Sektenführer in Franken:Der Guru von Lonnerstadt

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Es gibt weder Dusche noch Wanne, nur spärlich zu essen, und Arztbesuche sind nicht erwünscht: Ein Guru diktiert in Mittelfranken einer Familie mit drei Kindern den Alltag - und die folgt ihm kompromisslos. Die Behörden schreiten jedoch nicht ein.

Olaf Przybilla, Erlangen

Süßigkeiten sind für die Kinder Tabu - er selbst hat die Lizenz zum Naschen: Der Guru von Lonnerstadt. (Foto: WDR)

Angenommen, ein Autor müsste sich einen Sektenguru ausdenken, einen möglichst, den man so schnell nicht wieder vergisst. Vielleicht käme eine Figur dabei heraus, die dem Guru in der fränkischen Gemeinde Lonnerstadt ziemlich nahe käme: ein rundlicher Mann mit Rauschebart, der sich dabei filmen lässt, wie er mit nacktem Oberkörper über die Vorzüge der Sonne philosophiert; Vorzüge für die eigene Seele vor allem. Einer, der anheimelnde Worte dafür findet, warum junge Seelen - man könnte auch sagen: Kinder - vorsichtig sein müssen mit Süßigkeiten und anderem Teufelszeug. Der aber gut erklären kann, warum derlei Einschränkungen für Leute wie ihn nicht gelten. Und sich dabei zuschauen lässt, wie er zwei Tüten Kartoffelchips aus einer Kiste fingert.

Diese Einblicke sind der WDR-Filmemacherin Beate Greindl zu verdanken, der Seltenes gelungen ist: ein Blick in die Welt eines Gurus. Wobei der Mitfünfziger mit dem Schmerbauch, den er beim Sonnenbaden im eigenen Vorgarten präsentiert, das Wort Guru nicht hören mag. Auch "Meister" wäre ihm zu anmaßend.

"Lehrer" der "Neuen Gruppe der Weltdiener", das ist sein bescheidener Begriff für seine Rolle auf dieser Erde. In der Seelenhierarchie der Sekte reicht das offenbar für eine Lizenz zum Verzehr von Kartoffelchips. Und es reicht dafür, Einfluss auf Menschen zu nehmen, die sich der Seelen-Kompetenz des Gurus aussetzen.

Alles für das Seelenheil

In Lonnerstadt ist das eine Familie mit drei Kindern, die nicht krankenversichert sind. Die keine Medikamente nehmen. Die eine Brille nur dann aufsetzen, wenn es nicht anders geht. Die um etwa vier Uhr aufstehen, um an Meditationen teilzunehmen. Die nach der Schule zur Heimarbeit angehalten sind, vor Augen die Maßgabe, dass derjenige, der die "Zusammenarbeit" verletze, "als Schädling am Gemeinschaftseigentum verurteilt" werden sollte. Die in einem Haus ohne Dusche oder Wanne leben müssen. Und die angehalten sind, möglichst wenig und möglichst unsinnlich Lebensmittel zu sich zu nehmen. Ihr Vater war mal Software-Entwickler, ihre Mutter Lehrerin. Solche Arbeit aber lehnen sie heute ab. Schlecht für die Seele.

Wer sich am Tag nach der Ausstrahlung der Dokumentation bei den Behörden im Landkreis Erlangen-Höchstadt umtut, bekommt immer wieder ähnlich klingende Antworten. Alle hören sich ein wenig so an wie die der Schulrätin Ottilie Werner: "In diesem Land", sagt sie, "hat jeder das Recht, seine Religion frei zu wählen. Und seine Kinder entsprechend zu erziehen." Lange Pause.

Zu der Grundschülerin, die in der Bruchbude von Lonnerstadt aufwächst, möchte die Schulrätin noch dies sagen: Lehrer aus deren Grundschule hätten sich kürzlich beim Schulamt gemeldet. Alles andere als gelassen hätten sie geklungen. Die Schülerin sei schwer erkältet, bekomme keine Medizin. Trotzdem müsse sie Tag für Tag zur Schule gehen.

Das Schulamt habe die Sache überprüft. Habe Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen. Und sei zum Ergebnis gekommen: keine akute Gefahr für Leib und Leben. "Ich möchte bitte wiederholen", sagt die Schulrätin: "keine akute Gefahr." Das aber sei die Maßgabe für die Behörden, um einen Eingriff rechtfertigen zu können.

In Lonnerstadt kennen sie natürlich alle den Guru aus dem schönen Haus. Und sie kennen alle die Familie aus dem Haus, das ein bisschen so aussieht, als hätten Abrissbagger erste Vorarbeiten verrichtet. Aber was will man machen? Das Jugendamt wisse ja davon. Und außerdem: Bürgermeister Theo Link sei es ja immerhin, der dem Guru die Wohnung vermietet. Das hat dann schon den Anstrich von Rechtmäßigkeit.

Link bestätigt das. Findet aber, dass er "als Privatmann" das Recht dazu habe. Außerdem habe er dadurch einen kurzen Draht zum Guru. Erreicht will der Bürgermeister auch schon etwas haben. Weil die Kinder "immer auf dem Fahrrad" zum Guru gefahren seien, auch im Winter, habe er gefragt, ob das sein müsse. Der Guru habe da mit sich reden lassen, zum Teil. Ein schöner Erfolg, findet der Bürgermeister.

Eberhard Irlinger, Landrat von Erlangen, betont den "engmaschigen Draht" zur Familie. Bruchbude? Einfach, "aber keinesfalls baufällig" sei das Haus, das der Familie zur Verfügung gestellt worden sei. Bei einem Hausbesuch habe sich das Jugendamt kürzlich davon überzeugen können, dass die Wohnverhältnisse nicht zu beanstanden seien. Der "Hauptaufenthaltsraum" sei "gut beheizt" gewesen.

Um vier Uhr morgens aufzustehen zum Meditieren: Das Leben in der Sekte macht eine normale Kindheit unmöglich. (Foto: WDR)

Bereits im Sommer hat ein Familiengericht einen Gutachter beauftragt. Ein Familienmitglied klagt, um mehr Kontakt zu den Kindern zu bekommen. Der Gutachter solle nun feststellen, "ob die gewählte Lebensform zu einer Gefährdung des seelischen oder geistigen Wohles der betroffenen Kinder" führe.

Warum haben sich der Guru und die Familie überhaupt filmen lassen? Beide lassen Anfragen am Freitag unbeantwortet, die WDR-Autorin Beate Greindl aber hat einen Verdacht. Fast ein Jahr hat sie an der Dokumentation gearbeitet, nach etlichen Monaten überredete der Guru die Familie, ebenfalls mitzumachen. Möglicherweise habe der Guru sie als "potenzielles Sektenmitglied" betrachtet, sagt Greindl.

Auch wenn sich die Sektierer jetzt nicht mehr über sich selbst äußern wollen. Ein bisschen ahnt man, was sie sagen würden über den Film. Man reife an "unangenehmen Dingen", sagt der Familienvater in der Dokumentation, auch Kinder reiften daran. Und je weniger Unangenehmes es gebe, "desto weniger reift man auch".

© SZ vom 27.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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