Schule:Lehrer kritisieren mutlose Politik

Schule: Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, will, bevor er sein Amt aufgibt, die Strukturen im Gymnasium verändern.

Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, will, bevor er sein Amt aufgibt, die Strukturen im Gymnasium verändern.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Verband fordert grundlegende Änderung des Gymnasiums: Fächer zusammenlegen, Prüfungen reduzieren, Kinder fördern

Von Anna Günther

Auf vier Säulen soll die geplante Reform des bayerischen Gymnasiums stehen. So jedenfalls verkündete es das Kultusministerium im Herbst nach dem Dialogprozess, an dem Schüler, Lehrer, Wirtschafts- und Hochschulvertreter sowie das Ministerium teilgenommen hatten. Neben Lehrerausbildung, Pädagogik und Lehrplan geht es um die Dauer der Schulzeit. Ausschließlich diese acht oder neun Jahre haben bisher die Diskussionen bestimmt. Dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) geht das nicht weit genug. Der BLLV-Präsident Klaus Wenzel präsentierte am Montag die Ideen des Verbands für die Reform des Gymnasiums: "Es geht nicht nur darum, wie lange Schule dauert, sondern darum, was die Kinder lernen müssen und wie sie lernen dürfen."

Aus seiner Sicht muss das Kultusministerium endlich mutiger werden, auch grundlegend etwas an der Struktur des Gymnasiums verändern. Die Schwachstellen seien klar: verdichteter Stoff, der schnelle Wechsel zu vieler Fächer, hoher Prüfungsdruck und zu wenig persönliche Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern. Auch die neuesten Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie werden bisher nicht beachtet. Ein Ansatz des BLLV ist es, die Prüfungskultur zu reformieren. Nicht die Angst vor der nächsten Klausur darf die Kinder zum Lernen treiben, sondern die Freude daran. "Die Schulen und besonders das Gymnasium laufen Gefahr, zur Messstation zu verkommen", sagte Wenzel. Reflexion und Vertiefung kommen zu kurz. Sogar in einstündigen Fächern werden zuweilen sechs Tests im Schuljahr angesetzt. Bei 16 Fächern in der 10. Klasse ist das eine Ursache für das sogenannte Bulimielernen - inklusive dem Vergessen nach der Klausur.

Die Lösung? Fächer zusammenlegen und Prüfungen abschaffen. Statt fünf Fächer im Abitur abzufragen, darunter Mathe und Deutsch verpflichtend, sollen die Schüler entlastet werden und nur in vier Fächern Abschlussprüfungen ablegen - wie seinerzeit im G 9. Ganz abschaffen will der BLLV die unangekündigten Extemporalien. Stattdessen soll mehr Zeit dafür genutzt werden, Kinder nicht nur intensiver, sondern wirklich individuell zu fördern.

Gerade von der fächerübergreifenden Arbeit mit Projekten verspricht Wenzel sich viel: Themen wie die Industrielle Revolution könnten in Erdkunde, Geschichte, Wirtschaft, Englisch und Deutsch gestaltet werden. So sollen Kinder Inhalte besser verstehen und Zusammenhänge erkennen. Aber diese Art zu unterrichten, kostet Zeit, erfordert eine andere Organisation von Schule, und Lehrer, die bereit sind, aus ihrer Routine auszubrechen. Die neue Generation soll schon im Studium auf diese andere Art zu unterrichten eingestimmt werden. Dafür aber muss auch diese Säule, die Lehrerbildung, an die Gegenwart angepasst werden. Der Fokus liegt gerade beim Lehramtsstudium fürs Gymnasium sehr auf den Inhalten. Didaktik, Psychologie und Pädagogik kommen zu kurz. Das ist sogar weitgehend Konsens, nur die Umsetzung dauert.

Auch wenn das Kultusministerium in den Workshops im Herbst viele Ideen aufgenommen habe, sei davon bisher nicht viel umgesetzt worden. Für den Lehrplan Plus hatten sich Lehrer und Schüler weniger Stoff, aber mehr Freiheit zur Vertiefung gewünscht. Doch ein Vergleich des Abteilungsleiters für Schul- und Bildungspolitik im BLLV, Fritz Schäffer, am Geschichtsstoff der 6. Klasse zeigt, dass Inhalte und Stundenzahl gleich geblieben sind. "Da ist noch viel Raum nach oben", sagte Schäffer.

Mit dem Konzept will der BLLV die Diskussionen zum Reformprozess anschieben. "Wir dürfen die Zeit nicht mit Diskussionen über acht oder neun Jahre verplempern", sagte Wenzel. Wichtiger seien die Inhalte. Die Oppositionsparteien im Landtag sehen sich in den Forderungen des Lehrerverbands bestätigt: "Die Staatsregierung ist beim Thema Bildung schon viel zu lange auf dem Holzweg, die nötigen Reformen müssen so schnell wie möglich ernsthaft angegangen werden", sagte der Vorsitzende des Bildungsausschusses, Martin Güll (SPD). Freie-Wähler-Bildungsexperte Günther Felbinger pflichtete ihm bei, hielt aber an der Frage der Schuljahre fest: "Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass es mehr neunjährige Gymnasien geben wird."

Die Lehrpläne für weiterführende Schulen werden derzeit erarbeitet, der erste Entwurf für das Gymnasium wurde am Montag veröffentlicht. Nun können Ideen und Kritik eingebracht werden. Seit Herbst lernen bereits die Grundschüler nach dem neuen Plan. Das Konzept soll mit den Kindern wachsen. Die erste Generation Gymnasiasten, Realschüler und Mittelschüler soll von 2017 an nach neuem Lehrplan unterrichtet werden.

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