Süddeutsche Zeitung

Schülerzeitungen:Diskutieren reicht nicht

Die eigene Familiengeschichte war für Georg Nemetschek Anlass, seine Stiftung zu gründen. Sie fördert politische Projekte und den Blattmacher-Wettbewerb.

Von Anna Günther

"Strauß muss weg"-Rufe, Demos gegen den Nato-Doppelbeschluss und Wackersdorf-Szenen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, in denen die Welt noch eine andere war. Geteilt in Ost und West, der Feind jenseits der Grenze, diesseits die Angst. Schüler und Studenten von heute kennen diese Zeit nur aus Erzählungen oder Geschichtsbüchern. Mit der Wiedervereinigung rückten Debatten über politische Systeme in den Hintergrund.

Viele Jugendliche wurden erst durch die Wahl Donald Trumps oder den Brexit aufgerüttelt. Ein Votum, das aus Sicht von Experten auch deshalb gegen die EU ausfiel, weil junge Briten nicht abgestimmt hatten. Hinterher protestierten in London Tausende. Zu spät. Aber nicht zuletzt der Protest vieler junger Leute gegen das Polizeiaufgabengesetz der Staatsregierung zeigt, dass diese Generation politisch und unbequem ist.

Leiser, aber genauso eifrig sind die Nachwuchsjournalisten in den Redaktionen der gut 1000 bayerischen Schülerzeitungen. Diesen Willen der Mädchen und Buben, ihr Umfeld durch die Schülerzeitung neben dem eigenen Lernpensum mitzugestalten, wollen Ralf Nemetschek und Silke Zimmermann von der Nemetschek Stiftung würdigen. Ziel der Stiftung ist es, die Demokratie in Deutschland zu stärken, Diskussionen anzuschieben, zu animieren, aktiv über Politik und Gesellschaft nachzudenken und sich aktiv am Prozess zu beteiligen. "Es ist ein großes Gut, dass wir unsere Meinung äußern und uns einbringen können", sagt Programmleiterin Silke Zimmermann.

Um Nachwuchsjournalisten gezielt zu fördern, beteiligt sich die Nemetschek Stiftung am Schülerzeitungswettbewerb Blattmacher, den die SZ seit 13 Jahren gemeinsam mit dem bayerischen Kultusministerium veranstaltet. Wie in den vergangenen Jahren wird es auch diesmal den Klub der Besten geben. Darin sind die Erstplatzierten von Gymnasien, Mittel-, Real- und beruflichen Schulen versammelt.

In diesem Jahr sind das die Redaktionen des Egbert-Gymnasiums in Münsterschwarzach, der Realschule Kemnath, der Georg-Göpfert-Mittelschule in Eltmann und des Beruflichen Schulzentrums Oskar-von-Miller Schwandorf. Sie haben ein Jahr lang Wettbewerbspause; dafür bekommen sie eine besondere journalistische Förderung in Form eines Projekttages mit Workshops von SZ-Redakteuren und der Nemetschek Stiftung, von der diesmal die ganze Schule profitieren wird. "Leute wie diese engagierten Schüler braucht die Gesellschaft. Wir wollen zusätzliche Impulse geben und über die Rolle der Medien in Zeiten von Fake News diskutieren", sagt Zimmermann.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren, als Ralf Nemetschek Schüler war, gehörten Diskussionen über Politik und Demokratie zum Alltag. "Dann geh doch rüber", sei eine gern genutzte Phrase gewesen, sagt Nemetschek. Drüben war das sozialistische System mit dem Versprechen einer klassenlosen, herrschaftslosen Gesellschaft. "Durch unsere Familiengeschichte war klar, dass es drüben im real existierenden Sozialismus eben nicht besser ist", sagt er.

Das Erlebte ging so tief, dass die Familie vor zehn Jahren beschloss, nicht länger nur zu diskutieren. Nemetscheks Vater Georg wurde 1934 in der Tschechoslowakei geboren, erlebte als Kind Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg. Mit der Mutter und zwei Geschwistern floh er nach Kriegsende in den Westen, viele Verwandte blieben zurück. Jahrzehntelang trennte der Eiserne Vorhang diese Familie. Dass er im demokratischen Teil Deutschlands aufwachsen konnte, empfindet Georg Nemetschek als großes Glück. Der Bauingenieur gründete 1963 eine Firma, die sich auf Software für Architekten und Bauplaner spezialisierte. Mittlerweile hat die Nemetschek Group 2000 Beschäftigte.

Ralf Nemetschek kümmert sich mit Silke Zimmermann um die Projekte der Stiftung. Politisch sollen diese sein und Spaß machen, etwa wenn Schauspieler des Münchner Volkstheaters aus den Wahlprogrammen der Parteien lesen. "Wir wollen Menschen auch ermutigen, ein bisschen gelassener auf die Gesellschaft zu schauen", sagt Silke Zimmermann. "Das Gute an Demokratie ist, dass sie zwar anstrengend ist, aber wir auch die Dinge ins Positive gestalten können."

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Quelle:
SZ vom 14.06.2018/less/angu
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