Demonstrationen:"Mit den Grundschulmuttis kann man's ja machen"

Lehrer demonstrieren gegen Maßnahmenpaket des Kultusministeriums

Ein Demonstrant hält bei einer Kundgebung in Nürnberg gegen das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Lehrermangels ein Schild mit bayerischem und absichtlich grammatikalisch falsch geschriebenem Text in die Höhe.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)
  • Bastelnde Lehrerinnen reisen Kultusminister Michael Piazolo hinterher, weil er ihre Briefe nicht beantwortet hat.
  • Seit Wochen protestieren Lehrer gegen die Mehrarbeit, die ihnen der Minister auferlegt hat.
  • Viele Protestierende sehen nicht ein, ausgleichen zu müssen, was die Staatsregierung ihrer Meinung nach verschlafen hat.

Von Anna Günther

Dem Ehrengast Geschenke zu überreichen, ist nicht nur im Wahlkampf üblich. Statt Fresskörben bekommt Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) gerade Poster, Postkarten oder, wie zuletzt in Putzbrunn bei München, eine gebastelte Girlande, Schminkkoffer und Luftballons. Fasching? Weit gefehlt. Die Lehrer machen es wie die Bauern: Trat Ministerpräsident Markus Söder zuletzt bei einer CSU-Veranstaltung auf, waren sie schon da. Traktoren und Traktate inklusive. Auch die bastelnden Lehrerinnen reisen Piazolo hinterher. Weil der Minister ihre Briefe nicht beantwortet habe, versuche sie es nun halt "nach Art der Grundschulmäuschen", sagt Anna Dognin sarkastisch. Sie arbeitet an einer Grundschule in Oberbayern, wie ein Mäuschen wirkt sie nicht. Anfang Januar hatte sie mit Kollegen binnen Tagen Hunderte Unterschriften gegen die vom Minister verordnete Mehrarbeit gesammelt, 6000 Lehrer in einer Umfrage erreicht und Piazolo geschrieben. Auf der Girlande schildern Lehrer arge Herausforderungen, an Ballons hängen Entlastungsideen, im Koffer steht, was den Job attraktiver macht.

Seit Wochen protestieren Lehrer gegen die Mehrarbeit, auch unabhängig von Verbänden, die Aktionen und Demonstrationen organisieren, wächst der Widerstand. An Grundschulen müssen alle eine Stunde mehr pro Woche unterrichten, die per Arbeitszeitkonto beglichen werden soll. Grund-, Mittel- und Förderlehrern werden keine Sabbaticals mehr erlaubt, der vorzeitige Ruhestand wird erst ab 65 Jahren genehmigt. Teilzeit-Lehrer müssen aufstocken. Anders sei der Lehrermangel nicht aufzufangen, heißt es im Ministerium. 1400 Vollzeitstellen blieben sonst im Herbst unbesetzt. Ob die Mehrarbeit ausreicht, um die Lücken zu schließen, wird aber erst im Sommer klar sein.

Viele Protestierende sehen nicht ein, ausgleichen zu müssen, was die Staatsregierung ihrer Meinung nach verschlafen hat. Wer sich umhört, vernimmt Zweifel an den Zahlen und daran, dass die Mehrarbeit ausreicht. Viele empfinden die Maßnahmen als Gängelei, weil die Klassen an Grund-, Mittel- und Förderschulen heterogener sind als früher, der Alltag mühsam sein kann. Kinder aller sozialen Milieus lernen zusammen. Lehrer müssen Inklusion, Integration und individuelle Förderung leisten. Zuletzt versuchte die Regierung, die Lehrerlücke mit Absolventen zu füllen, die an Realschulen und Gymnasien kaum Jobchancen hatten. Doch deren Interesse lässt nach. 2018 kamen 700 Studienplätze für Grundschullehrer dazu. Söder kündigte im Januar 300 weitere sowie die Abschaffung des Numerus Clausus an. Schnelle Abhilfe bringt das nicht.

Piazolo hatte den Lehrermangel mit Zuzügen, Geburten und Teilzeit-Wünschen erklärt. Auch deshalb sind viele Teilzeit-Lehrer wütend. Alle müssen auf 24 Stunden Unterricht pro Woche aufstocken - bisher lag das Minimum bei acht Stunden. Laut Ministerium ist nur ein kleiner Teil der Lehrer betroffen: Ältere sind wie alle ausgenommen, die Kinder oder Angehörige betreuen. "Aber die Stimmung ist so negativ, dass es alle betrifft", sagt Simone Fleischmann, die Chefin des Bayerischen Lehrerverbands (BLLV). Lehrer würden angepöbelt, weil sie als Beamte protestieren.

Klagen über fehlende Wertschätzung hört man oft. Und scharfe Kritik am Minister, weil er Mehrarbeit anordnete, statt auf freiwilliges Engagement zu vertrauen. "Mit den Grundschulmuttis kann man's ja machen", sagt Dognin dazu. Sie unterrichtet 24 Stunden pro Woche. Durch viele Zusatzaufgaben und sehr heterogene Klassen fühle sich das oft an wie ein Vollzeitjob, was aber nur die verstehen, die Schulen gut kennen. "Freiwillige Mehrarbeit und Eigenverantwortung hätten funktioniert. Wir wissen ja, wer mehr machen könnte", kritisiert auch Stefan Rank, Eichstätter BLLV-Kreischef, der eine Grundschule leitet. Nun herrsche Trotz in den Lehrerzimmern, bestätigen andere. Offen äußert sich aus Angst vor Konsequenzen kaum einer.

Verweigerung ist dennoch selten. Es kursieren viele Ideen, wie das Ministerium den Schulalltag verbessern könnte: Entlastung von Bürokratie und Korrekturen, Abzug aus Pausenaufsicht und offenem Ganztag. Kunst- und Musikstunden von Externen sowie die Schließung von Kleinstschulen könnten Lehrerstunden sparen. Deren Erhalt steht aber im Koalitionsvertrag, höherer Sold nicht. Piazolo sagt, er sei für die Tarifstufe A 13. Die CSU blockiere. Viele Volksschullehrer empfinden es als abwertend, dass sie weniger verdienen als Gymnasialkollegen und sehen in mehr Sold den Schlüssel, um den Job langfristig attraktiver zu machen. Ob diese Ideen auch erwogen werden, wollte ein Ministeriumssprecher nicht sagen, versicherte aber, dass alles gelesen werde. Piazolo gab sich in Putzbrunn verbindlicher, er lud die Gruppe um Anna Dognin spontan ins Ministerium ein.

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Bildung
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