Süddeutsche Zeitung

Augsburg:Schwabens Wirtschaft im Sinkflug

Die Corona-Krise trifft die Luft- und Raumfahrtindustrie hart und damit Tausende Beschäftigte im Raum Augsburg. Zwei Minister versprechen bei Premium Aerotec politische Hilfe.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Eigentlich bauen sie hier ja Flugzeuge zusammen. Am Mittwoch haben Mitarbeiter von Premium Aerotec stattdessen rote Luftballons aufgeblasen und in den Himmel geschickt. Es war ein Zeichen des Protests, kurz bevor am Abend Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) und Arbeitsministerin Carolina Trautner (CSU) das Werk in Augsburg besuchten. Die Corona-Krise hat auch Premium Aerotec wie den gesamten Wirtschaftsraum Augsburg in die Krise gestürzt. Alleine bei der Airbus-Tochter gibt es am schwäbischen Standort laut Aussagen der Geschäftsführung zu wenig Auslastung für etwa 1000 Arbeitsplätze, weshalb viele Stellen gestrichen werden sollen. Es gelte "zu retten, was zu retten ist", sagte Aiwanger vor dem Werkstor von Premium Aerotec und stellte politische Hilfe in Aussicht. Ein Stellenabbau, heißt es aus dem Wirtschaftsreferat der Stadt, träfe die Region als Wirtschaftsstandort hart. Die IHK Schwaben sieht trotz düsterer Konjunkturzahlen aber auch Hoffnung für die Region.

3500 Beschäftigte zählt das Luftfahrtunternehmen in Augsburg. Der Verlust von Arbeitsplätzen träfe aber auch den Freistaat insgesamt "ins Herz", wie Minister Aiwanger klarstellte. Jeder dritte deutsche Arbeitsplatz in der Luft- und Raumfahrtindustrie ist in Bayern angesiedelt. Laut IHK-Hauptgeschäftsführer Marc Lucasson finden gerade in Bayerisch-Schwaben 15 000 Beschäftigte in der Luft- und Raumfahrt Arbeit, was im Verhältnis zu anderen Branchen "absolut bemerkenswert" sei. Die Region habe in dieser Spitzentechnologie eine weltweit anerkannte Spitzenposition. Um möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, formulieren der Betriebsrat von Premium Aerotec und die IG Metall Forderungen: Verlängerung der Kurzarbeit, neue Aufträge der Muttergesellschaft Airbus, die nicht an billigere Standorte im Ausland vergeben werden sollen sowie mehr Rüstungsaufträge, um die Ausfälle aus der zivilen Luftfahrt aufzufangen. "Wir kämpfen für den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen und eine nachhaltige Auslastung", sagt Michael Leppek von der IG Metall Augsburg.

Was die Auslastung anbelangt, hofft Premium Aerotec-Geschäftsführer Thomas Ehm in einem ersten Schritt auf mehr militärische Aufträge. Örtliche Bundestagsabgeordnete wie der Augsburger CSU-Vorsitzende Volker Ullrich sind schon aktiv. In einem Schreiben hat er Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer aufgefordert, Aufträge zum Eurofighter vorzuziehen. Der Chef des Bundeskanzleramtes Helge Braun (CDU) hat gleichzeitig bei einem Besuch dem Hubschrauber-Hersteller Airbus-Helicopters in Donauwörth Hoffnung auf vorgezogene Bestellungen des Bundes gemacht.

"Wenn wir die Entwicklung des Eurofighters nicht unterstützen, werden wir bald F-18 aus den USA kaufen müssen", warnte Aiwanger. Der Wirtschaftsminister forderte vom Bund, Fluggesellschaften mit einem Flottenerneuerungsprogramm zu unterstützen und mehr Geld in die Forschung zu stecken, etwa in die Entwicklung von mit Wasserstoff angetriebenen Flugzeugen. Konkrete neue Hilfen des Freistaats kündigte er nicht an. "Wir haben aber noch Pulver trocken, falls die Krise länger dauert", sagte Aiwanger. Der Freistaat sei gut aufgestellt und könne nachbessern. Arbeitsministerin Trautner zeigte sich zuversichtlich, dass das Instrument der Kurzarbeit im Herbst vom Bund ausgeweitet wird.

Wie wichtig die Luft- und Raumfahrt in der Region ist, verdeutlichen Zahlen der IHK: Demnach hat die Zahl der Mitarbeiter in der Luft- und Raumfahrt in Bayerisch-Schwaben seit dem Jahr 2011 um 57 Prozent zugenommen. Ein stärkeres Wachstum gab es nur in der Telekommunikations- und IT-Branche. Ein von Produktion geprägter Standort wie Augsburg hat es in der Krise allerdings schwerer als andere Regionen, das zeigt eine Konjunktur-Umfrage der IHK. 92 000 Beschäftigte in der Region befinden sich in Kurzarbeit, die meisten Unternehmen berichten von negativen Geschäftsaussichten. Trendaussage der Umfrage sei, sagt der Regionalvorsitzende Markus Litpher, dass die örtlichen Firmen von der Krise stärker betroffen seien als in anderen Regionen Schwabens - und demnach auch Bayerns. In der Produktion tätige Unternehmen hätten es nach der Krise auch schwerer wieder hochzufahren. Weshalb auch Augsburgs Wirtschaftsreferent Wolfgang Hübschle betont, dass der Abbau jeder Stelle bei Premium Aerotec den Verlust von Know-how bedeute, das in der Region dann fehlen werde.

"Wir müssen deshalb zusehen, dass die Bedingungen für einen guten Restart da sind", betont Litpher von der IHK, etwa durch staatliche Investitionsprogramme oder auch rückwirkende Senkung der Unternehmenssteuern. Probleme bei Global Playern wie Premium Aerotec überlagern dabei in Augsburg oft den Blick auf den Mittelstand und den laut Litpher eigentlich breiten Branchenmix. Stadt und IHK sind sich einig, dass die regionale Vernetzung der Unternehmen sowie Spitzenausbildung wie an der örtlichen Hochschule und Universität die Auswirkungen der Krise abfedere. Wirtschaftsreferent Hübschle verweist auf den Ausbau des wissenschaftlichen Umfeldes, etwa was neue Lehrstühle für Künstliche Intelligenz anbelangt. "Insofern können wir schon auch zuversichtlich in die Zukunft blicken", sagt Litpher.

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SZ vom 10.07.2020/vewo
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