Entsprechend sieht der Alltag der Jünger aus: Sie dürfen keinen eigenen Computer haben. Das Telefon steht an einem Ort, der stets beaufsichtigt ist. Sie dürfen nicht entscheiden, wann und wohin sie reisen und wann sie ihre Familien sehen. Sie müssen 16 Stunden am Tag arbeiten, bekommen aber keinen Lohn. Sie haben Konten, aber nur zum Empfang des Kindergeldes. Alle EC-Karten behält der Ältestenrat. Jene, die den Hauptschulabschluss haben, bekommen das Zeugnis nicht ausgehändigt. "Sie machen ihre Kinder geistig und emotional unfähig, in ihrem Leben jemals eigene Entscheidungen zu treffen", schreibt Pleyer, "es ist ihnen verboten, jederzeit das Wort zu ergreifen und zu sagen, was sie denken." Jeder Widerspruch werde abgetan mit der Aussage: "Wer den Ältesten widerspricht, widerspricht Gott."
Einjährige "Probezeit" vor der Hochzeit
Der Ältestenrat ist nicht demokratisch gewählt, aber er mischt sich in alle Privatangelegenheiten ein. Laut Pleyer können die Jünger nicht einmal frei entscheiden, wen sie heiraten. Er selbst habe 13 Jahre lang warten müssen, bis ihm eine Frau zugeteilt wurde. Doch vor der Hochzeit muss er eine einjährige "Probezeit" absolvieren. Inklusive wöchentlichem Kreuzverhör. Pleyer: "Das war demütigend". Weil sich die Verlobten auf einer Busfahrt zu nahe kommen, darf Pleyer seine Braut sechs Wochen lang nicht sehen. Auch Jahre nach der Heirat spricht der Ältestenrat seine Strafen aus: "Wenn die Ältesten zu dem Schluss kommen, dass ich ein schlechter Vater bin, nehmen sie mir meine Kinder weg und bringen sie in einer anderen Familie unter", berichtet Pleyer. Zweimal muss er sechs Monate lang in Isolation leben, ehe er seine Familie wieder sehen darf.
Als Lehrer züchtigt Pleyer seine Schüler "jeden Tag" in den "Disziplinierräumen" mit Weidenruten auf den Po. Er hat einiges zu tun: "Manchmal bildet sich am Treppenabsatz zum Keller ein kleiner Stau, weil der Raum noch nicht frei ist. Betäubt und routiniert hören die Kinder die Schreie ihrer Vorgänger und zählen die peitschenden Schläge, die ihre Freunde erhalten."
Nach oben sind die Sektenmitglieder willenlos, nach unten brutal. 2011 schafft Pleyer den Ausstieg. Er nimmt Ehefrau und Kinder mit. Seine Frau kehrt wenig später wieder zurück. Die Scheidung läuft. Vor den Familiengerichten in Nördlingen und Ansbach laufen zudem die Verfahren um das Sorgerecht jener Kinder, die seit der Razzia im September 2013 bei Pflegefamilien oder in Heimen untergebracht sind. Die Eltern werfen den Behörden "staatliche Willkür" vor und fühlen sich von den Gerichten ungerecht behandelt. Robert Pleyers Darstellungen weisen sie als unzutreffend zurück. "Er malt ein Bild, das nicht stimmt", sagt Klaus Schüle. Robert Pleyer sagt: "Ich hoffe, dass mehr Mitglieder nachdenken und aussteigen. Ich würde ihnen gerne helfen."
Robert Pleyer: Der Satan schläft nie, Knaur Taschenbuch, 14,99 Euro