Pflege:Ein Skandalheim wie Schliersee kann es überall geben

Lesezeit: 3 Min.

Durch einen größeren Corona-Ausbruch im Frühjahr 2020 wurden in der Seniorenresidenz Schliersee schwere Pflegemängel offenbar. Die Heimaufsicht im Miesbacher Landratsamt hatte sich schon in den Jahren zuvor immer wieder mit dem Problemheim befassen müssen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Nach langem Zögern haben die Behörden in diesem Herbst die Seniorenresidenz im Landkreis Miesbach geschlossen. In ihrem Bericht dazu an den Landtag stellt die Staatsregierung fest: es ist kein Einzelfall.

Von Hubert Grundner und Matthias Köpf, Schliersee

Die Zustände, die in der Seniorenresidenz Schliersee geherrscht und zu ihrer Schließung geführt haben, mit "Mängeln" erklären zu wollen, klingt fast schon zynisch angesichts der Todesfälle, deren Umstände noch aufgeklärt werden müssen. Dennoch fällt dieser Ausdruck in der Sitzung des Landtagsausschusses für Gesundheit und Pflege am Dienstag immer wieder: Welche Mängel wurden festgestellt? Wer hat wann wem diese Mängel gemeldet? Wer hat wann wie auf diese Mängel reagiert? Und wer trägt am Ende die Verantwortung?

So lauten die Fragen, welche die Landtagsabgeordneten bereits im Oktober gestellt hatten, und die nun Ministerialdirigent Bernhard Opolony im Namen der Staatsregierung beantworten sollte.

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Die Antworten, die der Leiter der Abteilung Pflege im Sozialministerium gab, dürften Ruth Waldmann (SPD), Dominik Spitzer (FDP) und Andreas Krahl (Grüne) aber kaum zufriedengestellt haben. Statt Namen, Daten oder Fakten zu benennen, führte Opolony die Zuhörer in eine Art juristische Grauzone. Umgehenden Handlungsbedarf bei der Staatsregierung sieht er jedenfalls nicht. Eher sei der Gesetzgeber gefragt, wenn es darum gehen soll, ein Pflegeheim zu schließen.

Allerdings gelte so eine "Betriebsuntersagung" als Ultima ratio. Ehe es so weit kommt, müsse dieser Schritt genau mit den Schutzgütern der Patienten abgewogen werden. Letztlich müsse ein systemisches Versagen der ganzen Einrichtung vorliegen. Individuelle Fehler des Pflegepersonals alleine reichten in der Regel nicht aus.

Eine Auskunft, die Andreas Krahl (Grüne) so nicht hinnehmen wollte. Denn im Falle der Seniorenresidenz Schliersee habe es frühzeitig Hinweise gegeben, ohne dass die Aufsichtsbehörden eingeschritten seien. "Wann wird die Reißleine gezogen?", wollte Krahl wissen. Den Anlass für diese Frage hat die Staatsregierung selbst geliefert mit ihrem Bericht zu den Missständen in Schliersee. Denn darin werden für das Jahr 2019 insgesamt 202 einzelne Prüfberichte mit 444 erheblichen Mängeln für 173 Pflegeheime aufgeführt. Von erheblichen Mängeln wird in der Regel gesprochen, wenn Gefahr für Leib und Leben des Pflegebedürftigen besteht.

Nicht nur in Schliersee wurde ein Heim geschlossen

Die Konsequenzen, welche die Staatsregierung daraus nun ziehen will, klingen da eher überschaubar. So wird man laut Opolany den Landratsämtern empfehlen, genug Personal für ihre Heimaufsicht vorzuhalten. Außerdem werde sie das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nach Möglichkeit unterstützen, die lokalen Aufsichtsbehörden sollen für besondere Einzelfälle in "kritischen Einrichtungen" eine Spezialeinheit am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) anfordern können - die sogenannte Taskforce Infektiologie/ Steuerungsstelle Pflege.

Ein weiterer Vorschlag lautet: Hinsichtlich der aktuellen Lage in den Einrichtungen, insbesondere kritischer Einrichtungen, sollen in einem sechswöchigen Turnus Dienstbesprechungen des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege mit allen Bezirksregierungen stattfinden, um sich über gegebenenfalls erforderliche gemeinsame Maßnahmen, wie zum Beispiel "zeitgleiche Überprüfungen von Einrichtungen eines Trägers in verschiedenen Regierungsbezirken, zu verständigen".

Eine Betriebsuntersagung eines Pflegeheims gab es im Übrigen nicht nur in Schliersee. Laut dem Bericht, der jetzt den Landtagsabgeordneten präsentiert wurde, hat im August eine Einrichtung in Coburg und im September eine weitere in Burglengenfeld geschlossen. Das Gesundheitsministerium erklärt außerdem: "Es bestehen in Bayern derzeit mehrere Einrichtungen, die in Zusammenhang mit einer Betriebsuntersagung zu sehen sind."

Ein Corona-Ausbruch brachte die Zustände ans Licht

Die Zustände in der Seniorenresidenz Schliersee waren wegen eines größeren Corona-Ausbruchs im Frühjahr 2020 an die Öffentlichkeit gekommen. Die Behörden trafen in dem Heim auf etliche verwahrloste und teils unterernährte Bewohner und stießen generell auf so große Missstände, dass das Miesbacher Landratsamt eine Sanitätseinheit der Bundeswehrs hinzuzog, um eine angemessene die Pflege zu sichern. Erst in diesem September, also rund eineinhalb Jahre später, haben die Behörden die Seniorenresidenz geschlossen - mit Wirkung ab Dezember.

Doch der Betreiber hat das Heim Ende September selbst aufgegeben. Denn noch vor der staatlichen Heimaufsicht hatten die Pflegekassen die Notbremse gezogen, indem sie ihre Verträge wegen "Verletzung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen" vorzeitig gekündigt haben. Allerdings hat der Betreiber laut Opolony inzwischen Widerspruch gegen die amtliche Betriebsuntersagung eingelegt. Zugleich ermittelt weiterhin die Staatsanwaltschaft München II wegen des Verdachts auf Körperverletzung an 88 Bewohnern. Andere Staatsanwälte gehen dem Verdacht des Abrechnungsbetrugs nach.

Die Heimaufsicht in Miesbach war über viele Jahre immer wieder über teils gravierende Probleme in dem Heim informiert worden. Allerdings fehlte laut Landrat Olaf von Löwis (CSU) stets eine Handhabe, das Heim zu schließen - unter anderem deshalb, weil immer wieder der Betreiber gewechselt habe. Über die Kontrollen der Heimaufsicht und die daraus gezogenen Konsequenzen hätte der Gesundheitsausschuss schon Anfang Oktober gerne sehr viel mehr erfahren. Das, was die Abgeordneten damals als Bericht der Staatsregierung zu lesen und zu hören bekommen hatten, entsprach aber weder ihren Erwartungen noch den Ankündigungen, die Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im Frühjahr gemacht hatte. Sein Ministerium prüfe, "ob weitere Verbesserungen am derzeitigen Kontroll- und Bewertungssystem erforderlich sind", hatte Holetschek damals wissen lassen.

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