Schule:Gute Noten für islamischen Unterricht

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Lehrer und Schüler bewerten Modellversuch positiv. Doch wie es nach 2019 weitergeht, ist unklar. Es fehlen Ansprechpartner

Von Anna Günther, Nürnberg

Ein Bub will partout nicht mit Mädchen spielen, die besorgte Lehrerin bittet Mehmet Yalçin um Hilfe. Er soll mit dem Zweitklässler aus Syrien sprechen. Der Islamlehrer hakt nach, erklärt, dass Allah Mädchen und Buben geschaffen habe. Klar, sagt der Bub. Er findet Mädchen einfach doof, wie viele bayerische Buben dieses Alters, gelobt aber Besserung und fragt erstaunt: "Sie kennen Allah? Aber Sie sind doch in Deutschland, ich dachte, den Islam gibt es nur in Syrien." Diese Reaktion sei keine Ausnahme, sagt Yalçin, der seit 2002 in Bayern jungen Muslimen ihren Glauben näher bringt. 300 Kindern an sieben Grund- und Mittelschulen gibt Yalçin momentan islamischen Unterricht. Viele seiner Schüler wüssten anfangs wenig über ihren Glauben. "Diese Kinder brauchen den Unterricht unbedingt", sagt er.

Seit 2009 gibt es an bayerischen Schulen islamischen Unterricht als Modellversuch, die Lehrpläne entwickelte Ulrich Seiser vom Kultusministerium gemeinsam mit Eltern und Experten. Im vergangenen Schuljahr lernten gut 15 500 Mädchen und Buben an 337 Schulen mehr über ihre Religion. Bis 2019 läuft der Modellversuch noch, was danach kommt, ist ungewiss. Dass es weitergehen muss, steht für Simone Fleischmann und Tarek Badawia fest. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und der Professor für Islamisch-Religiöse Studien an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) hatten am Wochenende nach Nürnberg zum Studientag geladen, um gut 120 Lehrern wie Mehmet Yalçin Fortbildungen zu bieten und über die Zukunft des islamischen Unterrichts in Bayern zu sprechen. "90 000 Schüler warten darauf, dass sie auch am islamischen Unterricht teilnehmen können", sagte Badawia. Er fordert wie Fleischmann eine klare Entscheidung von Schulminister Ludwig Spaenle. Denn längst sei bewiesen, dass muslimische Eltern das Angebot akzeptierten. "Die Zeit des Modellversuchs ist vorbei, wir brauchen ein flächendeckendes Angebot für alle Schularten", sagte auch Fleischmann.

Vier der 337 Schulen mit islamischem Unterricht sind Realschulen, zwei Gymnasien. Hauptsächlich bieten Volksschulen diese Ergänzung zu Religionsunterricht und Ethik an. Dabei ist der Nutzen unter Experten unbestritten: Je mehr junge Muslime von staatlich geprüften Lehrern über ihre eigene Religion lernen, desto souveräner können sie mit irrlichternden Botschaften dubioser Prediger umgehen, Regeln der Familie kritisch hinterfragen und diskutieren. "Wir lernen, was Modeworte wie halal oder haram wirklich bedeuten", sagte ein Realschüler, der in Nürnberg per Videobotschaft zugeschaltet wurde. "Wir werden wegen unserer Religion oft runtergemacht, weil es Leute gibt, die sich im Namen des Islam in die Luft sprengen. Im Islamunterricht kennen die anderen das Gefühl, dort fühle ich mich gut aufgehoben", sagte seine Mitschülerin.

Das Problem ist: Islamunterricht ist in Bayern kein richtiger Religionsunterricht. Dieser wird laut Grundgesetz "in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt". Aber es gibt keine Vereinigung in Deutschland, die für alle Muslime spricht. Solange es keine einheitliche rechtliche Regelung für den Islam gibt, improvisieren die Bundesländer. Bayern wählte den Modellversuch. Das wirkt sich auch auf die Lehrerausbildung aus: Pädagogen, die an der FAU Islamische Religionslehre studieren, dürfen das nur zusätzlich zu anderen Fächern machen. Erst seit zwei Jahren können sie mit dem Staatsexamen abschließen. Das Interesse am Studium sei zwar groß, sagte Badawia, die Umstände aber schreckten viele Pädagogen ab: Wegen der Ungewissheit im Modellversuch gibt es nur befristete Stellen, keine Referendarausbildung und kaum Fortbildungen. Das führt dazu, dass es nicht einmal genügend Lehrer gäbe, falls der Islamunterricht auf mehr Schulen ausgeweitet würde. "Aber die Kinder haben ein Recht darauf", sagte Badawia. Bereits im Modellversuch betreuen Pädagogen wie Mehmet Yalçin bis zu elf Schulen. Für Austausch mit den anderen Lehrern im Kollegium bleibt da kaum Zeit, viele Islamlehrer fühlen sich als Einzelkämpfer oder sind mit Vorurteilen konfrontiert. Gruppen, in denen Lehrer eines Faches sich gemeinsam über Inhalte und Schüler austauschen, haben die Islamlehrer nicht. "Ich bin gezwungen, Probleme selbst zu lösen, das ist manchmal sehr schwierig", sagt Yalçin. Auch sein Vertrag ist befristet, die Festanstellung in der Türkei gab er für den Modellversuch auf.

Die Botschaft des Ministeriums zum islamischen Unterricht ist kryptisch: Der Modellversuch wird 2019 auslaufen, heißt es. Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen werde "rechtzeitig getroffen". BLLV-Präsidentin Fleischmann deutet das beim Nürnberger Studientag optimistisch, es werde also weitergehen. "Für uns Fachleute im Ministerium ist nicht vorstellbar, das nach 2019 nichts mehr ist", sagte auch Seiser. Die Entscheidung trifft am Ende die Staatsregierung.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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