Technisch gesehen, sagt Torsten Gollewski, könne der autonome Shuttle längst fahren: mit bis zu 42 Stundenkilometern und 22 Menschen an Bord - ohne Fahrerin oder Fahrer. Gesteuert mit Kameras, Radaren und Lidaren, einer Art Laser; die Technik erfasst Ampeln und Hindernisse auf der Strecke. Dazu ein elektrischer Antrieb, an Haltestellen laden die Batterien in etwa einer Minute wieder auf. Auch Praxiserfahrungen könne man vorweisen, sagt der Leiter für Autonome Mobilitätssysteme bei der ZF Friedrichshafen AG mit Sitz in Schweinfurt. In Rotterdam etwa fahre der Shuttle bereits. Gollewski hätte ihn lieber heute als morgen auch auf bayerischen Straßen. Angesichts der Klimakrise, sagt der Ingenieur, "muss das Angebot des ÖPNV ohnehin mindestens verdoppelt werden".
Gehören also bald autonom fahrende Busse im bayerischen Stadtbild ganz selbstverständlich dazu? Das Interesse jedenfalls ist da. An diesem Donnerstag stellte ZF in Schweinfurt auf einer Teststrecke den neuen Shuttle öffentlich vor. Konkrete Anfragen lägen bereits vor, sagt eine ZF-Sprecherin, von sechs fränkischen Kommunen etwa, die ihren Verkehr entlasten wollten. Kürzlich waren Stadträtinnen und Stadträte aus Schweinfurt da. Die Idee: Intelligent getaktete E-Shuttles, die im Idealfall vorrangig zu normalen Autos fahren, sollen langfristig private Wagen von den Straßen verdrängen, Staus reduzieren und Emissionen senken. Dann, sagt Gollewski, könne man Platz für Grünflächen schaffen, die vielen Parkhäuser in "hochwertigen Lebensraum" umwandeln, teils Fahrbahnen freimachen für Fahrräder. So weit die Theorie.
Bis zur Praxis ist es noch ein weiter Weg. Auch ZF muss vor jedem Shuttle-Einsatz eine Machbarkeitsprüfung leisten, Kosten, Gefahrenquellen, die Konnektivität mit Ampeln berechnen. Und ZF ist nicht ohne Konkurrenz. Eine Liste des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen führt bundesweit gut zwei Dutzend Pilotprojekte für autonome Busse. Eines der bekanntesten ist auch eines der ältesten: Seit 2017 ist im niederbayerischen Bad Birnbach (Landkreis Rottal-Inn) ein selbstfahrender Kleinbus für die Deutsche Bahn unterwegs.
Noch müssen Fahrtbegleiter mit an Bord sein
Dessen Strecke beschränkte sich anfangs auf 660 Meter. Inzwischen ist sie auf rund zwei Kilometer gewachsen. Bis zu sechs Passagiere kann der Shuttle vom Bahnhof in den Ortskern und zurück befördern. Fahrtdauer laut Deutscher Bahn: 18 Minuten bei maximal zulässigen 15 Stundenkilometern. Der Bus folgt dabei einer programmierten Route. Mit an Bord ist ein menschlicher Fahrtbegleiter, der notfalls die Steuerung übernimmt. "Derzeit kann der Kleinbus noch nicht selbstständig von der Route abweichen, um etwa Hindernisse wie parkende Autos zu umfahren", heißt es auf einer Projektwebsite.
Operatoren müssen auch bei einem anderen Pilotprojekt im Freistaat mitfahren, so sieht es die Gesetzeslage derzeit vor. Im Rahmen der Shuttle-Modellregion Oberfranken (SMO) pendeln seit Sommer sechs Shuttles in Hof, Kronach und Rehau - mit aus Sicht der Projektmanager von der Firma Nuts One erfreulicher Zwischenbilanz. Allein in Hof und Kronach habe man mehr als 8000 Menschen befördert, trotz pandemiebedingter Einschränkungen, sagt Matthias Zankl. "Das zeigt schon, dass die Leute interessiert sind und mitfahren."
In Hof sind die Busse demnach als Transportmittel für die letzte Meile gedacht, vom Bahnhof in die Stadt. In Kronach richtet sich das Angebot an Touristen, um die auf einem Bergsporn thronende Altstadt zu erklimmen. In Rehau fungieren die Busse als Werksshuttles. Ein Folgeprojekt soll nun weitere Erkenntnisse liefern. Zankl und sein Kollege Frank Hunsicker planen dazu unter anderem, von einer Leitstelle in Hof aus die Shuttles zentral zu überwachen. Außerdem wird Rehau durch Bad Steben ersetzt, "hier gibt es viele Reha-Kliniken", sagt Hunsicker. Die Shuttles könnten also Kurgäste befördern oder Klinikmaterial transportieren. Für die Region ist das Ganze ohnehin interessant: Am Lucas-Cranach-Campus in Kronach gibt es inzwischen einen Master-Studiengang zum Autonomen Fahren.
ZF tüftelt an der nächsten Shuttle-Generation
Auch in Regensburg läuft ein Versuch. Unter dem Projektnamen Emilia pendeln seit September zwei Shuttles durch den Gewerbepark. Ansonsten lässt sich im bayerischen Alltag die Idee vor allem im Untergrund bewundern: Seit 2008 gibt es in Nürnberg zwei selbstfahrende U-Bahn-Linien, am Flughafen München befördert ein automatisierter Pendelzug Passagiere hinaus zu einem Satellitenterminal. U-Bahnen kommt entgegen, dass sie in Tunneln verkehren und damit weniger anfällig sind für externe Störfaktoren. Beim Fahren auf der Straße hingegen ergeben sich ständig neue Verkehrssituationen.
Bei ZF tüftelt man derweil an der nächsten Generation der Shuttles, die bis zu 80 Stundenkilometer erreichen sollen. Damit könne der ländliche Raum besser erschlossen werden, meint Verkehrsexperte Gollewski. Denn eigentlich sei Deutschland gesetzlich gut aufgestellt, tue sich aber schwer, die moderne Technologie zu nutzen. "Wir verzetteln uns oft im Klein-Klein", sagt er. Förderanträge dauerten - und manchmal scheiterten Projekte daran, dass Teilstrecken nicht der Bahn gehörten, wenn diese Projektpartner sei.
In Schweinfurt geht es ZF daher erst mal sachte an. Der Shuttle wird demnächst auf dem Marktplatz ausgestellt, erstmal nur zum Gucken.