Ukrainische Schüler in Bayern:"Wir wissen gar nicht, was psychologisch alles auf uns zukommt"

Ukrainische Schüler in Bayern: Schule als Ort der Integration: Ein Mädchen aus der Ukraine sitzt am Morgen mit ihrem Unterrichtsmaterial in einer Willkommensklasse des Gymnasiums Trudering in München.

Schule als Ort der Integration: Ein Mädchen aus der Ukraine sitzt am Morgen mit ihrem Unterrichtsmaterial in einer Willkommensklasse des Gymnasiums Trudering in München.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Wie viel kann das bayerische Bildungssystem bei der Integration ukrainischer Kinder leisten? Kultusminister Michael Piazolo sieht die Schulen bereits am Limit.

Von Viktoria Spinrad, München

Kultusminister Michael Piazolo (FW) hat die Schulfamilie und Öffentlichkeit auf den Kraftakt eingeschworen, Tausende ukrainische Schülerinnen und Schüler an den bayerischen Schulen aufzunehmen. Seines Erachtens sei dies keine Frage von Wochen, "sondern wird uns länger beschäftigen", sagte er im Bildungsausschuss des Landtags am Donnerstag. Das sei "alles eine wahnsinnige Herausforderung". Deutschklassen ließen sich nicht beliebig hochskalieren. "Irgendwann sind die Kräfte erschöpft", sagte Piazolo.

Direkte Worte, die genauso gut von Lehrervertretern hätten stammen können. Diese hatten unlängst immer wieder angemahnt, dass es kaum zu schaffen sei, den Tausenden neuen und teils traumatisierten jungen Geflüchteten mit dem vorhandenen Personal gerecht zu werden. Eine Sorge, die sich mit Blick auf den Sommer zuspitzt: Denn nach drei Monaten greift im Freistaat die Schulpflicht. Spätestens dann müssen angekommene schulpflichtige Kinder und Jugendliche im bereits vielerorts erschöpften Schulsystem aufgenommen werden.

Mehr als 15 000 Schüler sind bereits an den bayerischen Schulen angemeldet, "und es werden jeden Tag mehr", so Piazolo. 600 pädagogische Willkommensklassen wurden bisher eingerichtet, die den Schülern Struktur, Nestwärme und erste Deutschkenntnisse mitgeben sollen. Mehr als 1700 Lehr- und Willkommenskräfte sind dafür bisher rekrutiert worden, darunter 500 ukrainisch- oder russischsprachige. Was kaum reichen dürfte. Parallel fehlen 3000 schwangere Lehrerinnen wegen des in der Pandemie eingesetzten Betretungsverbots.

Eine zweisprachige Kampagne soll helfen, weitere Pädagogen anzuwerben

Im Ausschuss wedelte Piazolo am Donnerstag deshalb mit einem blau-gelben Flyer. Sein Haus hat auf mehreren Kanälen eine zweisprachige Kampagne gestartet, um weitere Pädagogen anzuwerben. "Wir wollen und brauchen die Kräfte", sagte Piazolo. Ziel seien zügige Vertragsabschlüsse. Dafür hat sein Haus bürokratische Hürden wie ein polizeiliches Führungszeugnis abgebaut. Zudem geht der Appell an etablierte Lehrerinnen und Lehrer, aufzustocken. Wegen der hohen Arbeitsbelastung arbeiten viele Lehrer nur in Teilzeit.

Auch die Frage der Integration von ukrainischen Schülern ist ein politischer Balanceakt. Die ukrainische Generalkonsulin in Hamburg hatte davor gewarnt, die Schüler vorschnell zu integrieren. Er verstehe die Sorge, dass die Kinder ihre Wurzeln verlören und ein "Brain Drain" im Land entstehe, sagte Piazolo. "Wer soll die Ukraine denn wieder aufbauen?", fragte er rhetorisch. Dem Vorschlag aus der SPD-Fraktion, Ukrainisch fest an den Schulen zu etablieren, erteilte er dennoch eine Absage. "Dann wird der türkische Botschafter sehr schnell da sein und fragen: Warum machen wir nicht Türkisch?", sagte er.

Weiter verschärft wird die Lage durch die Bilder im Kopf, die viele Kinder nach Bayern mitbringen. Manche malen Bomben, Panzer und Granaten, andere kauen sich die Nägel ab und sitzen wie versteinert in den Willkommensklassen. Dazu die Unsicherheit, ob und wann der Vater wieder zur Familie stößt. "Wir wissen gar nicht, was psychologisch alles auf uns zukommt", sagte Piazolo. Zugleich mahnte er vor zu hohen Erwartungen an das Bildungssystem. "Schule kann auch nicht alles", so der Minister. Bereits vor dem Krieg waren viele Schulpsychologen wegen der Folgen der Pandemie am Limit.

Dennoch plädierte der Minister dafür, in der Krise auch eine Chance für das als eher starr geltende bayerische Schulsystem zu sehen. Man könne nun neue Dinge ausprobieren. "Durchaus sinnvoll" könnten auch schulartübergreifende Gruppen sein. Er sei ohnehin ein Fan davon, mehr im Team zu machen, sagte er. Man stünde auch im engen Austausch mit anderen Bundesländern. Dann ließ er sich noch zu einem eher untypischen Satz für einen bayerischen Regierungspolitiker hinreißen. "Ich habe nicht den Eindruck, in Bayern machen wir automatisch alles am besten", so Piazolo.

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