der absoluten Mandatsmehrheit sinkt dadurch. Sollten die Piraten aber in den Landtag kommen, wäre es mit dem Traum von der CSU-Alleinregierung vorbei. Das wollen ohnehin nur noch gut ein Drittel der Befragten. Darüber wurde in Kreuth galant geschwiegen. Genauso wie über die Erkenntnis der Demoskopen, dass die Bürger Ude für glaubwürdiger halten als Seehofer.

SPD: Stimmung gut, Lage mau

SPD

Vorschau: SPD waehlt neuen Vorstand

Die SPD gibt sich kämpferisch und selbstbewusst.

(Foto: dapd)

Als Jürgen Möllemann in Nordrhein-Westfalen auf eine Neuauflage einer sozialliberalen Koalition unter dem damaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement hoffte (woraus dann nichts wurde), hat er den Zustand der dortigen CDU-Opposition einmal folgendermaßen karikiert: Die seien doch schon froh, wenn sie einmal in der Woche das stellvertretende Dienstfahrrad des Oberstadtdirektors benutzen dürften. So ähnlich ging es viele Jahre auch der Bayern-SPD.

Durch viele Wahlniederlagen gedemütigt, haben die Sozialdemokraten auf Landesebene (in den Kommunen sieht es ganz anders aus) eine Art natürliche Oppositionsdemut entwickelt. Doch die Spitzenkandidatur des populären Münchner Oberbürgermeisters Ude hat den mutlosen Bayern-Sozis einen Adrenalinstoß verpasst. Weil Ude sich in München seit fast 20 Jahren als unbesiegbar erwiesen hat, glauben die Genossen jetzt auch auf Landesebene, dass sie gewinnen können. Selbstbewusstsein und Kampfbereitschaft sind in der Politik die halbe Miete, Trauerweiden werden nicht gerne gewählt.

Aber nicht nur Udes pralles Selbstwertgefühl kann locker mit der Präpotenz der CSU mithalten. Mit Ude könnte die SPD erstmals die CSU-Strategie durchkreuzen, sich mit positiven Kennziffern auf allen Feldern als einzigen Erfolgsgaranten zu inszenieren. Wo Bayern gute Zahlen vorweisen kann, hat München noch bessere zu bieten.

Doch wie die aktuelle BR-Umfrage zeigt, sind Wunder auch in der Politik selten. Die 21 Prozent, mit denen die SPD derzeit notiert wird, sind keineswegs der erhoffte Schub durch einen Ude-Effekt. Bei den Sozialdemokraten ist die Stimmung derzeit besser als die Lage. Wie sollte sich die auch über Nacht ändern? Die fortgesetzten Niederlagen haben nicht nur das Personal dezimiert, sondern auch die Struktur der SPD nachhaltig geschwächt. Um die Organisationskraft der CSU und ihre breite Verankerung im gesamten Land zu kompensieren, reicht ein attraktiver Spitzenkandidat allein nicht aus.

FDP: Zeit der Durchhalteparolen

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Nach nur einer Legislaturperiode würde die FDP den Wiedereinzug ins Parlament verfehlen.

(Foto: AFP)

FDP

Was sollen sie zu solchen Zahlen auch noch sagen? Es sind Durchhalteparolen, die Bayerns Liberale am Mittwoch von sich geben. "Die Umfragezahlen spiegeln die Erfolge der FDP in der Staatsregierung noch nicht wider", sagt Generalsekretärin Miriam Gruß. Nur noch drei Prozent Zustimmung ermittelte die BR-Umfrage für die FDP, die GMS Marktforschung (im Auftrag von Sat1) sogar nur zwei Prozent. Damit wären die Liberalen nach nur einer Periode wieder draußen aus dem Landtag.

Fraktionschef Thomas Hacker will das noch nicht glauben. Überrascht ist er nicht von den schlechten Umfrageergebnissen, aber der Grund liege im Bundestrend. Deswegen will er die anderthalb Jahre bis zur Landtagswahl nutzen, um deutlich zu machen, dass Bayern ohne die FDP sehr viel schlechter dran wäre. Das sehen die befragten Bayern allerdings nicht so. Nur noch ein Viertel wünscht sich die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition. Das liegt aber offenbar nicht an der CSU. Denn unter deren Führung könnten sich 43 Prozent ein Bündnis mit der SPD gut vorstellen und beinahe ebenso viele eine Koalition mit den Freien Wählern. Immerhin 34 Prozent wünschen sich schwarz-grün.

Gruß redet sich eine andere Zahl schön: 17 Prozent der Bayern seien mit der Regierungsarbeit der FDP zufrieden, ermittelte Infratest im Auftrag des BR. Nur 17 Prozent? Darin liege das Potential ihrer Partei, sagt Gruß. "Das müssen wir ausschöpfen."

Grüne und Freie Wähler: Alles erscheint möglich

Bundesparteitag der Grünen

Die Grünen wären in einem Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Freien Wählern die zweitstärkste Kraft.

(Foto: dpa)

Grüne

Sieben Prozentpunkte hinter der SPD, mit der sie vor dem Ude-Coup noch auf Augenhöhe waren, und doch sind die Grünen mit ihren 14 Prozent in der BR-Umfrage mehr als zufrieden. "Wir haben eine sehr stabile Grundlage. Von dort geht noch mehr nach oben", sagt Landeschef Dieter Janecek. Das wäre nötig, um mit der SPD und den Freien Wählern die CSU zu stürzen. "Wir sind am Wechsel nah dran, nur ein Prozent fehlt. Da ist alles möglich." Auch Fraktionschefin Margarete Bause kommt nach einer kurzen zufriedenen Würdigung des Ergebnisses ("wäre 2013 gigantisch") sofort auf das große Ziel für die kommenden Landtagswahlen. "Seit Monaten gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CSU. Zum ersten Mal gibt es eine realistische Chance auf den Machtwechsel."

Ob dazu eine Klärung der Spitzenkandidatur noch auf der Landesversammlung im Herbst oder erst Anfang 2013 nötig ist, darin schwankt die Partei. Janecek hält das für wichtig, Bause will sich nicht festlegen. Für aufgeräumte Stimmung sorgt bei den Grünen, die nach dem zwischenzeitlichen Umfrage-Höhenflug wegen des Atomausstiegs kurz vor Weihnachten auf zehn Prozent abgerutscht waren, auch das Ergebnis der Piraten: Sie liegen nur bei etwa fünf Prozent und würden so den Grünen weniger Wähler abjagen als befürchtet. "Der coole Name reicht nicht. 2012 ist die Schonzeit vorbei, jetzt muss man auf ihre Inhalte schauen", sagt Janecek.

Freie Wähler

Es ist ein Jahr her, da hat sich Hubert Aiwanger oben auf dem Freisinger Domberg mal wieder richtig in Rage geredet. "In ihrem momentanen Umfragehoch blenden sie in der CSU doch nur ihre massiven Probleme aus", polterte der Freie-Wähler-Chef zum Abschluss der Klausur seiner Fraktion. "Aber die Hausärzte, die Lehrer, die Leute im öffentlichen Dienst und die Bauern, sie alle haben längst kein Vertrauen mehr in die CSU." Neben Aiwanger saßen Florian Streibl, Michael Piazolo und weitere FW-Abgeordnete - allesamt mit versteinerten Mienen. Kurz zuvor hatte Infratest nur mehr vier Prozent für die Freien Wähler ermittelt.

Nach ihrem fulminanten Einzug in den Landtag bei der Wahl 2008 wären Aiwanger und Co. schon wieder in hohem Bogen rausgeflogen. Aiwanger war damals der einzige, der unverdrossen verkündete: "Unser Potential sind zehn Prozent." Das sieht Aiwanger jetzt nicht anders. Der Unterschied ist nur: Mit acht respektive neun Prozent in den aktuellen Umfragen von BR und Sat1 würden die Freien Wähler den Sprung in den Landtag wieder schaffen - und zwar sehr bequem.

"Unsere Politik kommt an, draußen im Land", sagt Aiwanger, "das sagen uns die Ärzte, die Lehrer, die Leute im öffentlichen Dienst, die Bauern und all die anderen, mit denen wir reden. Wir sind die bürgerliche Alternative zur CSU." Über alles andere - Koalitionen mit SPD und Grünen oder mit der CSU - will er nicht reden, zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Piraten: Auf der Schwelle

Piraten

Es dürfte ein ausgelassenes Fest werden, wenn die bayerischen Piraten am Freitag in Forchheim ihren fünften Geburtstag feiern. Bei vier Prozent Zustimmung liegen sie in der Infratest-Umfrage des BR-Magazins "Kontrovers", also knapp vor dem Einzug in den Landtag, die Sat-1-Umfrage sieht die Piraten mit fünf Prozent sogar im Parlament. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" werde seine Partei in den Landtag einziehen, sagt Piraten-Sprecher Aleks Lessmann.

Noch vor einem Jahr war das nicht abzusehen, ein Prozent Zustimmung bekamen sie da gerade einmal. Inzwischen werden überall im Land Kreisverbände gegründet, Lessmann erzählt von einem Stammtisch in Augsburg, bei dem erst am Vortag drei neue Mitglieder eingetreten seien. 4325 waren es am Mittwoch.

Enttäuschte Liberale kommen zu den Piraten ebenso wie Grüne, insgesamt Leute, "die von der Politik der etablierten Parteien die Nase voll haben", sagt Lessmann, selbst ehemaliger Grüner. Ihr Ziel, möglichst flächendeckend bei den Kommunalwahlen anzutreten, erreichen die Piraten bislang allerdings nicht. Gerade ist in Lindau der potentielle Oberbürgermeister daran gescheitert, genügend Unterschriften für die Kandidatur zu sammeln.

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