Süddeutsche Zeitung

Schwurgerichtssaal 600:"Touristen wollen fotografieren"

Hier wurde Völkerrecht geschrieben, und dennoch wird der Nürnberger Schwurgerichtssaal 600 für Besucher kaum zu sehen sein. Richter Richard Caspar verrät den Grund.

Olaf Przybilla

Im November soll im Nürnberger Justizgebäude das "Memorium Nürnberger Prozesse" eröffnet werden. Mit dem neuen Museum macht sich die Stadt Hoffnungen auf einen Weltkulturerbe-Titel, denn der Saal gilt als eine Wiege des Völkerstrafrechts. Durch vier Luken im Dachgeschoss über dem Schwurgerichtssaal600 - in dem nach 1945 den Hauptverantwortlichen des Nazi-Terrors der Prozess gemacht wurde - sollen die Museumsbesucher einen Blick in den Gerichtsraum werfen können, auch wenn dort gerade ein Mord verhandelt wird. Olaf Przybilla sprach mit dem Vorsitzenden der Nürnberger Schwurgerichtskammer, Richard Caspar, darüber, ob die künftigen Besucher des Museums den Saal auch wirklich besichtigen können.

SZ: Herr Caspar, Sie können durch einen Knopfdruck die Luken des Saals 600 verdunkeln. Wenn im Schwurgerichtssaal gerade verhandelt wird - in welchen Fällen beabsichtigen Sie, die vier Luken in der Wand des Saales zu verdunkeln?

Caspar: Ich habe mir noch keine abschließenden Gedanken darüber gemacht. Momentan aber würde ich sagen: Immer wenn verhandelt wird, werde ich die Luken verdunkeln müssen.

Ist das nicht ein Problem?

Das war allen Beteiligten von vornherein klar. Die Entscheidung darüber, ob die Luken geöffnet bleiben oder geschlossen werden, kann nur bei den Vorsitzenden der Strafkammern liegen.

Sie planen die Luken also auch während des öffentlichen Teils der Verhandlung zu verdunkeln?

Das beabsichtige ich. Es ist ja so: Wenn oben an den Luken im Dachgeschoss jemand Fotos von einer Verhandlung machen will, dann könnte er das von November an tun, zumindest mit einem Teleobjektiv. Das kann ich unter keinen Umständen kontrollieren. Und da ich es während der Verhandlung nicht kontrollieren kann, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als diese Möglichkeit zu verhindern.

Haben Sie darüber schon mit den Mitarbeitern des gerade entstehenden Museums gesprochen?

Es soll demnächst ein Gespräch darüber stattfinden. Aber selbst wenn das Museum während der Verhandlungen nur mit Führung betreten werden dürfte: Eine Gewähr dafür, dass von dort oben niemand Bilder machen kann, erschiene mir auch dann fraglich.

Meinen Sie?

Ich war kürzlich auf Schloss Neuschwanstein zu Besuch. Da sagt uns der Mann, der durch die Säle führt, natürlich: Bitte hier in den Schlossräumen keine Bilder machen! Ich habe beobachten können, dass nicht jeder gewillt war, sich daran auch zu halten.

Sind Sie der einzige Vorsitzende Richter, der im Schwurgerichtssaal600 Verhandlungen leitet?

Grundsätzlich schon. Aber momentan wird im Nürnberger Justizgebäude ein großer Drogenprozess verhandelt. Die Kollegen brauchen viel Platz, und es ist auch von Vorteil, wenn der Verhandlungsraum klimatisiert ist. Die Sache wird deshalb im Saal600 verhandelt.

Sie verhandeln mindestens zweimal pro Woche. Zusammen mit dem Drogenprozess wird momentan also an bis zu vier, möglicherweise sogar allen fünf Werktagen im Saal600 verhandelt?

Das kann im Ausnahmefall so passieren. Die Regel aber ist das nicht.

Im öffentlichen Teil der Sitzung dürfen Besucher den Saal aber betreten?

Grundsätzlich schon. Sie müssen aber wissen, dass während laufender Prozesse ein direkter Zugang vom Museum in den Schwurgerichtssaal nicht möglich sein wird. Andererseits muss natürlich gewährleistet sein, dass Besucher einem öffentlichen Prozess beiwohnen können.

Schwierig oder?

Schon. In der Verhandlung muss sichergestellt sein, dass die Besucher - aus welchem Grund sie auch immer gerade im Saal sind - nicht plötzlich anfangen zu fotografieren. Während der Verhandlung ist das laut Gerichtsverfassungsgesetz verboten. Im Handyzeitalter dürften diese Kontrollen schwer zu bewerkstelligen sein. Jeder weiß: Touristen wollen fotografieren, Verbote hin oder her.

Zumal die Schülergruppen, die sich den Saal anschauen wollen.

Das befürchte ich auch.

Von November an werden in Nürnberg pro Jahr mehrere zehntausend Besucher erwartet, die einen Blick in den weltberühmten Gerichtssaal werfen wollen. Wäre es da nicht sinnvoll, Morde künftig woanders zu verhandeln?

Ich hätte überhaupt kein Problem damit, wenn ein geeigneter Ersatzraum zur Verfügung stehen würde. Aber eines wurde in den 18Monaten, in denen der Schwurgerichtssaal zuletzt renoviert wurde, für alle Prozessbeteiligten klar: Die Ersatzräume im Nürnberger Justizgebäude eignen sich nicht für große Prozesse. Wir können also nicht umziehen. Solange nicht gleichwertige Räume zur Verfügung stehen, werden die Besucher des Memoriums damit rechnen müssen, dass der Saal600 gerade benötigt wird.

Ohne einen neuen großen Gerichtssaal für Mordprozesse - erfüllen die Luken dann überhaupt ihren Sinn?

Ich denke schon. Zum einen, weil ein Blick von dort gewährt wird, der bei einer Besichtigung so nicht möglich wäre. Und übrigens auch, weil es regelmäßig genug sitzungsfreie Tage geben wird. Nicht zu vergessen die Sitzungspausen - auch in der Zeit wird man die Räume aus einer ganz neuen Perspektive sehen können.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2010/hai
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