Süddeutsche Zeitung

Schulen in Bayern:Hetero ist nicht alles

  • Vom kommenden Schuljahr an wird an Bayerns Schulen nach modernisierten Richtlinien für die "Familien- und Sexualerziehung" gelehrt.
  • Mehr als ein Jahr lang feilten Experten des Ministeriums an dem Papier, das zuletzt 2002 überarbeitet wurde.
  • Künftig sollen Lehrer im Sexualkundeunterricht auch die Vielfalt der Lebensformen ansprechen und Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität thematisieren.

Von Anna Günther

Zum neuen Jahr bekommt der Lehrplan für den Sexualkundeunterricht an Bayerns Schulen eine Frischzellenkur. Mehr als ein Jahr lang feilten Experten des Ministeriums an der Modernisierung der Richtlinien für die "Familien- und Sexualerziehung", die zuletzt 2002 überarbeitet wurden. Das Thema Geschlechterrollen und Identitätssuche war bisher auf die klassische Familie und Homosexualität beschränkt.

Künftig sollen Lehrer im Sexualkundeunterricht auch die Vielfalt der Lebensformen ansprechen und Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität thematisieren. Schulminister Ludwig Spaenle billigte nun die Richtlinie, der Ministerialdirektor Herbert Püls konnte unterschreiben. Endlich, dürften alle Beteiligten sagen. Vor Weihnachten sollte das Thema vom Tisch sein, denn kaum eine Lehrplanreform wurde so emotional diskutiert - obwohl der Entwurf bereits im März im Bildungsausschuss des Landtags von allen Parteien beklatscht wurde.

Seit Wochen stehen Spaenle und sein Haus unter Beschuss, weil die Richtlinien nicht wie angekündigt vor den Sommerferien rechtskräftig wurden. Spaenle ließ sich Zeit und schwieg. Das heizte die Debatte eher noch an, denn der Kampf um die Sexualkunde-Richtlinien gleicht einem Stellvertreterkrieg, der derzeit nicht nur in Bayern, sondern auch in Hessen und Baden-Württemberg geführt wird. Konservative und progressive Gruppen streiten erbittert um Begriffe und Ideologien, beide Seiten fürchten, dass die Kinder in den Schulen mit "falschen" Weltbildern in Kontakt kommen. Auch in Bayern ging die Diskussion um richtig oder falsch erst nach der Präsentation im Landtag richtig los.

Dutzende Anmerkungen und Ideen gingen im Ministerium ein, von Abgeordneten, von den beiden großen Kirchen und auch vom erzkonservativen Bündnis "Demo für alle", das bundesweit gegen die Modernisierung des Sexualkundeunterrichts kämpft. Hinter offenem Umgang mit verschiedenen Lebensformen und sexuellem Selbstverständnis sieht diese Gruppe "die Abschaffung der Geschlechter durch das Gender Mainstreaming und die Zerstörung der Familie".

Dass Spaenle Vertreter dieses Bündnisses empfangen hatte, löste eine Protestwelle aus. Opposition, Verbände und das Bündnis "Vielfalt statt Einfalt", das sich für eine bunte, offene Gesellschaft engagiert, fürchteten um die modernen Inhalte und kritisierten, dass der Minister vor "Demo für alle" eingeknickt sei. Die Debatte bezeichnet Spaenle als "viel Lärm um nichts". Die Änderung der Inhalte habe nie zur Diskussion gestanden. Aber wie die Schulen mit Sexualkunde umgehen, sei so sensibel, dass er alle Sichtweisen abwägen und jedes Wort auf die "Apothekerwaage" legen wolle.

Sprachliche Kompromisse in der aktuellen Fassung

Vergleicht man die gültige Fassung mit dem Entwurf, fallen die sprachlichen Kompromisse sofort auf. Inhaltlich aber ist die Richtlinie noch deutlicher: Zwar wird in der Präambel die Bedeutung von Ehe und Familie hervorgehoben, aber in diesen Kontext müssen Lehrer künftig auch "feste Lebenspartnerschaften einbeziehen." Ausdrücklich verboten sind "Ideologisierung und Indoktrinierung" der Schüler. Betont werden Wertschätzung und Verständnis für andere. Außerdem sollen Mädchen und Buben "verstehen, dass Menschen ihre Geschlechtlichkeit unterschiedlich empfinden können und im Rahmen ihrer moralisch-ethischen Vorstellungen selbstverantwortet ihr Leben gestalten".

Anders als im Entwurf werden unterschiedliche Lebensformen und sexuelle Orientierung nicht mehr nur benannt, sondern im Kapitel "Geschlechterrolle und Geschlechtsidentität" auch in den Unterrichtszielen der einzelnen Jahrgangsstufen explizit erwähnt. Schüler der 7. und 8. Klassen sollen etwa "anhand der Begriffe Verantwortung und Selbstverwirklichung" Beziehungsformen untersuchen. Neunt- und Zehntklässler lernen, Rollenklischees abzulehnen. Und die eigene sexuelle Orientierung "ebenso zu achten wie die anderer (Hetero-, Homo-, Bisexualität)" und wie Trans- oder Intersexualität. Unter dem Punkt soziale Kompetenz sind 9. und 10. Klassen angehalten, "Toleranz und Respekt gegenüber Menschen, ungeachtet ihrer sexuellen Identität" zu zeigen. Außerdem sollen die Schüler wertschätzende Sprache nutzen und rücksichtsvoll sein.

Dass der Minister an dieser Stelle "Akzeptanz" durch "Toleranz und Respekt" ersetzte, löste schon vor der Veröffentlichung neue Proteste aus. Für das Bündnis "Vielfalt statt Einfalt", ist "Akzeptanz" wichtig, um die Gleichwertigkeit aller Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Spaenle versteht die Aufregung nicht ganz: Es gehe um Inhalte und die Richtlinien seien weder Parteiprogramm noch Organ der Bischofskonferenz. An weihnachtlichen Frieden glaubt er nicht, "da prallen Weltbilder aufeinander".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3299651
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.12.2016/vewo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.