Segelfliegen:"Es ist eine Sucht, die geilste Sportart der Welt"

Ein Arcus vor den Bernina Segelfliegen Mathias Schunk

Spritztour zur Bernina-Gruppe: Mathias Schunk (im Segelflugzeug, aus dem das Bild gemacht wurde) zeigt einem befreundeten Bruderpaar die höchsten Berge der Ostalpen.

(Foto: Carsten Freyer)

Mathias Schunk aus Geretsried ist einer der erfolgreichsten Segelflug-Piloten Deutschlands. Doch kaum jemand kennt den Mann, der auch hauptberuflich um die Welt fliegt.

Von Sebastian Winter

Mathias Schunk wohnt im Lerchenweg in Geretsried, und der Name seiner Heimatstraße könnte treffender kaum sein. Gut, die Lerche ist kein mächtiger Adler, dem Schunk schon ab und an begegnet in großer Höhe. Sie gehört aber immerhin zur Gruppe der melodiösen Singvögel. Jedes Mal also, wenn der Lufthansa-Pilot und passionierte Segelflieger Schunk von einer langen Reise nach Hause zurückkehrt - und das passiert oft, weil das Fliegen sein Leben ist - erinnert ihn selbst seine Adresse noch an seine große Leidenschaft.

Der 51-Jährige hat das lässige Selbstbewusstsein eines Mannes, der viel in der Welt herumgekommen ist. 25 000 Flugstunden hat er für seinen Arbeitgeber geleistet, dazu 7000 in seiner Freizeit im Segelflugzeug. Von den rund 35 000 Segelflug-Piloten in Deutschland kann das sonst kaum einer von sich behaupten. Oft hat Schunk Bereitschaftsdienst, ein Anruf, und er fliegt von München aus mal wieder 300 Menschen in die Welt hinaus. Dann passiert es schon mal, dass es nichts wird mit dem Wochenend-Ausflug in seinem Quintus, 23 Meter Spannweite, leicht wie ein Kleinwagen, der sieben Kilometer entfernt am Segelflugzentrum (SFZ) Königsdorf südlich von München steht.

Schunk schaut an jenem Donnerstag im August auf seinen Laptop und runzelt die Stirn: "Es wird wohl eh nichts. Das Wetter." Auch das wegen der schlechten Witterung auf das kommende Wochenende verschobene Flugfest in Königsdorf, eine Art Jahresabschluss, muss wohl mit sehr durchwachsenen Bedingungen auskommen. Die Sonne ist schließlich das tragende Element der Segelflieger, scheint sie, erwärmt sich die Erde und damit auch die Luft in Bodennähe, die Wärme steigt auf, die nötige Thermik entsteht. Regen ist Gift.

Am 16. Mai 2013 tobte ein Föhnsturm über den Alpen. Mathias Schunk hob bei Sonnenaufgang um 5:37 Uhr in Königsdorf mit dem Quintus ab, er flog nach Innsbruck, drehte ab Richtung Wien, kehrte erst bei Rax am Alpen-Ostende wieder um, zurück durch das Karwendel bis nach Schruns. Dann noch einmal bis östlich des Dachsteins, wieder zurück nach Schruns - und dann wieder nach Königsdorf. Als er um 20.39 Uhr, sieben Minuten vor Sonnenuntergang, wieder in Königsdorf landete, nach 15 Stunden, hatte er 1750 Kilometer zurückgelegt. Europarekord, jedenfalls in absoluten Zahlen. Den offiziellen Rekord hält sein Vereinskollege Gerd Heidebrecht, der zwar nur 1746 Kilometer geflogen ist, aber in einem leistungsschwächeren Flugzeug unterwegs war, was Bonuspunkte gibt. Es ist einer der Gründe, warum der Geretsrieder Schunk sagt: "Es ist eine Sucht, die geilste Sportart der Welt."

Schunk meint nicht nur die Jagd nach der größten Weite, sondern jene nach dem Aufwind, der ihn weiter trägt und vor einer Außenlandung bewahrt. Eine Landung also außerhalb eines offiziellen Landeplatzes, beispielsweise auf dem Feld eines Bauern, was schon mal passiert. Immerhin zahlt die Haftpflichtversicherung dann etwaige Flurschäden und Ernteausfälle, aber Schunk vermittelt Segelflug-Junioren in Königsdorf auch eines: "Immer freundlich sein und sich entschuldigen, wenn so etwas passiert. Und gleich darauf hinweisen, dass der Schaden ersetzt wird." Ihm selbst hat nicht nur einmal ein Landwirt das festsitzende Segelflugzeug mit dem Traktor aus dem Feld gezogen.

Königsdorf mischt erfolgreich mit

Als Leistungssport wird Segelfliegen nicht unbedingt wahrgenommen, dabei gibt es neben Welt- und Europameisterschaften auch zwei Teamwettbewerbe, in denen Schunk und Königsdorf höchst erfolgreich mitmischen: Eine Bundesliga - und seit drei Jahren sogar eine internationale Alpenliga, die ein Ableger der Bundesliga für alle Alpen-Anrainer ist. Es sind Vereinswettbewerbe, die wohl die größte Spielfläche aller Sportarten in dieser Welt haben. Sie umfasst zigtausende Quadratkilometer.

Die Alpenliga hat Königsdorf mit Schunk im August gewonnen, drei Runden vor dem Saisonende, zum dritten Mal in Serie. Die Österreicher aus Kirchdorf/Micheldorf und die Südfranzosen aus Fayence hatten auf Platz zwei und drei keine Chance. Preisgeld gab es keines für den Sieg der Königsdorfer, die wie alle anderen lupenreine Amateursportler sind.

Es gibt kein Profitum bei den Segelfliegern

Auch in der Bundesliga gibt es kein Profitum, wo die besten 30 von immerhin rund 900 deutschen Klubs antreten. Königsdorf, das einzige Team, das südlich der Donau beheimatet ist, war dort schon dreimal Meister, 2003, 2006 und 2010. In der aktuellen Saison, die Ende August nach 19 Runden abgeschlossen wurde, reichte es nur zu Platz fünf - immerhin das beste Ergebnis seit 2012. Dafür verteidigte die U25 in der Juniorenliga ihren DM-Titel. Die Ligasaison ist damit beendet, aber noch nicht die Fliegerei. Bis Ende September läuft noch die deutsche Meisterschaft im Streckensegelflug, wo es um die weitesten Flüge geht.

Man darf sich solche Duelle natürlich nicht wie einen direkten Wettbewerb in luftigen Höhen vorstellen. Vielmehr starten die Piloten an den Ligen-Wochenenden von Ostern bis in den August hinein alleine. Das muss nicht vom Heimatflugplatz aus sein, sie können auch auf andere Plätze in ganz Deutschland ausweichen. Erreichen sie eine Mindestgeschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde, fließt ihr Flug in die Wertung ein. Je höher ihre Geschwindigkeit, desto besser. Das Ziel ist es, in zweieinhalb Stunden Flugzeit möglichst viele Kilometer zu fliegen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit geht am Ende in die Wertung ein.

Vincent Heckert im Segelflugzeug, Segelfliegen Mathias Schunk

„Mein Ziehsohn“: Vincent Heckert, 20, hat gerade mit Königsdorf die deutsche U25-Meisterschaft gewonnen.

(Foto: Vincent Heckert)

Die Daten werden dann schnell im Internet hochgeladen, auf entsprechenden Tracking-Seiten kann man auch den Flug live nachverfolgen, allerdings sieht man das Segelflugzeug dort nur als kleinen Punkt. Es wurde schon vieles probiert, um den Sport für Außenstehende attraktiver zu machen, Bordkameras zum Beispiel, Leinwände am Boden mit dem direkten Vergleich. Durchgesetzt hat sich das aber nicht. "Der sportliche Vergleich ist nicht zuschauerfreundlich und kaum vermittelbar", sagt Schunk.

Dennoch ist seine Liebe zu den Lüften fest in seiner DNS verankert. Schon sein Vater war Segelflieger. Er nahm ihn immer mit zum Flugplatz nach Königsdorf, dort spielte der Kleine dann im Sandkasten, während sich Papa wie üblich vom Motorflugzeug oder per Seilwinde in die Lüfte ziehen ließ. Mit 14 hatte Mathias Schunk dann seinen ersten Alleinflug, mit der am anderen Ende der Startbahn befestigten Winde wurde sein Bergfalke in die Luft gezogen, der Flug dauerte nur ein paar Minuten. "So etwas vergisst man sein Leben lang nicht", sagt Schunk, der ohnehin das Zusammengehörigkeitsgefühl auf dem Flugplatz liebt: "Ich kenne keinen Sport, wo die Jugend und die Senioren so sehr verbunden sind. Jeder braucht jeden, ob Pilot, Schlepppilot oder Windenfahrer."

Er war dann bald in der Junioren-Nationalmannschaft, studierte, machte seinen Pilotenschein. Und kam nicht mehr vom Fliegen weg, beruflich wie privat. Seine Frau Pia fliegt auch, lässt ihre Lizenz aber gerade ruhen. Die Kinder sind dagegen auf dem Boden geblieben: Franziska, 17, spielt erfolgreich Ultimate Frisbee, Julian, 19, ist ein sehr guter Leichtathlet und betreibt Modellflug, Marie, 24 hat zwar ein paar Schulstarts gemacht, aber findet es schöner, sich Meisterschaften von unten anzuschauen. So lehrt Schunk andere Talenten in Königsdorf das Fliegen, Vincent Heckert beispielsweise. Schunk nennt den 20-Jährigen "mein Ziehsohn".

Sein höchster Flug führte Schunk in Südfrankreich einmal auf 6500 Meter. Schon auf halber Höhe setzen sich die Piloten üblicherweise eine Sauerstoffkanüle in die Nase, zudem brauchen sie Mütze, Sonnenbrille, Sonnencreme fürs Gesicht, eine Brotzeit und viel Trinkwasser. Die Höhensonne brennt brutal herunter.

Schunks Traum ist, die 2000-Kilometer-Strecke zu schaffen, einen neuen Europarekord also. Und irgendwann, wenn Zeit genug ist, mal nach Südamerika zu reisen, in die Anden. Dorthin, wo die Winde Weltrekorde ermöglichen. Wo der Kondor fliegt, einer der größten Greifvögel der Welt. Mathias Schunk wird dem Meister der Thermik folgen, mitten in den Aufwind hinein.

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