Schwarzkittel-Plage:Wildschwein-Paradies Bayern

Wildschein

Die Zahl der Wildsäue hat bedrohliche Dimensionen angenommen.

(Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Die Zahl der Wildsäue in Bayern hat bedrohliche Dimensionen angenommen. Sie verursachen schwere Unfälle, richten immense Schäden in der Landwirtschaft an - und attackieren Menschen. Doch es ist nicht leicht, ihnen beizukommen.

Von Christian Sebald

Was für ein schicksalhaftes Zusammentreffen. Da berät in München eine Expertenrunde darüber, wie man endlich die Wildschwein-Plage in Bayern eindämmen kann. Eingeladen hat Forstminister Helmut Brunner, es sprechen renommierte Wildbiologen, hochrangige Jäger, Spitzenvertreter der Bauern, Waffen-Experten und andere Fachleute. Just am selben Tag läuft nahe dem oberbayerischen Schrobenhausen ein Wildschwein in ein Auto. Das Tier wird in den Gegenverkehr geschleudert. Dort verliert eine Autofahrerin die Kontrolle über ihren Wagen. Die 43-Jährige prallt mit voller Wucht in ein weiteres Fahrzeug. Sie stirbt.

Der tragische Unfall ist nur ein Beispiel für das Ausmaß, das die Wildschwein-Plage in Bayern erreicht hat. Die Polizeiberichte sind voll von schlimmen Nachrichten. In den Augsburger Außenbezirken laufen in den frühen Morgenstunden immer wieder ganze Rotten durch die Straßen und demolieren Autos. In Würzburg verlässt ein Gast eine Wirtschaft und sieht sich plötzlich einem angriffslustigen Keiler gegenüber. Der Mann kann gerade noch in das Haus zurückflüchten. In Bad Brückenau beißt ein Schwarzwild einen Jogger in den Oberschenkel.

"Aber es sind nicht nur solche spektakulären Vorfälle, die Wildschweine zu einem großen Problem machen", sagt Niels Hahn. Der Wildbiologe aus dem schwäbischen Gomadingen ist einer der renommiertesten Schwarzwild-Experten Deutschlands. "In der Landwirtschaft richtet Schwarzwild immense Schäden an."

Wildschweine fressen Maisäcker und Rapsfelder kahl. Auf der Suche nach Würmern und anderem Getier durchwühlen sie Wiesen und Weiden. "Wenn eine Rotte über einen Acker herfällt, sind das 1500 Euro Schaden", sagen die Bauern. Es gibt Regionen, in denen rechnen Fachleute mit bis zu 30 Euro Wildschaden pro erlegter Wildsau. Kein Wunder, dass es dort immer schwieriger wird, freie Jagdreviere zu verpachten - vielen Jägern werden die Ersatzzahlungen für Wildschwein-Schäden einfach zu viel.

Schwarzkittel-Plage: SZ-Grafik; Quelle: Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

SZ-Grafik; Quelle: Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Das Erstaunliche ist nur, dass keiner weiß, wie viel Schwarzwild in Bayern lebt. Experten lehnen selbst Schätzungen ab. "Man kann die Tiere nicht zählen", sagt der Wildbiologe Hahn. "Sicher ist nur: Es sind sehr viele und es werden immer mehr." Einziger Anhaltspunkt für die Größe der Population ist die "Jagdstrecke", die Zahl der erlegten Tiere also. Die ist immens. In der Jagdsaison 2013/2014 schossen die Jäger in Bayern 68 000 Wildschweine, ein Jahr zuvor waren es 66 000.

Warum es den Wildschweinen in Bayern so gut geht

Noch vor 30 Jahren hätte sich das keiner ausgemalt. Anfang der Achtzigerjahre erlegten die Jäger um die 3000 Wildschweine im Jahr - in ganz Bayern. Noch Anfang der Neunziger Jahre schossen sie knapp 17 000 Stück pro Saison. Seither haben sich die Wildschweine über den ganzen Freistaat hinweg Revier um Revier erobert. "Und so wie es derzeit aussieht, ist kein Ende abzusehen", sagt Hahn. "Solange die Jagdstrecken steigen und die Schäden zunehmen, heißt das, dass die Population wächst."

Es gibt viele Gründe, warum es den Wildschweinen so ausgezeichnet geht. "Den Klimawandel zum Beispiel", sagt Hahn. "Die Winter werden wärmer, das Frühjahr beginnt früher." Inzwischen überleben auch schwache Frischlinge, die früher nicht durch die kalte Jahreszeit gekommen wären. Auch das Nahrungsangebot wird immer üppiger. Bei den Buchen und den Eichen werden die Abstände zwischen den Jahren immer kürzer, in denen sie besonders viele Früchte tragen. "Bucheckern und Eicheln sind jedoch Leckerbissen für das Schwarzwild", sagt Hahn. So wie der Mais, der überall angebaut wird.

Wildschweine sind extrem anpassungsfähig

Es gibt Experten, die sagen, die Bauern hätten durch den grassierenden Maisanbau die Wildschwein-Plage selbst verursacht. Außerdem hat das Schwarzwild keine natürlichen Feinde - Bär und Wolf sind seit gut 150 Jahren ausgerottet. Wildschweine sind auch extrem anpassungsfähig. "Für so eine Rotte ist die Anwesenheit von Menschen kein Problem", sagt Hahn. "Sie braucht nur einen Rückzugsraum - in einer Vorstadt mit Gärten, die an einen Wald grenzt, haben die Tiere alles, was sie brauchen."

Und die Wildschweine vermehren sich rasant. Eine Bache wirft sechs bis acht Frischlinge. Aufs Jahr gesehen kann das in einzelnen Regionen Zuwächse von 250 bis 300 Prozent bedeuten.

Und dann sind da noch die Jäger. Zwar betont Jürgen Vocke, der Präsident des Bayerischen Jagdverbands, ein ums andere Mal, dass er und seine 44 500 Jäger "sich der Herausforderung Schwarzwild stellen". Experten wie Hahn, aber auch Forstminister Brunner glauben nicht so recht daran. Sie erinnern daran, dass Vocke sich lange gegen moderne, effiziente Jagdmethoden gesperrt und sie als "Kriegserklärung gegenüber dem Wild" bezeichnet hat. Die Zeiten etwa, in denen Vocke gegen Drückjagden gewettert hat, die von den Staatsforsten praktiziert werden, sind noch nicht lange her. Auch Nachtzielgeräte, die bisher verboten sind, die Brunner seine Fachleute aber mit gutem Erfolg erproben ließ, hat Vocke bisher als "nicht waidgerecht" bekämpft.

Der Wildbiologe Hahn hingegen ist wie der gesamte Fachwelt überzeugt davon, dass es solche Neuerungen unbedingt braucht. Forstminister Brunner unterstützt ihn dabei und verlangt, dass Jäger, Förster und Bauern sehr viel besser zusammenarbeiten müssen als bisher. "Alle müssen mitwirken und passgenaue Jagdkonzepte entwickeln", sagt er. Für Hahn ist das die einzige Chance. Er sagt: "Wenn alle weitermachen wie bisher, gibt es von Jahr zu Jahr mehr Wildschweine in Bayern."

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