Süddeutsche Zeitung

Prozess in Ingolstadt:Mit Zuckerwasser gegen Krebs

Eine Heilpraktikerin soll schwer kranken Menschen ein völlig nutzloses Mittel verkauft haben. Die 55-Jährige und ein Unternehmer, der als Hersteller fungierte, stehen nun wegen Betrugs vor Gericht - doch es gibt noch mehr Umstände, die Fragen aufwerfen.

Von Maximilian Gerl

Verhandelt wird der Stoff, aus dem Krimis und Schlagzeilen sind: falsche Titel und falsche Hoffnungen, tödliche Krankheiten und angebliche Wundermittel. Was soll man da sagen, zum Beispiel hier, vor der Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt? Vielleicht erst einmal: gar nichts. Kaum ist der Prozess am Freitag eröffnet, ist er schon unterbrochen. Einer der beiden Angeklagten, ein Unternehmer, atmet schwer unter der Maske, er hat gesundheitliche Probleme. Der Gerichtsarzt bestätigt nach einer halben Stunde die Verhandlungsfähigkeit. Der Prozess wird fortgesetzt.

Es dürfte nicht die letzte Unterbrechung gewesen sein. Rund 40 Verhandlungstage hat das Landgericht angesetzt, da kann viel passieren. Und es geht ja um viel, juristisch, aber noch mehr emotional. Allein 70 Betrugsfälle umfasst die Anklage. Der Unternehmer und eine Heilpraktikerin sollen ein vermeintliches Heilmittel gegen Krebs und andere Erkrankungen verkauft haben.

Doch dieses verfüge laut Staatsanwaltschaft über keine "pharmakologische Wirkung": Stattdessen handle es sich um eine "mit Aminosäuren und Proteinen versetzte Zuckerlösung". Auch fehle dem Präparat namens BG-Mun die nach Arzneimittelgesetz nötige Zulassung. Dennoch sollen es die Angeklagten für vierstellige Beträge verkauft haben, der mutmaßliche Schaden beläuft sich auf rund eine halbe Million Euro. Die Heilpraktikerin, eine 55-Jährige aus Schrobenhausen, soll sich zudem unberechtigt als Professorin ausgegeben haben.

Geschäftemacherei also auf dem Rücken schwer kranker Menschen? Darüber zu entscheiden, obliegt nun dem Gericht. Während der Verlesung der Anklageschrift ringt die Heilpraktikerin kurz mit den Händen, sie wirkt angefasst. Später wird sie keine Angaben machen, dafür verlesen ihre drei Verteidiger eine schriftliche Erklärung: Das Ziel sei ein Freispruch. Ihre Mandantin habe Patienten nicht getäuscht und geschadet. Und: Sie sei von Stern TV öffentlich vorverurteilt worden.

Tatsächlich kommt man an dem Fernsehmagazin in diesem Prozess kaum vorbei; dessen Beiträge hatten die Ermittlungen ja erst angestoßen. Unter anderem filmte eine Reporterin mit versteckter Kamera in der Praxis der Heilpraktikerin. Diese soll dabei angegeben haben, dass BG-Mun gegen Krebs wirke - und dass es sogar früher von der Krankenkasse bezahlt worden sei. Die Reporterin kaufte daraufhin Fläschchen mit der rosa Flüssigkeit und übergab sie der Arzneimittelüberwachung der Regierung von Oberbayern. Ein Pharmakologe schätzte für Stern TV den Wert des Präparats auf wenige Euro. Verkauft wurde es im Netz für 5900 Euro.

Auch der Professorinnentitel der Angeklagten wirft Fragen auf

Aus Sicht der Verteidigung wurde der Heilpraktikerin eine Falle gestellt. Der Schnitt und die Zusammenstellung stütze nicht das, "was der Bericht suggeriert". Man habe darum Klage gegen das Magazin eingereicht, um die Herausgabe der ungeschnittenen Aufnahmen zu erreichen. Außerdem habe die Staatsanwaltschaft BG-Mun mit einem anderen, ähnlich klingenden Präparat verwechselt. Dabei handle sich um kein "Zuckerwasser", sondern ein "Organextrakt" zur Stärkung des Immunsystems.

Auch der Vorwurf des falschen Professorinnentitels spielte schon in den Fernsehbeiträgen eine Rolle. Diesen will die Heilpraktikerin - so zitierte sie zumindest damals Stern TV - von der Frankfurter Europa-Universität "für die außerordentliche Leistung in immunbiologischer Therapie" erhalten haben. Die Hochschule wiederum teilte der Redaktion mit, der Heilpraktikerin weder einen Professorentitel verliehen noch sie als Honorarprofessorin beschäftigt zu haben.

Laut Staatsanwaltschaft stammt der Titel dagegen von einer US-amerikanischen Krebsorganisation, die nicht zur Verleihung akademischer Grade berechtigt sei. Daneben beschuldigt sie die 55-Jährige in mehreren Fällen der Körperverletzung, weil sie Patienten BG-Mun injiziert habe. Zeitweise saß die Schrobenhausenerin in Untersuchungshaft.

Der Unternehmer äußert sich zur Sache am Freitag nicht. Er hat sich etwas schräg platziert, von hinten ist im Saal nur sein Rücken zu sehen. Der 66-Jährige wurde auf Zypern verhaftet, wo er zuletzt wohnte, seitdem befindet er sich in Haft. Folgt man der Darstellung der Staatsanwaltschaft, war er der für BG-Mun "verantwortliche Hersteller". Die Heilpraktikerin soll er mit dem Präparat aus seinen Beständen versorgt und es auch selber vertrieben haben. Außerdem soll er die Heilpraktikerin dazu bewogen haben, öffentlich mit dem Professorinnentitel aufzutreten. Das Verfahren gegen einen dritten mutmaßlichen Komplizen hat die Kammer abgetrennt, die Vorwürfe gegen ihn wiegen weniger schwer.

Umso länger ist dafür die Zeugenliste. Im Verlauf des Prozesses sollen unter anderem Patienten der Heilpraktikerin oder deren Angehörige befragt werden. Ob bei Pfeifferschem Drüsenfieber, Lungen- oder Blasenkrebs, die Hoffnung auf BG-Mun dürfte in vielen Fällen groß gewesen sein. Ein Urteil wird für Anfang Februar erwartet.

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SZ vom 19.06.2021/van/lfr
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