Schneechaos am Alpenrand:"So schlimm war es noch nie"

mönch

Mannshoch: Der Schnee um das Kloster Maria Eck im Chiemgau, wo Pater Franz die Stellung hält.

(Foto: Oliver Das Gupta)

Im oberbayerischen Chiemgau ist wegen des massiven Wintereinbruchs der Katastrophenfall ausgerufen worden. Ein Besuch an drei Orten, an denen Einsatzkräfte und Bürger mit dem Schnee kämpfen.

Reportage von Oliver Das Gupta, Traunstein

Pater Franz will unbedingt auf den Dachboden, "von dort sieht man es besonders gut". Er schnellt durch den Gang, der dunkle Habit wackelt, Treppe hoch, vorbei an Pappkartons im Halbdunkel, der Schlüssel quietscht, Stahltür auf. "Vorsicht, passen Sie auf den Kopf auf", sagt der Mönch, "die Dachbalken sind niedrig". Dann, an einem kleinen Fenster, deutet er mit dem rechten Zeigefinger hinaus, auf das gegenüberliegende Dach. Dort hat der Wind den Schnee an einer Stelle zu einer imposanten Spitze geformt. "Das ist unser Matterhorn", sagt Franz und lächelt kurz, bevor er wieder ernst wird: "Wir müssen wahrscheinlich die Wallfahrtskirche sperren." Die Dachlawinen, sagt er, die Gefahr sei einfach zu groß.

Der Haupteingang zum Klostergebäude der Franziskaner-Minoriten ist vom Schnee regelrecht verschüttet, ein weiterer Zugang einige Meter freigeschippt, auch wegen des Vogelhäuschens. Rein und raus kommt man derzeit eigentlich nur über die Küche. Ob die Dächer der Klosteranlage zusätzliche Schneemassen aushalten, das bezweifelt Pater Franz. Der Geistliche, der sich als "badischer Franke" bezeichnet und aus Tauberbischofsheim stammt, kam vor etwa drei Jahrzehnten nach Maria Eck. "So schlimm war es noch nie".

Auf etwa 850 Höhenmeter liegt das kleine Kloster am nordöstlichen Rand der Chiemgauer Alpen, nur einige Kilometer südlich der Autobahn München-Salzburg. Vor etwa 400 Jahren wurde das Kloster in den Bergwald gebaut, nachdem ein paar Holzfäller magische Lichterscheinungen gesehen haben wollen. Der prachtvolle Blick auf den nahen Chiemsee und der Klostergasthof zieht im Sommer viele Ausflügler an. Selbst an diesem Wintertag ist die Sicht ins Alpenvorland relativ gut. Unter dem grauen Himmel strahlt das Weiß des Schnees, unterbrochen vom Dunkel der Wälder, Dörfer und Straßen.

So friedlich der Chiemgau von Maria Eck aus wirkt, so schwierig ist die tatsächliche Situation. Hier im Landkreis Traunstein ist, wie im gesamten oberbayerischen Alpenraum, der Katastrophenfall ausgerufen worden. In den vergangenen Tagen hat es so massiv geschneit, dass sich das Leben der Bewohner deutlich einschränkt: Schulen und Kindergärten sind vorerst geschlossen, geparkte Autos sind teilweise unter meterhohen Schneedecken begraben. Auf kleineren Straßen liegt der Schnee teilweise seit Tagen - die Räumfahrzeuge kommen nicht nach mit der Arbeit. Neben den Hauptverkehrswegen liegt der Fokus der Einsatzkräfte zunächst darauf, Hydranten für die Feuerwehr sowie Einrichtungen wie Krankenhäuser und Altenheime vom Schnee zu befreien und zu sichern.

Die Zeit drängt: Am Sonntag soll es in niedriger gelegenen Orten tauen, was die Glatteisgefahr deutlich steigert. Für die höheren Lagen sagen die Wetterdienste neue Schneefälle voraus, bis Dienstag wird es im Landkreis Traunstein kräftig Neuschnee geben, bei Maria Eck können es 70 Zentimeter und mehr werden. Dazu kommen Orkanböen von bis zu 120 Kilometer in der Stunde und Schneeverwehungen. "Alle Bürger werden gebeten, Autofahrten wenn möglich zu vermeiden", so der Appell des Landratsamts Traunstein.

Damit bis zur Ankunft der neuen Winterwalze der Schnee von gestern so umfangreich wie möglich abgearbeitet werden kann, kommt Hilfe von außen. Etwa 1000 Männer und Frauen sollen es allein im Landkreis Traunstein sein, viele Leute der Freiwilligen Feuerwehr, auch das Technische Hilfswerk. Die Bundeswehr ist mit 70 Gebirgsjägern aktiv. Hubschrauber des Heeres fliegen knapp über der Autobahn und an Straßen wie der nach Maria Eck entlang. Mit ihren Rotoren wirbeln die Helikopter den Schnee von den Bäumen, weil die sich unter der weißen Last mitunter schon bedenklich biegen. "Downwash", so heißt diese Technik.

"Diese bayernweite Solidarität freut mich besonders"

In der Kreisstadt Traunstein, die auf knapp unter 600 Höhenmetern liegt, schippen Feuerwehrleute aus dem nördlich von München gelegenen Landkreis Freising Dächer einer kirchlichen Betreuungseinrichtung frei: Sie sind um 5 Uhr aufgestanden und fahren am Abend wieder nach Hause, erzählen sie. Selbst aus Eichstätt und aus Oberfranken sind ehrenamtliche Helfer angerückt, um anzupacken, sagt Michael Reithmeier, Pressesprecher des Landratsamts Traunstein: "Diese bayernweite Solidarität freut mich besonders."

In Reithmeiers Behörde ist das Lagezentrum eingerichtet, von hier werden alle Einsätze zentral koordiniert: Welche Straßen werden gesperrt? Welche zuerst geräumt? Wo müssen Lawinen gesprengt werden? Wo werden Freiwillige eingesetzt? Welchen Menschen muss ärztlich geholfen werden? All das müssen die Helfer entscheiden. Ein Kommunikationswagen ist vor der Behörde im Innenhof geparkt, innen löffeln müde Helfer Gulaschsuppe, ein Bundeswehr-Hauptmann schreitet vorbei, das Handy am Ohr. Die Stimmung ist gut, man ist froh, dass bislang kein Mensch im Landkreis zu Schaden kam.

traunstein

In Traunsteins Innenstadt türmt sich der Schnee zum Teil meterhoch.

(Foto: Oliver Das Gupta)

Traunsteins Innenstadt selbst quillt regelrecht über von den Schneemassen. Auf vielen Gehwegen ist kein Durchkommen, Abbiegespuren sind nicht mehr existent, Parkplätze gibt es kaum, weil dort die Räumdienste den Schnee hingeschoben haben. Auf dem Stadtplatz türmt sich der Schnee mitunter vier, fünf Meter hoch. Das Zentrum gleicht stellenweise einer Abraumhalde. Vereinzelt klettern Kinder auf die neuen Gebirge. Immer wieder lugen Autospiegel unter Schneebergen hervor, gerade in Bahnhofsnähe. Wer hier vergangene Woche sein Auto abgestellt hat, um auf eine Reise zu gehen, sollte mit einem Klappspaten zurückkehren - oder den Urlaub deutlich verlängern.

Am Chiemsee denken sie bereits an die Schneeschmelze

Zehn Kilometer weiter, es geht bergab, Richtung Chiemsee. Chieming, auf 537 Höhenmeter gelegen, ein Dorf am Ostufer. Dort rollen graue Wellen gegen den Kiesstrand, nach ein paar Minuten im Freien brennt der Wind im Gesicht. Auch hier liegt viel Schnee, auch hier wurde geschippt und geräumt, die Turnhalle mit ihrem Flachdach ist sicherheitshalber gesperrt.

Aber doch ist es hier etwas anders. Es ist ein paar entscheidende Grad milder als in Traunstein und Maria Eck, der Schnee schmilzt deutlich an diesem Samstagnachmittag, auf dem Asphalt stehen Pfützen. Einige Einheimische denken schon an die kommenden Wochen. Daran, was im Ort passiert, wenn all der Schnee zu Wasser wird. "In einige Keller wird es das Wasser reindrücken", sagt ein pensionierter Lehrer. Einen positiven Effekt weiß er aber auch, und der hat mit dem im Dürresommer deutlich gesunkenen Wasserstand des Chiemsees zu tun: "Wenn der Schnee schmilzt, wird der Seepegel wieder kräftig steigen."

Härter und vor allem kälter waren die Winter aber früher schon, was sich ebenfalls auf den See auswirkte. Anfang der achtziger Jahre sei die Chieminger Buch häufiger zugefroren, erzählt der frühere Lehrer. Davon ist der Winter 2019 im Chiemgau noch weit entfernt.

Zur SZ-Startseite
Winter in Österreich

SZ PlusÖsterreich
:Wir sind dann mal eingeschneit

Das Skigebiet gesperrt, die Bergstation unter Schnee begraben - und im Tal schaufeln sie um die Wette. Österreich hat besonders unter dem Winterwetter zu leiden. Doch von "Katastrophe" will hier keiner sprechen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: