Schon das dumpfe, metallische Geräusch, wenn sich das mächtige Drucktor vor der hausgroßen Kaverne schließt, hallt in dem dreieinhalb Kilometer langen Tunnelsystem viele Male wider. Das Geräusch der Detonation, die kurz darauf folgt, wabert noch viel mächtiger durch das von Splittern zernarbte Innere der Reiteralpe. Tief im Dolomit des Berchtesgadener Landes hat Sprengmeister Thomas Spens 650 Gramm militärischen Plastiksprengstoff gezündet, direkt an einer Betonwand, die mit zahllosen dünnen Stahlfäden verstärkt ist.
Hier in der Wehrtechnischen Dienststelle 52 in Oberjettenberg bei Schneizlreuth lässt die Bundeswehr prüfen, was die Truppe vor Angriffen schützen soll. Die Wissenschaftler und Ingenieure testen Betonwände, die Autobomben standhalten sollen; sie probieren Detektoren aus, die selbstgebaute Sprengsätze entdecken können, und sie graben Fallgruben vor Feldlagern in Wüstentarnung mitten in die bayerischen Berge. Vom "Gegner" ist hier viel die Rede, und dieser Gegner ist längst ein ganz anderer als der, der im Kalten Krieg mit seinen Atombomben gedroht hat. Doch auch die Druckwelle einer solchen Bombe, den nuklearen Blast, können sie hier in Oberjettenberg simulieren.
Ein anderes Erbe aus dem Kalten Krieg sind die 50 Meter Elbe-Seitenkanal, der zum unüberwindbaren Hindernis für die Sowjetpanzer gemacht werden sollte. Die Panzer sind nicht gekommen, dafür ist inzwischen die Bundeswehr in vielen fernen Weltgegenden unterwegs. Die Verhältnisse dort werden in Oberjettenberg nachgestellt, von Männern und Frauen, die keine Schulterklappen tragen, sondern Beamtentitel. Ihr Auftrag ist ein rein defensiver, doch dass Angriff und Verteidigung, die hier gerne "Wirkung und Schutz" genannt werden, schon immer zwei Seiten einer Medaille waren, ist den Wehrtechnikern der Bundeswehr natürlich bewusst.
Der Aufwand, den die Bundeswehr hier betreibt, ist enorm, auch wenn immer mehr Sprengversuche nur noch im Computer stattfinden. Das Tunnelsystem in der Reiteralpe wird trotzdem immer größer - und womöglich soll es auch bald tiefer werden, denn die 60 Meter des senkrechten, mit 1,2 Millionen Litern Wasser gefüllten Schachts reichen für die Tests an Torpedos und an Auftauch-Einrichtungen für U-Boote kaum mehr aus.
Obwohl an der Mündung des Tunnels immer wieder Bäume umknicken, schützt der Berg vor ungewollten Schäden - und vor Einblicken in die Testreihen der Wehrtechniker, die dem Gegner möglichst mindestens einen Schritt voraus sein sollten.