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Schönheitswahn im Kinderzimmer:Schlank um jeden Preis

Sie fasten, bis es ungesund wird: Jugendliche wollen immer früher zweifelhaften Schönheitsidealen entsprechen. Die Folgen können gefährlich sein. Denn ständiges Fasten führt mitunter zu einer krankhaften Essstörung.

Von Sophie Burfeind

Ihre braunen Augen hat Sarah mit Wimperntusche betont, auf den Wangenknochen trägt sie einen Hauch von Rouge. Die Augenbrauen sind sorgfältig gezupft, ihre Zähne weiß und ebenmäßig. Der hellbraune Pullover harmoniert mit einer dunkelblauen Jeans und schokobraunen Haaren. Aktuell trägt die 16-Jährige ihre Winterfrisur. Im Sommer sind ihre Haare etwas heller.

Trotz sorgfältig aufgetragener Schminke sieht Sarah (Name geändert) natürlich aus. Eine fröhliche Elftklässlerin, die am hölzernen Küchentisch im Haus ihrer Eltern sitzt und ein Glas Limonade trinkt - kalorienreduziert natürlich. Die Dachauer Gymnasiastin achtet auf ihr Äußeres.

Heute morgen hat Sarah nur zwanzig Minuten im Bad gebraucht. Wenn sie abends ausgeht, können das schon mal eineinhalb Stunden sein. Denn dass sie gut aussieht, ist ihr enorm wichtig.

Damit ist sie nicht allein: Für Jugendliche spielt das Aussehen eine immer größere Rolle. Und der Zwang zur Makellosigkeit beginnt immer früher. Schließlich setzt die Pubertät heute manchmal schon mit neun oder zehn Jahren ein. Bereits Mädchen mit elf Jahren schminken sich jeden Morgen und achten peinlich genau auf ihr Gewicht. Der Schönheitswahn hat in die Klassenzimmer Einzug gehalten.

Doch worüber Erwachsene erschrocken den Kopf schütteln, kommt Kindern und Jugendlichen ganz normal vor - sie wachsen ja damit auf. Dass der Schönheitskult gerade in Schulen mittlerweile ziemlich extrem ist, ist Sarah bewusst. "Mädchen, die sich nicht so gut anziehen können oder wollen, werden oft ausgegrenzt", sagt sie. "Am schlimmsten war das in der sechsten, siebten und achten Klasse. Aber es hat teilweise schon in der Grundschule angefangen."

Mädchen reden ständig vom Abnehmen

Sarah würde niemals ohne Make-up in die Schule gehen. "Da würden einen ja sonst alle komisch anschauen." Wer ungeschminkt oder mit einem unpassenden Outfit in die Schule komme, über den werde gelästert. Komplimente erhalte, wer Klamotten von Abercrombie oder Hollister trage - die Verkäufer dieser Marken werden wie Models gecastet.

Auch im Streit gehe es um Äußerlichkeiten, erzählt die 16-Jährige: "Wenn man sich streitet, heißt die erste Beschimpfung oft: Du bist fett und hässlich. Das trifft am meisten." Bei Jugendlichen wie bei vielen Erwachsenen, die besessen davon sind, den eigenen Körper durch ein Schönheitsregime von Diäten, Sport und notfalls plastischer Chirurgie den Idealmaßen gemäß zu formen.

Mit dem Schönheitswahn bei Teenagern beschäftigt sich auch die Wissenschaft. "Jugendliche in Deutschland wachsen heute in einer sozialen Wirklichkeit auf, die den Körper viel stärker als einen zu bearbeitenden Rohstoff im Dienste der Selbstoptimierung beziehungsweise der Gestaltung sieht als ihre Eltern", erklärt die Soziologin Paula-Irene Villa, die an der LMU Gender Studies lehrt. Mit anderen Worten: Tattoos, Piercings, Acryl-Fingernägel, Brust-OPs oder Medikamente zur Leistungssteigerung seien fast schon normal.

Grundsätzlich hänge die Intensität, mit der man sich um seinen Körper bemühe, jedoch stärker vom Milieu als von der Generation ab. So sei zum Beispiel erwiesen, dass Fettleibigkeit häufiger in einkommensschwächeren Familien auftritt. Für Frauen ist Schönheit häufig gleichbedeutend mit extremer Schlankheit. Im Rahmen der Studie "Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)" von 2012 schätzte sich bereits jedes zweite Mädchen in Deutschland im Alter von elf bis 15 Jahren als zu dick ein. Bei den Jungen derselben Altersstufe war es jeder Dritte. Trotz Normalgewicht der meisten.

Auch Sarah kennt das: "Selbst die ganz Dünnen sagen, dass sie sich zu dick finden. Ich glaube, da fehlt das Realitätsbewusstsein." Während Sarahs Freundinnen ständig vom Abnehmen reden, geht es bei den Jungs darum, einen durchtrainierten, muskulösen Körper zu haben.

Problematisch wird es dann, wenn das Formen des eigenen Körpers exzessiv und zum Zwang wird. So wie bei dem 16-jährigen Tobias Bauer (Name geändert) aus Wolfratshausen. Mit 14 Jahren begann er mit dem Fitnesstraining, damals noch unregelmäßig. Seit etwa zehn Monaten trainiert er täglich bis zu eineinhalb Stunden. "Mir wurde oft von älteren Jungs gesagt, dass ich viel zu dünn bin und gar kein Mann", erzählt Tobias. Er wollte ihnen das Gegenteil beweisen.

Mit Erfolg - wie man auf Bildern von ihm sieht, die er mit seinem Handy gemacht hat. Muskelpakete an den Schultern, Armen, ein Sixpack: Sein schmaler Jungenkörper nimmt die Gestalt eines Bodybuilders an. "Mein ganzes Leben richtet sich nach Fitness", sagt Tobias freimütig. Dass das Training längst zur Sucht geworden ist, weiß er. Aber es kümmert ihn nicht: "Es ist ja eine gesunde Sucht", behauptet er - ein erst 16-Jähriger, der ein Ernährungstagebuch führt, keinen Alkohol trinkt, freiwillig auf Süßigkeiten und Partys verzichtet.

Tobias und Sarah verwenden oft die Wörter "verbessern" oder "optimieren", wenn sie von ihrem Körper sprechen. Unbewusst erklären sie damit, worauf der Schönheitswahn beruht. "Die Schönheitsideale in Deutschland spiegeln allgemeine soziale Normen wider: Es geht um die Verkörperung von Selbstdisziplin, Kreativität, Flexibilität und Mobilität, also um Fitness in einem ökonomischen Sinne", sagt Paula-Irene Villa. Am Körper werde die eigene Leistungsfähigkeit zur Schau gestellt.

Castingshows und Schönheitswahn

Häufig geraten deshalb Castingshows wie Germany's Next Topmodel in die Kritik, wenn es um Schönheitswahn bei Jugendlichen geht. Solche Sendungen sind unter den Heranwachsenden nach wie vor das beliebteste Format, wobei Heidi Klums Topmodelserie am häufigsten gesehen wird.

Studien des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) belegen, dass die Sendung die Unzufriedenheit vieler Zuschauerinnen mit dem eigenen Körper verstärkt. Einige werden zu Diäten oder verstärktem Sporttreiben animiert.

Kritische Diskussionen mit Jugendlichen über Sendungen dieser Art gehören zu Albert Kapfhammers Aufgaben. Der Kulturpädagoge vom Münchner Verein Kultur & Spielraum organisiert seit vielen Jahren Projekte in Jugendeinrichtungen, Kulturzentren und Schulen, in denen es um eine Auseinandersetzung mit den Themen Schönheit und Mode geht. Dabei werden auch die in den Medien vermittelten Körperideale hinterfragt.

Seiner Erfahrung nach seien viele Jugendliche an einer Auseinandersetzung mit dem Thema Schönheit interessiert. Doch nicht jeder lasse sich von den gängigen Idealen beeinflussen: "Nicht alle, die Castingshows sehen, wollen auch so aussehen", bemerkt Kapfhammer und ergänzt: "Genauso sind nicht alle fixiert auf Marken."

Regelmäßig lässt der Kulturpädagoge die Jugendlichen Illustrierte durchblättern. Gemeinsam stellen sie fest, dass kaum ein Bild noch echt ist. "Dabei sieht man, wie absurd das alles ist. Dass das ja eigentlich Kunstfiguren sind, die mit realen Menschen nichts mehr zu tun haben", erklärt Kapfhammer.

Er versucht, die Heranwachsenden dabei zu unterstützen, sich mit dem eigenen Körper zu versöhnen, ihre Individualität schätzen zu lernen: "Unser Anliegen ist es, zu zeigen, dass Unterschiede spannender sind, als wenn alle gleich ausschauen." Jeder sei auf seine Art schön und attraktiv. Das gelte es zu betonen.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2014/mmo
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