Am Sonntag ist es wieder so weit, wie jedes Jahr am zweiten Sonntag im Oktober: Die Einwohner von Schwangau hängen die Fahne ihres Ortes raus, weiß und rot mit einem Schwan, sie schmücken Fenster und Balkone mit Blumen. Und natürlich schmücken sie auch ihre Pferde, die Reiter flechten kunstvoll Muster in Mähnen und Schweif. Und dann machen sie sich auf, zum „höchsten Feiertag“ ihrer kleinen Gemeinde, wie Bürgermeister Stefan Rinke sagt: zur Wallfahrtskirche Sankt Coloman und dem althergebrachten Colomansritt.
Prinz Luitpold und Prinzessin Beatrix von Bayern sind auch wieder dabei, diesmal gemeinsam mit Markus Söder in einer Kutsche. Der Ministerpräsident kommt nach Schwangau, um einen Antrag entgegenzunehmen, den Colomansritt als immaterielles Kulturerbe der Menschheit eintragen zu lassen. Seit dem 16. Jahrhundert besteht das Brauchtum zu Ehren des heiligen Coloman. Sollte der Antrag erfolgreich sein, gibt es in der Gemeinde Schwangau mit 3300 Einwohnern mit Schloss Neuschwanstein eine Welterbestätte und mit dem Ritt ein immaterielles Kulturerbe – nach Kenntnis des Bürgermeisters eine weltweit „seltene und außergewöhnliche“ Konstellation.

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Es ist ja erst ein paar Monate her, dass Neuschwanstein gemeinsam mit den anderen bayerischen Königsschlössern Unesco-Welterbe geworden ist. Auch wenn die meisten Menschen der Ansicht waren, dass das Allgäuer Märchenschloss den Titel ohnehin schon lange trägt. Neuschwanstein jedenfalls steht jetzt in einer Reihe mit der Akropolis und dem Taj Mahal. Der weniger touristisch geprägte Colomansritt, ein Fest für Einheimische und die Region, will bald in einer Reihe stehen mit dem Augsburger Friedensfest oder dem Goldschlägerhandwerk in Schwabach.
Immaterielles Kulturerbe sind Bräuche, Rituale und Feste, aber auch darstellende Künste, Handwerkstechniken oder mündlich überlieferte Traditionen. In Deutschland gibt es ein bundesweites Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes und unter anderem in Bayern auch ein eigenes Länderverzeichnis mit derzeit 84 Einträgen.
Die Verehrung des heiligen Coloman in Schwangau reicht viele Jahrhunderte zurück. Der erste Beleg ist das 1552 durch Kaiser Karl V. erteilte Recht, am Colomanstag einen Markt abhalten zu dürfen. Doch die Wurzeln des Festes reichen noch weiter zurück: Im Jahr 1012 rastete der irische Mönch Coloman auf seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land am heutigen Standort der Colomankirche. Unschuldig der Spionage verdächtigt, wurde der Pilger gehängt – worauf sich mehrere Wunder ereignet haben sollen. Seitdem gilt Coloman besonders im süddeutschen Raum als Heiliger und Schutzpatron des Viehs, die Kirche war viele Jahrhunderte Ziel von Wallfahrten.

Heute führt der Wallfahrtszug vom Ort zur außerhalb auf freiem Feld gelegenen Kirche, mit Musikkapelle, Fahnenabordnungen, Kutschen für Ehrengäste sowie den Reitern, die früher durchweg heimische Tracht trugen. Heute ist auch Reiter- oder Reitturnierkleidung erlaubt, da inzwischen neben Arbeitspferden auch Reit- und Turnierpferde am Umzug teilnehmen dürfen. Dem Gottesdienst folgt traditionell eine Pferdesegnung, womit die Tiere als wichtige Partner der Arbeits- und Lebenswelt wertgeschätzt werden sollen, wie es Bezirksheimatpfleger Christoph Lang in seinem Begleitschreiben zur Bewerbung formuliert. Da Pferde heute vor allem Freizeitpartner der Menschen sind, wurden die Regeln im Verlauf der Jahre gelockert.
Früher ritten die Reiter dreimal um die Kirche herum, im Schritt, Trab und Galopp, bevor sie sich ein Wettrennen zurück in den Ort lieferten. Heute geht es gemächlicher zu und damit auch sicherer, die etwa 200 Pferde bewegen sich nur noch im Schritt, es gibt auch kein Wettrennen mehr. Dass der Colomansritt überhaupt noch existiert und jährlich mehr als 1000 Besucher anlockt, ist Schwangauern zu verdanken, die sich in den Siebzigerjahren zusammentaten und sich später in einem Verein organisierten. Damals kamen immer weniger Teilnehmer und Zuschauer, der Brauch drohte auszusterben. Der Coloman-Verein, dessen Vorgänger das Brauchtumsgeschehen revitalisierten und aktualisierten, ist auch der Treiber hinter der Bewerbung fürs immaterielle Kulturerbe.
Aus Sicht von Bürgermeister Rinke würde der Titel des immateriellen Kulturerbes gut zum Welterbetitel für Neuschwanstein passen. Die Kirche, die schon lange vor Neuschwanstein da war, bildet in der Landschaft vor dem Forggensee zu Füßen der Alpen ein Dreieck mit dem Welterbeschloss und Schloss Hohenschwangau. Es ist kein Zufall, dass die beiden Schlösser dort stehen, die Wittelsbacher wussten genau, wo es schön ist. „Man kann von einem architektonischen und kulturellen Ensemble sprechen“, sagt Rinke. Die Schlösser, die Kirche und damit auch das Colomansfest mit dem Colomansritt seien miteinander verbunden, sozusagen „ein Welterbe im Welterbe“ – sofern die Bewerbung Erfolg hat. Aber davon gehen sie in Schwangau fest aus.

