Seehofer in Tschechien:Wenn das Eis bricht

Nach fast 20 Jahren der politischen Sprachlosigkeit besucht Horst Seehofer als erster bayerischer Ministerpräsident Tschechien. Zu besprechen gibt es viel.

Klaus Brill und Mike Szymanski

Horst Seehofer zeigt das Schreiben stolz her. Er hält eine Einladung in den Händen, Tschechiens Ministerpräsident Petr Necas hat ihm geschrieben. Endlich ist Seehofer im Nachbarland willkommen. Noch vor Weihnachten fährt er für zwei Tage nach Prag. Es ist nicht nur eine Auslandsreise von vielen, die Seehofer am 19. Dezember antritt. Es ist eine historische Reise, auf die nicht nur er lange gewartet hat.

Bezirksparteitag der CSU Oberfranken

Horst Seehofer fährt als erster bayerischer Ministerpräsident nach Tschechien.

(Foto: dpa)

Das bayerisch-tschechische Verhältnis ist belastet, lange Zeit traf der Begriff von der Eiszeit, die herrsche, die Stimmungslage gut. Es geht vor allem um die Vergangenheit, die zu Streit führte und das auch noch immer tut. Kaum zu reden ist mit den Tschechen über die von den Sudetendeutschen seit 65 Jahren verlangte Aufhebung der Dekrete des damaligen Staatspräsidenten Edvard Benes, mit denen die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen legitimiert und straffrei gestellt worden waren. Bisher war ein offizieller Besuch am Streit darüber gescheitert.

Seehofers Vorvorgänger Edmund Stoiber war in 14 Jahren Amtszeit nicht ein Mal in offizieller Mission nach Prag gereist - nun fährt Seehofer als erster bayerischer Ministerpräsident überhaupt zu einem offiziellen Besuch. Er sagt, er wolle auf politischer Ebene einen "Neuanfang" in den Beziehungen wagen. In wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht ist ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis längst Alltag.

Dennoch gibt es immer wieder Reibereien im Alltag: Die Prager Regierung klagt seit Monaten über die zahlreichen Polizeikontrollen, die die Bayern nach dem Wegfall der Grenzsperren auf den Fernstraßen machen. Die sogenannten Schleierfahnder sollen tschechische Staatsbürger dabei herablassend und grob behandelt haben und allein schon wegen eines tschechischen Nummernschildes auf mögliche Vergehen geschlossen haben.

Die Bayern sind ihrerseits beunruhigt über die Pläne der Prager Regierung für einen weiteren Ausbau des Atomkraftwerks in Temelin bei Budweis, das von der bayerischen und österreichischen Grenze nur je 60 Kilometer entfernt ist. Dort soll ein weiterer Meiler gebaut werden, außerdem wird über ein Atomendlager nachgedacht. Viele Bürger haben Angst vor möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit.

Im Nationalpark Böhmerwald will der neue Umweltminister Pavel Drobil den Borkenkäfer massiv bekämpfen. Nebenan, im Nationalpark Bayerischer Wald, dagegen lässt man den Borkenkäfer fressen - das entspricht der Philosophie der Naturnähe. Bisher hatten das auch die Tschechen so gehalten.

"Der Besuch soll ein Türöffner sein"

Und gerade hat ein Gericht entschieden, dass der Stadtwald von Cheb, der auf bayerischem Boden liegt, wieder von der Stadt Cheb bewirtschaftet werden darf - die Bayern hatten ihn vor Jahrzehnten unter Treuhandverwaltung gestellt und wollten das auch nach dem Beitritt Tschechiens zur EU weiter so halten. Das geht nicht, erklärte das Gericht.

Genug Gesprächsthemen für mehr als zwei Tage also. Geplant sind Treffen mit dem konservativen Ministerpräsident Necas und anderen Regierungsmitgliedern. Möglicherweise wird Seehofer auch von Staatspräsident Vaclav Klaus empfangen. Einen hohen Repräsentanten der katholischen Kirche wolle er unter anderem mitnehmen, kündigt Seehofer an, im Gespräch ist der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx. Seehofer kann ein Treffen mit dem katholischen Erzbischof Kardinal Dominik Duka sowie Vertretern der Prager Jüdischen Gemeinde erwarten.

Auf jeden Fall soll der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt mitfahren, der auch Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und führender Mann der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist. Als noch der Geist der Konfrontation herrschte, war dies nicht gewünscht. Aber die Beziehungen haben sich in den vergangenen Jahren entspannt. Nur direkte Gespräche mit der Landsmannschaft über die Vertreibung der rund drei Millionen deutschsprachigen Bewohner der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg werden in Prag nach wie vor abgelehnt. In welcher Weise Seehofer das Thema Benes-Dekrete anpackt, wird eine der interessanten Fragen sein.

Seehofer sagt, er wolle bewusst nicht zu hohe Erwartungen wecken. Von "heute auf morgen" sei ein jahrzehntelang angespanntes Verhältnis nicht zu normalisieren. Für ihn ist der Besuch ein Anfang, ein erster Schritt nur, dem weitere folgen müssen. "Jetzt schauen wir, dass wir das alles mit großer Ruhe durchführen", sagt Seehofer. Und Begleiter Posselt erklärt: "Der Besuch soll ein Türöffner sein."

Diskussion über Vertreibung

Stoiber hatte die Benes-Dekrete nachdrücklich zum Thema gemacht, zum Ende seiner Amtszeit allerdings schon Fäden zum damaligen sozialdemokratischen Regierungschef Jiri Paroubek geknüpft, der einem Besuch offen gegenüberstand. Paroubeks Abwahl 2006 und Stoibers Sturz 2007 zerschlugen diese Pläne, danach scheiterten auch die Ministerpräsidenten Günter Beckstein und Mirek Topolanek, ehe ein offizielles Treffen zustande kam.

Intensiver als früher wird in Tschechien öffentlich über die Vertreibung der Sudetendeutschen diskutiert, erst jüngst hob man in Dobronin bei Jihlava ein Massengrab aus, wo vermutlich 1945 Sudetendeutsche ermordet worden waren. Andererseits hatte jüngst Posselt als Vertreter der Sudetendeutschen ein Zeichen gesetzt, als er bei einer Reise mit dem bayerischen Kultusminister Ludwig Spaenle zunächst die Gedenkstätte Lidice als Ort eines Nazi-Massakers und das frühere KZ Theresienstadt besuchte.

Erst danach legte er auch an der Elbe-Brücke bei Aussig einen Kranz nieder, wo 1945 mehr als 50 deutsche Mitbürger von Tschechen umgebracht worden waren. Seehofer wird solche historische Orte womöglich erst bei einer weiteren Reise nach Tschechien im Frühjahr besuchen.

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