Sea-Eye:Wie ein Handwerker Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten will

'Sea-Eye e.V.' (www.sea-eye.org)

Michael Buschheuer hat einen Verein gegründet und ein Schiff ausgerüstet, das demnächst ins Mittelmeer fährt.

(Foto: Dietmar Gust)

Mit einem alten Fischkutter will Michael Buschheuer vor der libyschen Küste Flüchtlinge aus dem Wasser ziehen.

Von Andreas Glas, Regensburg

Michael Buschheuer hat die Frage gerochen, er lächelt. Weil er sich freut, gleich mit einer Gegenfrage zu antworten. Die Frage kommt zurzeit ja ständig: Ist es überhaupt erlaubt, was er da vor hat? "Und wenn es nicht erlaubt ist?", fragt Buschheuer zurück. Er provoziert jetzt, schaut seinem Gegenüber lange in die Augen, dann sagt er: "Wenn jemand ertrinkt, hilft man ihm. So einfach ist das."

Es ist nicht verboten, was Buschheuer plant, aber reguliert ist es halt auch nirgendwo. Am 22. Februar wird sein Kutter in Rostock auslaufen, mit acht Mann Besatzung, der Kutter wird von der Ostsee in die Nordsee fahren, durch den Ärmelkanal und über die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer schippern. Fünfeinhalb Monate wird die Sea-Eye danach im Mittelmeer kreuzen - um Flüchtlinge zu retten, deren Boote in Seenot geraten sind.

Michael Buschheuer, 38, sitzt auf einem Barhocker in seiner Firma. Die Firma für Korrosionsschutz liegt am Regensburger Hafen - einer stählernen Landschaft aus Kränen, Schiffscontainern und Öltanks. Buschheuer ist keiner dieser Chefs, die sich im Büro verschanzen. Er trägt Dreitagebart, hat ein breites Kreuz, hat Haare auf der Brust und Dreck unter den Fingernägeln. Er ist ein Anpacker.

Gerade einmal sechs Prozent des Budgets stehen

Er greift nach seinem iPad, zeigt auf eine Landkarte des Mittelmeerraums. Die Küsten vor Apulien und Sizilien sind gelb markiert, auch die Gewässer rund um Malta und Lampedusa - hier patrouilliert die EU-Grenzagentur Frontex mit Schiffen, Flugzeugen, Hubschraubern. Dann wandert sein Zeigefinger in Richtung Süden, zur libyschen Küste. Dort sind drei fette, schwarze Kreuze markiert. Dort patrouilliert Frontex nicht. Dort sind im vergangenen Jahr mehrere Hundert Menschen ertrunken. Dort will Buschheuer hin.

"Irgendwann kann man nicht mehr zuschauen, irgendwann muss man was tun", sagt er. Der Tag, an dem er nicht mehr zuschauen konnte, nicht mehr wollte, war ein Tag im April 2015. Damals waren binnen weniger Tage 1400 Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben, darunter viele Kinder. Er hat die Fernsehbilder gesehen, hat nächtelang schlecht geschlafen, hat hin und her überlegt, "dann war der Entschluss gereift, etwas zu tun". Mit Verwandten und Freunden gründete er den Verein "Sea-Eye", im Oktober kaufte die Gruppe in Rostock die Sternhai, einen alten Fischkutter, der inzwischen Sea-Eye heißt.

'Sea-Eye e.V.' (www.sea-eye.org)

Die frühere Sternhai ist ein halbes Jahrhundert alt und stammt noch aus Zeiten der DDR. Einst wurde sie für den Fang von Dorsch und Hering benutzt.

(Foto: Dietmar Gust)

An diesem Mittwoch werden Buschheuer und ein Teil seiner Gruppe damit beginnen, den Kutter einsatzbereit zu machen. In einer Rostocker Werft werden sie den Schiffsbauch lackieren, werden Funk und Elektrik auf Vordermann bringen, werden an Deck einen Kran montieren. Die Arbeit in der Werft, die Überführung ins Mittelmeer, der Sprit, die 700 Schwimmwesten, die aufblasbaren Rettungsinseln - unterm Strich könnte die Mission eine Viertelmillion Euro kosten.

Buschheuer hofft darauf, dass genug Spenden eingehen

"Wir sind auf Spenden angewiesen", sagt Buschheuer, "aber bis jetzt stehen nur sechs Prozent des Budgets". Platzt die Mission also doch noch? Wieder lächelt er, wieder sucht er den Blickkontakt, ein paar Sekunden lang. Dann sagt er, dass keine Zeit mehr bleibe. Keine Zeit, um abzuwarten, bis das Geld beisammen ist. Er sagt, dass die Flüchtlinge im Mittelmeer sofort Hilfe bräuchten. "Ich bin mir sicher, wir werden das Projekt umsetzen. Es war ja vor fünf Monaten auch nicht absehbar, dass wir ein Schiff und so viele qualifizierte Leute finden. Und trotzdem haben wir sie gefunden." Er wird also losfahren - und hoffen, dass während der Mission genug Spenden auf dem Sea-Eye-Konto eingehen.

Die Crew besteht zur Hälfte aus Kapitänen, aus Matrosen und Fischern, zur anderen Hälfte aus Nicht-Seeleuten. Alle machen freiwillig mit, ohne Bezahlung. Um mitzufahren, "müssen Sie kein Voll-Seemann sein, aber Sie sollten sich selbst kennen", sagt Buschheuer. "Sie sollten wissen, dass sie zehn Tage mit acht Mann an Bord aushalten, ohne einen Gruppenkoller zu kriegen." Zehn Tage, acht Mann - dann wechselt die Crew, dann kommen die nächsten acht Mann, wieder zehn Tage, danach wird erneut gewechselt, das wird der Rhythmus auf der Sea-Eye sein. Auch Michael Buschheuer wird nicht pausenlos mit an Bord sein. "Das ist völlig ausgeschlossen, ich habe eine Familie und eine Firma, die mich sehr fordert."

Er hat also weder Geld noch Zeit für die Mission. "Aber darum geht es nicht", sagt Buschheuer. "Es geht darum, mit welchem Gefühl ich weiterleben will." Ihm sei bewusst, dass er im Mittelmeer Bilder sehen werde, die er nie im Leben sehen wollte. "Aber die andere Entscheidungsmöglichkeit ist die, dass man wegschaut. Und mit beidem muss man zurechtkommen: Mit den Bildern, die man sieht, und mit denen, vor denen man die Augen verschließt. Ich mache lieber die Augen auf."

Buschheuer orientiert sich an der "Operation Sea-Watch"

Es ist das zweite Projekt dieser Art in Deutschland. Die "Operation Sea-Watch", ins Leben gerufen von einem Brandenburger Unternehmer, konnte zwischen Juni und Oktober 2015 mehr als 2000 in Seenot geratene Menschen finden und versorgen. An diesem Projekt will sich Buschheuer orientieren: "Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe, die Leute wie ein Taxi hin und her zu fahren. Unsere Verantwortung ist es, die Leute zu finden."

Dann werde man sofort einen Seenotruf absetzen, um die italienische oder maltesische Küstenwache zu holen. Die eigene Aufgabe werde sein, die Flüchtlinge in der Zwischenzeit über Wasser zu halten. "Das kann zehn Stunden oder länger dauern, das ist abhängig vom Wetter, von der Schiffsposition und davon, ob bei der Küstenwache gleichzeitig mehrere Notrufe eingegangen sind."

Dass so viele Menschen nicht helfen, sondern nur diskutieren, ob Deutschland die vielen Flüchtlinge aufnehmen und integrieren kann, findet Michael Buschheuer "völlig absurd". Er ist sich sicher: "Wenn vor deren Haustür jemand ertrinken würde, dann würden sie nicht schauen, ob der einen Pass in der Tasche hat. Sie würden ins Wasser springen und helfen."

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