Ein ungemütlicher Ort ist der Schwetzinger Platz in Schrobenhausen, anders lässt es sich leider kaum sagen. Zwar hat man den Kreisverkehr beim Industriegebiet bepflanzt und nach der Partnerstadt in Baden-Württemberg benannt, aber die Stelle ist stark befahren: Ein Kartoffellaster donnert vorbei, danach ein Transporter mit einem Bagger auf der Ladefläche; der Fahrer eines grünen Sportwagens fühlt sich bemüßigt, die Lärmkulisse zu ergänzen, er führt beim Beschleunigen vor, was unter der Motorhaube steckt.
Tanja Jenter, Klimaschutzbeauftragte der Stadt Schrobenhausen, redet gegen den Verkehr an und erklärt, warum sie dennoch stolz ist auf diesen Ort. Rund um den Kreisverkehr führen nämlich breite Fahrradwege - die Bürger, die mit Regenjacken und Bommelmützen an diesem Nachmittag vorbeiradeln, haben stets Vorfahrt. Der Plan, Schrobenhausen fahrradfreundlich zu machen, geht hier offenbar recht gut auf. Den Kreisverkehr, sagt Jenter, habe die Jury ja eigens gelobt. Auch das habe ihrer Stadt dann den Titel beschert: "Fahrradfreundliche Kommune".
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Kirchheim ist als fahrradfreundliche Kommune zertifiziert worden. Die Anstrengungen der Gemeinde, Anreize zu schaffen, um das Auto stehen zu lassen, beeindrucken die Jury.
Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart und die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen (AGFK) haben unlängst neun Städte und Gemeinden geehrt. Sie haben eine Zertifizierung bestanden, sind offiziell fahrradfreundlich. 26 Kommunen in Bayern tragen nun insgesamt den Titel. Ein Selbstläufer sei das nicht, heißt es: Durchaus würden Bewerber abgelehnt, wenn ihre Konzepte "noch nicht so weit" seien. Schrobenhausen war so weit. Doch was bringt dieses Etikett? Und was kann eine Kommune für Radler alles tun?
Neulich im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München. Der prachtvolle Rahmen der Ehrung unterstreicht, dass dem Minister der Wettbewerb wichtig ist. "Im Radverkehr liegt unheimlich viel Potenzial", sagt Reichhart und schwärmt von Arbeitswegen ohne Stau und Parkplatzprobleme. Die Preisträger hätten "Radfahren einfacher, komfortabler und sicherer gemacht". Es geht um Schutzstreifen und Ampelführung an diesem Tag, um Lastenräder und Abstellanlagen. Viele kleine Schritte, Ideen nach Maß. Königsweg gebe es keinen, hört man.
Eine Dichterin rezitiert eine Ode ans Fahrrad und die "Zauberformel zwischen rotierenden Speichen". Es geht in ihrem Text auch um einen Bürgermeister, der Radfahrern immer sagt: "Ja mei, kannt'ma machen." Könnte man. Matthias Dießl, Fürther Landrat und AGFK-Vorsitzender, erinnert an Exkursionen des Netzwerks nach Amsterdam und Kopenhagen. Die Städte gelten als Radfahrerparadiese. Dass man nicht einen Schalter umlegen und Bayerns Kommunen flugs zu solchen macht, weiß Dießl. "Wir zeichnen nicht nur den Ist-Zustand aus, sondern möchten, dass das Thema in der Kommune verankert wird und dass ständig daran gearbeitet wird."
Die Bewerbungsmappe von Schrobenhausen ist ein dicker Ordner. 2013 hatte die oberbayerische Stadt ihre Strategie begonnen: Es gab ein Maßnahmenpaket mit 121 Punkten, davon seien 80 Prozent umgesetzt; es gibt Investitionen, gut eine halbe Million Euro jährlich; es gibt mit der Klimaschutzbeauftragten eine feste Ansprechpartnerin im Rathaus, die für die Vorhaben in Stadtrat und Verwaltung eintritt. Die Grundvoraussetzungen sind als "Stadt der kurzen Wege" nicht schlecht, im Radius von wenigen Kilometern ist alles per Rad erreichbar, eine Touristenregion ist man noch dazu; wenig vorteilhaft ist der historische Ortskern mit begrenztem Raum, der klug zu verteilen ist.
Auszug aus dem Maßnahmenkatalog: neue Radwege natürlich, verkehrsberuhigte Bereiche, bessere Beschilderung, Randsteine absenken, E-Bike-Ladestationen und Abstellplätze; das Zentrum erhält gerade einen anderen Belag, das Kopfsteinpflaster, das Radler durchschüttelt, kommt weg. Nicht zuletzt will die Stadt einen fahrradfreundlichen Geist schaffen, durch Aktionen, Marketing und Vorbildfunktion: Der Bürgermeister fährt häufig mit dem E-Bike zu Terminen. "Aber wir kommen nicht mit dem Zeigefinger und sagen: das böse, böse Auto", erklärt Jenter. Sie will alle Bürger mitnehmen auf dem Weg. Und natürlich, es werde immer auch Radfahrer geben, die mit einzelnen Stellen im Stadtverkehr unzufrieden sind.
In der Lenbachstraße im Ortskern lässt sich das überprüfen. Zwei Mädchen kommen aus der Dönerbude und steigen auf dem Geh- und Radweg in den Sattel, ein Auto hält sich nie und nimmer an Tempo 10, wie hier vorgesehen. Ein Mädchen springt ab, "so ein Scheiß", ruft sie. Eine ältere Dame, Einkäufe im Korb am Lenker, schiebt. "Lebensgefährlich" sei es hier, "da fahre ich nicht, ich hab' Angst". Sie müsse ja selbst ab und zu mit dem Auto in die Stadt, zur Post. "Aber Fahrräder, Autos und Fußgänger haben einfach keinen Platz, das ist hier für keinen optimal." Als ihr Mann und sie von der Ehrung gehört haben, hätten sie erst mal gelacht.
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Sie flucht noch über einen Radweg, der im buckeligen Feldweg endet, an anderen Stellen habe sich aber etwas getan. Gesamtbilanz? "Na ja." Bei einer Umfrage, nicht repräsentativ, halten sich Lob und Kritik in etwa die Waage. Ein junger Mann am Bahnhof, der mit dem Zug aus der Arbeit kommt, sagt zur Fahrradfreundlichkeit: "Passt schon." Und früher? "Hat's auch gepasst." Die überdachten Fahrradständer am Bahnhof seien toll, der Hintern bleibt trocken. In vielen anderen Gemeinden ist das ein tägliches Ärgernis.
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) in Bayern, der beim Wettbewerb in der Jury mitmacht, sieht diesen als "gutes Instrument", damit sich Kommunen ernsthaft mit Radverkehrsförderung auseinandersetzen. Insgesamt sei Bayern "weit davon entfernt, ein fahrradfreundliches Land zu sein". Daher brauche man ein Rad-Gesetz mit klaren Infrastrukturvorgaben. Derzeit mache jede Kommune ihr Ding, je nach politischem Willen und Kassenlage.
Wer als fahrradfreundliche Kommune seine Hausaufgaben mache, lobt der ADFC, komme aber "ein gutes Stück" weiter. Wie in Schrobenhausen. Jenter sieht das Ganze als Prozess. "Fahrradfreundlich heißt nicht, dass wir perfekt sind. Wir machen, was wir können." An einer kniffligen Stelle zum Beispiel sei die Jury gestanden und habe gemeinsam überlegt, wie man das anders regeln könne. Aber selbst all den Experten sei keine Lösung eingefallen.