Schnaitsee:Mutmaßlicher Taliban im oberbayerischen Dorfidyll

Schnaitsee: Die Idylle im oberbayerischen Schnaitsee ist zurzeit etwas getrübt.

Die Idylle im oberbayerischen Schnaitsee ist zurzeit etwas getrübt.

(Foto: Gemeinde Schnaitsee/oh)
  • In Oberbayern wurde ein junger Mann festgenommen, der als Mitglied der Taliban an einem Mord beteiligt gewesen sein soll.
  • Der 20 Jahre alte Afghane hat zuletzt in einer Flüchtlinglingsunterkunft in Schnaitsee gelebt.
  • In dem Dorf war der Mann sehr engagiert und hilfsbereit - umso betroffener sind die Bewohner nun nach seiner Festnahme.

Von Matthias Köpf, Schnaitsee

In den jungen Mann aus Afghanistan haben die Flüchtlingshelfer in Schnaitsee große Hoffnungen gesetzt. Er habe im Deutschkurs gute Fortschritte gemacht, sich auch außerhalb des Unterrichts viel selber beigebracht und viele andere Flüchtlinge, die noch nicht so weit waren, oft als Übersetzer unterstützt. So erzählt es Wolfgang Bachleitner vom Helferkreis in Schnaitsee (Landkreis Traunstein). Er und seine Mitstreiter sind wegen des jungen Mannes jetzt aber besonders gefordert, denn nicht nur die anderen Asylbewerber haben seit einigen Tagen viel Gesprächsbedarf, seit der 20-jährige Abdol S. festgenommen wurde.

Die Bundesanwaltschaft hält ihm vor, als Mitglied der Taliban in Afghanistan 2013 und 2014 an mindestens zwei Angriffen auf Regierungstruppen und amerikanische Soldaten beteiligt gewesen zu sein, bei denen mindestens ein Amerikaner gestorben ist. Die anderen Flüchtlinge sind verunsichert, die Helfer versuchen, die Wogen zu glätten.

Die Festnahme selbst hatte zunächst kein größeres Aufsehen erregt, denn die Männer vom Landeskriminalamt kamen unauffällig und am sehr frühen Morgen, Abdol S. soll ihnen keinen Widerstand geleistet haben. Doch seit sich erst in dem kleinen 3500-Einwohner-Ort und dann darüber hinaus herumgesprochen hat, dass ein mutmaßlicher Taliban mitten im Dorf gelebt hatte, stellen sich die Menschen in Schnaitsee selbst die gleichen Fragen, die auch von außen an sie herangetragen werden.

Antworten gibt es kaum - zu wenig haben die Menschen in Schnaitsee von der Vergangenheit dieses Mannes gewusst, der seit dem vergangen März in der Gemeinde lebte, erst außerhalb und seit einigen Monaten in einer Unterkunft in einem zweistöckigen Haus mitten im Dorfkern. Dabei war Abdol S. kein Unbekannter, er spielte Volleyball in der Freizeitmannschaft des Sportvereins und fuhr oft zum Kickbox-Training ins 25 Kilometer entfernte Traunreut. Im Kickboxen hat er es auch schon zu einigen Erfolgen und Pokalen gebracht. Demnächst wollte er zu arbeiten beginnen, eine Stelle hatte er schon in Aussicht.

Nicht jeder Taliban wird freiwillig Mitglied

Auf welche Weise ihn nun seine mutmaßliche Taliban-Vergangenheit in Afghanistan eingeholt haben könnte, kann sich in Schnaitsee niemand erklären, die Bundesanwaltschaft macht dazu keine Angaben. Gelegentlich berichten Asylbewerber aber in ihren Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) selbst über ihre Vergangenheit als Taliban, denn in Afghanistan schließt sich der Gruppe nicht jedes Mitglied völlig freiwillig und aus purer Begeisterung an - zumindest nicht in der Rückschau bei der Anhörung durch das Bamf.

Abdol S. ist schon der fünfte mutmaßliche Taliban, den die Bundesanwaltschaft seit dem vergangenen Oktober festsetzen ließ. Dazu kommen eine ganze Reihe von Menschen, die Mitglied des IS oder von Al-Nusra sein sollen. Angeklagt werden solche Fälle in aller Regel bei den Oberlandesgerichten der jeweiligen Bundesländer, in Bayern beim OLG München, das erst Anfang des Jahres eine vierten Staatsschutzsenat erhalten hat. Beim OLG und auch bei der Bundesanwaltschaft wird nach jeweils eigener Auskunft aber keine gesonderte Statistik über Taliban-Verfahren geführt. Wann ein Gericht über den Fall Abdol S. entscheiden wird, ist offen, denn eigene Ermittlungen in Afghanistan sind der Bundesanwaltschaft verwehrt, eine Rechtshilfe durch die dortigen Behörden gestaltet sich selten reibungslos.

Was der Fall Abdol S. für die Helfer bedeutet

Dem Helferkreis in Schnaitsee macht die Angelegenheit seine Arbeit nicht leichter. 30 Helfer zählen zum erweiterten Kreis, besonders aktiv sind etwa ein Drittel davon. Sie kümmern sich um derzeit 30 Flüchtlinge, Platz wäre in den vier dezentralen Unterkünften in Schnaitsee etwa für doppelt so viele, sagt Bürgermeister Thomas Schmidinger. Richtige Aufregung herrsche im Dorf nicht, denn schließlich wisse man, wo die meisten Flüchtlinge herkämen und welche Verhältnisse in diesen Ländern herrschten. Betroffenheit gebe es im Ort aber sehr wohl.

Wolfgang Bachleitner vom Helferkreis bemüht sich um größtmögliche Sachlichkeit, wie es sich auch der Helferkreis insgesamt vorgenommen hat. Vor allem versuche man, den anderen Asylsuchenden klarzumachen, dass man sie wegen Abdol S. nun nicht im Regen stehen lassen werde. Auch dessen Mitbewohner hätten nichts von Auffälligkeiten bei S. berichtet, es habe bei ihm, nach allem was man wisse, wohl keinerlei Äußerungen und auch keine Abzeichen oder dergleichen mehr gegeben, die auf die Taliban hingedeutet hätten.

Selbst stellen die Helfer keine Fragen zur Vergangenheit ihrer Schützlinge, um nicht laienhaft an das Erlebte zu rühren. Wer von sich aus reden wolle, dem höre man aber natürlich zu. Bachleitner hofft, dass die bisher gute Stimmung in der kleine Gemeinde sich nun nicht gegen die Asylbewerber wendet.

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