Süddeutsche Zeitung

Schulpolitik in Bayern:Freie Wähler starten Volksbegehren für G 9

Bei den Studiengebühren hatten sie Erfolg, jetzt starten die Freien Wähler einen Vorstoß für ein neues Volksbegehren: Die Wahlfreiheit zwischen dem acht- und dem neunstufigen Gymnasium in Bayern.

Von Tina Baier

Die Freien Wähler starten ein Volksbegehren zur Wahlfreiheit zwischen achtstufigem (G8) und neunstufigem Gymnasium (G9) in Bayern. Noch im Mai wollen sie damit anfangen, Unterschriften zu sammeln. "Wenn wir nach den Wahlen an der Regierung beteiligt sind, werden wir die Wahlfreiheit in den Koalitionsvertrag hineinschreiben", sagt Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Andernfalls wollen die Freien Wähler das Volksbegehren aus der Opposition heraus vorantreiben.

Das Konzept der Freien Wähler für eine Wahlfreiheit zwischen dem G 8 und einem neuen G 9 sieht dasselbe Abitur für alle vor, das die einen wie bisher nach acht Jahren, die anderen nach neun Jahren ablegen sollen. "Die Zahl der Unterrichtsstunden im G 8 und im G 9 wird dieselbe sein", sagt Michael Piazolo, hochschulpolitischer Sprecher der Freien Wähler und einer der Hauptinitiatoren des erfolgreichen Volksbegehrens gegen die Studiengebühren. Die Schüler des G 9 werden aber mehr Zeit zum Lernen haben, da der Stoff zwischen der sechsten und der elften Klasse gestreckt werden soll.

Die letzten beiden Jahre, also die 12. und die 13. Klasse im G 9 beziehungsweise die 11. und die 12. Klasse im G 8, sollen dann in beiden Varianten ähnlich ablaufen. "Entscheidend ist dabei, dass das G 9 (neu) mit dem G 8 in vielfacher Hinsicht kompatibel ist, d.h. am bisherigen Oberstufensystem mit P- und W-Seminaren, dem entsprechenden Punktesystem sowie den erneuerten Lehrplänen und Lehrformen festhält", heißt es dazu im Konzept der Freien Wähler.

Spaenles Flexibilisierungsjahr, demzufolge Schüler der achten, neunten oder zehnten Klasse vom kommenden Schuljahr an ein freiwilliges Zusatzjahr einschieben können, wollen die Freien Wähler ersatzlos streichen. Dafür soll es im neuen G 9 laut Freie-Wähler-Konzept "weniger Proben und Klausuren pro Jahr" geben. Außerdem "gesteigerte Effektivität durch hauptsächlich Vormittagsunterricht". Wenn es nach den Freien Wählern geht, soll es die Wahlfreiheit schon vom übernächsten Schuljahr 2014/2015 an geben. Die Entscheidung werde aber auf keinen Fall von oben verordnet, jede Schule könne selbst entscheiden, sagte Hubert Aiwanger.

Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) lehnt den Vorstoß der Freien Wähler ab. Der Vorschlag führe zu "Chaos" an den Schulen, sagte Spaenle der Süddeutschen Zeitung. Vor allem kleineren Gymnasien auf dem Land würden die Freien Wähler damit "ein Grab schaufeln". Aiwanger hält dieses Argument für Unsinn. Seiner Ansicht nach würde das neue G 9 den Gymnasien auf dem Land sogar helfen. Viele kämpfen nämlich mit rückläufigen Schülerzahlen. Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder nicht auf das Gymnasium, sondern auf die Realschule, weil es dort kaum Nachmittagsunterricht und weniger Druck gibt.

G 8 schadet Gymnasien auf dem Land

Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands und Schulleiter des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf kann das bestätigen: "Ich kann mir gut vorstellen, dass meine Schule wieder komplett zum G 9 zurückkehrt, sollte es die Wahlmöglichkeit geben. Das G 8 hat den Gymnasien auf dem Land geschadet", sagt Meidinger. Auch viele Lehrer sehnten sich nach dem G 9 zurück, da sie manche Themen wie etwa Goethes Faust mit den jüngeren G 8-Schülern nicht mehr so gut bearbeiten könnten.

Nach einer Umfrage des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) unter 250 Gymnasiallehrern würden 51 Prozent eine Wiedereinführung des G 9 befürworten. Das Flexibilisierungsjahr lehnen laut Umfrage dagegen 85 Prozent der Lehrer ab. "Nur ein verschwindend geringer Teil der Gymnasiallehrer hält das Flexibilisierungsjahr für geeignet, den Zeitdruck am G 8 zu verringern und mehr Möglichkeiten für neue Lernmethoden zu schaffen", sagt Klaus Wenzel, Präsident des BLLV. Der Bayerische Philologenverband unterstützt dagegen Spaenles Pläne, genauso wie Karl-Heinz Bruckner, der als Vorsitzender der Bayerischen Direktoren die Schulleiter vertritt.

Heinz-Peter Meidinger ist dagegen überzeugt, dass auch skeptische Schulleiter das G 9 wieder einführen werden, wenn die Eltern Druck machen. "Das haben die Erfahrungen in Hessen und Baden-Württemberg gezeigt", sagt Meidinger. In beiden Bundesländern können die Eltern seit kurzem zwischen G 8 und G 9 wählen. Das Ergebnis ist eindeutig: In den 37 hessischen Gymnasien, die derzeit wieder das G 9 anbieten entscheiden sich zwischen 80 und 90 Prozent der Eltern für diese Option. Nächstes Jahr sollen weitere Gymnasien dazukommen, dann werde es in Hessen aufgrund der Entscheidung der Eltern kaum noch G 8-Schulen geben, sagt Meidinger.

Wie sich die Situation in Bayern entwickelt, hängt jetzt unter anderem davon ab, ob die Freien Wähler Unterstützer für ihren Vorschlag finden. Für ihr Konzept wollen sie vor allem bei Vereinen, Sportverbänden und Jugendorganisationen werben. Viele Klagen über einen Mitgliederschwund, weil die Schüler aufgrund des Nachmittagsunterrichts im G 8 keine Zeit mehr haben, sich zu engagieren. Einige haben den Freien Wählern bereits Unterstützung signalisiert.

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SZ vom 30.04.2013/dayk
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