Seehofer in Prag:In der Hoffnung auf einen neuen Anfang

Als erster bayerischer Ministerpräsident ist Horst Seehofer nach Prag gefahren. Beide Seiten streben nach Entspannung, doch das deutsch-tschechische Verhältnis bleibt schwierig.

Klaus Brill

Es hat im europäischen Mittelalter eine Zeit gegeben, da war es nicht so wichtig, wer welcher Nationalität war und welche Sprache sprach. Das politische Gerüst des Zusammenlebens bildete nicht der Nationalstaat, sondern der Personenverband einer Dynastie. Und es gab Formen menschlicher und kultureller Nachbarschaft, die noch durch keinerlei nationalistische Vorurteile oder Überheblichkeiten getrübt waren.

Schnee in Sachsen

Wohlweislich hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer das Auto genommen - nicht nur das schlechte Wetter macht die Fahrt nach Prag zum Hindernislauf. Die Bahnverbindung ist schlecht und langwierig. Auch das soll besser werden.

(Foto: dapd)

Dies trifft zum Beispiel auf das Verhältnis zwischen Tschechen und Bayern zu. Wenn an diesem Montag Ministerpräsident Horst Seehofer in Prag nach 17 Jahren Eiszeit von seinem Kollegen Petr Necas empfangen wird, dann wird man die historischen Phasen der gegenseitigen Befruchtung gewiss beschwören. In Bayern wie in Böhmen waren keltische Boier die ersten namentlich bekannten Siedler, und heute steht nicht nur die Trias von Knödel, Kraut und Fassbier symbolhaft für die kulturanthropologische Nähe.

Dazwischen lag die mittelalterliche Phase der Erschließung des Ödlands. Die Premysliden-Herrscher warben Bauern, Kauf- und Bergleute aus der deutschsprachigen Nachbarschaft an. Diese keineswegs integrationswilligen Migranten waren den Tschechen entwicklungstechnisch teilweise überlegen.

Der hier grundgelegte Hochmut, verbunden mit der Arroganz der deutschsprachigen Beamtenkaste, die später aus Wien mit der Herrschaft der Habsburger ins Land kam, hat auf Jahrhunderte die Tschechen jenen Demütigungen ausgesetzt, die im 19. Jahrhundert das "nationale Erwachen" bewirkten und zur Gründung der Tschechoslowakei führten. Die Deutschen waren nun im Land eine Minderheit, die benachteiligt wurde. Es folgten die Gräuel der Nazi-Besatzung und 1945/46 die Vertreibung der drei Millionen deutschsprachigen Bewohner.

Historisch gesehen hat es seine innere Logik, wenn gerade das bayerisch-tschechische Verhältnis so lange blockiert war durch historischen Ballast. Wer über den Böhmerwald hinweg Frieden und gute Nachbarschaft halten will, kommt an der schwierigen Geschichte nicht vorbei.

Dabei kann an zwei geschichtlichen Tatsachen kein Zweifel bestehen. Die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen war eine ethnische Säuberung reinsten Wassers, ein Racheakt, aufgrund dessen die Sudetendeutschen bis heute mit dem Verlust der Heimat für die Verbrechen Hitlers zahlen. Vorausgegangen war aber das Terrorregime der Nazis, welche die Tschechen als "slawische Untermenschen" betrachteten und eine "Umvolkung" planten.

Eine neue Zeit

Es erscheint als widersinnig und beschämend, dass Tschechen und Sudetendeutsche sich über die Bewertung dieser Ereignisse jahrzehntelang nicht verständigen konnten. Tatsächlich aber ist erst jetzt die Zeit für eine gemeinsame Sicht und einen offenen Dialog gekommen. In Tschechien ist eine Diskussion im Gang, bei der junge Leute die Vertriebenen als "unsere Deutschen" betrachten und ihre historische Kultur erforschen. Die Zeit, in der man die Vertreibung nur als Abschub bezeichnete, geht zu Ende.

Lang hat man andererseits auf ein unzweideutiges Zeichen der Sudetendeutschen Landsmannschaft gewartet, das den Wandel befördern könnte. Ihr Sprecher Bernd Posselt hat es jetzt gesetzt, indem er jüngst auf einer Tschechienreise mit dem bayerischen Kultusminister Ludwig Spaenle erst die Gedenkstätte des Nazi-Massakers von Lidice, dann das frühere KZ Theresienstadt und erst danach die Brücke von Aussig besuchte, wo 1945 zahlreiche Deutsche ins Wasser gestoßen worden waren.

Posselt bat explizit das tschechische Volk um Vergebung für den sudetendeutschen Anteil an den NS-Verbrechen. Der Auftritt wurde nicht nur bei der Prager Regierung, sondern auch in den Medien als bedeutendes Signal vermerkt. Dieser Montag in Prag ist deshalb der Tag, an dem ein neuer Anfang gemacht werden kann.

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