Süddeutsche Zeitung

Schulflucht aus Bayern:Rübermachen nach Baden-Württemberg

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3,8 Millionen Euro hat das unterfränkische Amorbach in die Mittelschule gesteckt, es gibt nun Digitaltafeln, Tischtennisplatten und einen Billiardtisch. Dennoch brechen die Anmeldezahlen ein. Denn immer mehr Eltern meiden das bayerische Schulsystem - und schicken ihre Kinder ins benachbarte Baden-Württemberg.

Tina Baier und Olaf Przybilla

In zwei Wochen wird die generalsanierte Parzival-Mittelschule in Amorbach eingeweiht, und man kann sagen, dass bei diesem Schulgebäude kaum Wünsche offen bleiben werden: Mehr als 50 internetfähige Computer stehen bereit, fast alle Räume werden mit Smartboards - interaktiven Digitaltafeln - ausgestattet sein, für die Freistunden gibt es Tischtennisplatte und Billardtisch.

3,8 Millionen Euro hat das gekostet. Mittelschulen, erklärt Rektor Berndt Müller, haben keinen beneidenswerten Ruf, aber im unterfränkischen Amorbach haben sie sich entschieden, dem entgegen zu wirken und ihre Schule "fit für die Zukunft" zu machen. Das Problem ist nur: Der Schule im Grenzstädtchen laufen die Schüler weg.

Vor Pfingsten ist der Rektor die Anmeldungslisten durchgegangen, es war frustrierend. Mit 30 Schülern für die 5. Klasse hatte er gerechnet, das wäre normal gewesen in Amorbach, auch ohne Generalsanierung.

Nun werden im nächsten Schuljahr nur 15 Mittelschüler die 5. Klasse besuchen, es reicht gerade für eine Klasse. Der Rest, so hätte man das früher wohl an einer anderen deutschen Grenze formuliert, "macht rüber". In dem Fall: von Bayern nach Baden-Württemberg, auf die dortige Realschule.

Der Grund: Nach einem Beschluss der grün-roten Landesregierung entscheiden dort künftig die Eltern, auf welche Schule die Kinder nach der 4. Klasse wechseln, ganz unabhängig von den Zeugnisnoten. Rektor Müller will gar nicht bestreiten, dass es für die Entscheidungsfreiheit gute Argumente gibt. "Nur: Für uns in Amorbach, einer Grenzstadt, gefährdet die Unterschiedlichkeit der Systeme auf Dauer die Existenz."

Die Probleme rund um den Übertritt sind ein Dauerthema in Bayern. Wer sich mit Grundschullehrern unterhält, hört jedenfalls eher Argumente, die gegen die bayerische Regelung sprechen. In der 4. Klasse, sagt einer, "debattieren wir mit den Eltern fast nur noch über Noten - nicht über die Entwicklung des Schülers". Der Lehrer wird zum Gegner, wenn er nicht die richtigen Noten verteilt, um dem Schüler den Weg an Realschule oder Gymnasium zu ebnen.

Deswegen verblüfft es die Rektoren nicht, dass Eltern ihr Kind nun kurzerhand jenseits der Grenze anmelden. Im unterfränkischen Faulbach ist es genauso: Von 32 Grundschülern, deren Übertrittszeugnis den Besuch einer Mittelschule empfiehlt, wurden nun acht in Baden-Württemberg angemeldet. Die Eltern wollten offenbar unbedingt das Etikett "Realschule", sagt Rektor Jens Marco Scherf.

Fast alle Mittelschulen an der Grenze zu Baden-Württemberg haben dieses Problem", sagt Thomas Gehring. Vor einiger Zeit hat der bildungspolitische Sprecher der Grünen beim Kultusministerium nachgefragt, wie sich die neue Übertrittsregelung in Baden-Württemberg auf Bayern auswirkt. "Ich habe zur Antwort bekommen, das sei kein Thema für das bayerische Kultusministerium", sagt er.

Walter Höß, Leiter der Grund- und Mittelschule im schwäbischen Weitnau, sieht das anders: "Wenn man in Bayern weiter starr am dreigliedrigen Schulsystem festhält, werden wir über kurz oder lang nicht mehr überlebensfähig sein."

Er beobachtet schon seit Jahren, dass Schüler und Eltern scharenweise das bayrische Schulsystem meiden, sich stattdessen an Schulen in Baden-Württemberg anmelden. "Von 78 Viertklässlern sind letztes Jahr 14 hier an der Schule geblieben." Dass in Baden-Württemberg jetzt die Eltern die Schulart wählen dürfen, werde diese Tendenz verschärfen.

Warum sollen wir etwas ändern, wenn die Mittelschule insgesamt ein Erfolgsmodell ist?", beharrt Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU). Er will mit den Mittelschulen an der Grenze "standortbezogen nach Lösungen suchen", zum Beispiel zusätzliche Kurse anbieten. Und wenn diese Lösungen nicht greifen, wie viele Schulleiter befürchten? Nimmt dann das Kultusministerium in Kauf, dass die Mittelschulen entlang der Grenze sterben? "Wir wollen so lange wie möglich so viele Standorte wie möglich erhalten", sagt Spaenle.

In Amorbach haben die "standortbezogenen Lösungen" offenbar nicht überzeugt: Trotz zusätzlicher Stunden revidierte niemand die Entscheidung pro Baden-Württemberg.

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SZ vom 01.01.2013
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