Süddeutsche Zeitung

Seehofer-Nachfolge:Ilse Aigner startet Offensive

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Von Wolfgang Wittl

Wann Ilse Aigner die Nase endgültig voll hatte, das lässt sich schwer sagen. Anlässe gibt es ja genug. Da sind die ständigen Sticheleien von Parteifreunden. Die Probleme in der Energiewende, die nicht recht vorankommen will. Der andauernde Kampf um Schlagzeilen, obwohl sie doch nur Politik machen will. Aber damit ist jetzt Schluss.

Ilse Aigner sitzt in ihrem Ministerbüro und nippt an einem Cappuccino. "Ich bin ein sehr geduldiger Mensch", sagt sie: "Aber wenn man mich zu viel reizt, wird's haarig." Und was das bedeutet, war in den vergangenen Tagen zu beobachten.

Noch rätseln sie in der CSU, ob es sich um einen Zwergenaufstand handelt oder ob Aigner es ernst meint. Ob sie wirklich bereit ist, Markus Söder herauszufordern, mit allem, was dazugehört. Ob sie sich von Horst Seehofer emanzipieren kann. Seehofer ist Parteichef und Ministerpräsident. Sein schärfster Rivale Söder tritt auf, als wäre er beides schon. Für die nette Ilse ist da kein Platz mehr. Dachte man. Bis sie auf einmal gar nicht mehr so nett war.

Aigner formuliert furchtlos

Vor gut zwei Wochen spricht Aigner erstmals Klartext. Bei diffizilen Themen blubbern die Worte manchmal aus ihr heraus wie aus einem Thermomix. Dann fällt es schwer, diesen Buchstabenbrei zu sinnvollen Sätzen zusammenzurühren. Diesmal ist es anders. Es geht um eine Einschätzung Seehofers für eine Seite-Drei-Reportage in der SZ, Aigner formuliert deutlich, präzise und vor allem: furchtlos. "Sehr taktisch" denke der Ministerpräsident, er habe "das Talent und die Neigung, durch Zuspitzung Aufmerksamkeit zu schaffen". In der Partei werden die Worte mit Staunen begleitet. Kommt da etwa noch mehr?

Tage später, Söder grätscht Aigner zum Verlauf der Stromtrassen mit einer Pressekonferenz ins Ressort, ohne sich abzustimmen. Alles nur, um der Ilse zu helfen, flötet Söder. Aigner ist erbost, wie schon so oft. Jetzt aber lässt sie den Ärger raus. Im Kabinett spricht sie das Thema offensiv an. Im BR legt sie nach: Es gehe nicht um den Erfolg einer einzelnen Person. Und: "Es gibt wohl keinen, der ein Universalgenie ist." Die CSU staunt noch mehr.

Vergangenes Wochenende, der Spiegel berichtet, Seehofer erwäge die Wahlen zum Parteichef vorzuziehen und sich bis 2018 bestätigen zu lassen. Obwohl das gar nicht geht, gerät die Partei in Aufruhr. Seehofer gegen Söder, Söder gegen Seehofer - wieder überlagern die personellen Debatten alles andere. Keiner weiß angeblich, wer das Gerücht gestreut hat, das Seehofer eher schadet.

Sie maßregelt Seehofer

Jeder dementiert. Die Partei ist genervt. Niemand aber äußert sich so forsch wie Aigner im Münchner Merkur: Wie man sich "zu diesem Zeitpunkt eine solche Auseinandersetzung und eine solche Berichterstattung leisten" möge, könne sie nicht nachvollziehen: "Nach außen wirkt das wie ein Konflikt zwischen zwei Machtmenschen." Nun ist die Partei baff. "Sehr mutig", heißt es dazu nur.

Seehofer so offen zu maßregeln, das hat noch keiner gewagt. Auch Söder nicht. Im Grunde zielt Aigners Attacke aber auf den ehrgeizigen Finanzminister. Es gehe um die Frage, was eine Persönlichkeit mitbringen müsse, um Bayern zu führen: "Muss sie auch ausgleichend und integrativ wirken oder reicht es, zu polarisieren?" Ausgleichend, integrativ, damit meint Aigner sich. Der Polarisierer ist Söder. Dass auch der Machtmensch Seehofer einen Streifschuss abbekommt, nimmt Aigner offenbar billigend in Kauf.

Seehofer rüffelt seine Wirtschaftsministerin, ohne ihren Namen zu nennen. Aigner steckt das weg. Tapferkeit vor dem Parteifreund - so könnte man ihre jüngsten Äußerungen wohl bezeichnen.

Was sie damit bezweckt, dazu kursieren unterschiedliche Auffassungen. Eine Verzweiflungstat vermutet mancher, die Ilse wolle noch schnell auf den Zug zum Machtzentrum aufspringen, ehe er ohne sie abfahre. CSU-Kenner glauben, ihr Aufbäumen werde ohne größeren Nutzen bleiben. "Glaubwürdiger wäre sie gewesen, wenn sie nicht für sich selbst geworben hätte", sagt ein Vorstandsmitglied.

Andere sind einfach nur froh, dass Aigner nun gleich mehrere Lebenszeichen gesendet hat. Im eigentlich mächtigen CSU-Bezirk Oberbayern, den die 51-Jährige anführt, hat die Vergewisserung der eigenen Stärke zuletzt in dem Maß gelitten, in dem Söder seinen Einfluss Richtung Alpen zu erweitern versucht. Man habe regelrecht ersehnt, dass Aigner endlich zurückschlage, sagt ein oberbayerischer CSU-Mann. Und frohlockt fast: "Sie kämpft." Auch jene, die mehr Sachpolitik und weniger Geplänkel anmahnen, sind Aigner dankbar.

Die Sache, das könnte der wichtigste Grund sein für Aigners Aufbegehren. Parteivorsitz? Ministerpräsident? "Wir haben wirklich andere Probleme. Mir geht es um den Gesamterfolg", sagt sie. Bei ihr klingt das sogar plausibel. Aigner ist geprägt vom bedächtigen Regierungsstil Angela Merkels, saß als Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin in deren Kabinett, ehe Seehofer sie zur Landtagswahl 2013 zurück nach Bayern holte.

Zu viel Testosteron, zu wenig Konzentration in der Landespolitik

Welch politischer Kulturbruch für sie damit einhergehen würde, hat sie wohl nicht für möglich gehalten. Permanentes Schaulaufen anstatt einfach die Arbeit zu verrichten, das ödet sie an. Zu viel Testosteron, zu wenig Konzentration, so könnte man das sagen.

Doch auch die Arbeit geht nicht wie erhofft von der Hand. Seehofer greift häufig ein, erklärt Energiethemen zur Chefsache, Medien stürzen sich darauf. Und immer wieder Söder. Dass auch er vom Ministerpräsidenten ausgebremst wird, etwa bei den Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich, findet aber kaum ein Echo.

Auch weil Söder wie ein Feuerwerksmeister bereits das nächste Thema zündet. Überbringt der Heimatminister einen Förderbescheid von 500 Euro, lacht ein Bürgermeister neben ihm aus der Lokalzeitung. Überreicht die Wirtschaftsministerin einem Unternehmer einen Scheck von fünf Millionen Euro, will der erst gar kein Foto. Nicht dass andere Firmen neidisch werden.

Ihre größte Stärke: Ausstrahlung

Eine Zeitlang versuchte Aigner, den Medienprofi Söder zu kopieren. Im letzten Sommer lud sie publikumswirksam zu einem Gespräch in die Münchner Bavaria, aber selbst Vertraute finden, dann sei Aigner nicht sie selbst. Monate schluckte sie ihren Frust und beraubte sich so wohl ihrer größten Stärke, ihrer Ausstrahlung.

Inzwischen lacht Aigner wieder öfter, auch über sich selbst. Am Nockherberg legte ihr Double ein fulminantes Solo als hausbackene Ilse hin, beklagt mit Spinnweben auf der Strickweste ihr Leid des Vergessenseins. Dann reißt sie sich die Kleider vom Leib, zum Vorschein kommt ein Glitzergirl. Aigner lacht Tränen. Söder neben ihr blickt drein, als rechne er durch, wie sich dieser Auftritt auf die Umfragen auswirkt.

Eineinhalb Jahre zu spät komme Aigners Offensive, findet ein Abgeordneter, erdrückend sei Söders Hausmacht in der Fraktion und Partei. Die CSU schart sich stets hinter dem Stärksten. Andere trauen Aigner die Metamorphose von der verstaubten Dirndlträgerin zum mitreißenden Showgirl auch auf der politischen Bühne noch zu. Nicht so viele wie früher, aber seit zwei Wochen wieder ein paar mehr.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2016
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