Schleuser in Bayern:Die Chauffeure des Elends

Pakistanische Fluechtlinge an bayerischer Autobahn

Ausgesetzt von Schleusern: Pakistanische Flüchtlinge sitzen an einem Sonntagmorgen im August an der Autobahnausfahrt Pocking südlich von Passau.

(Foto: Sebastian Backhaus/epd)

600 Schleuser sitzen in Bayern in Haft. Doch die Polizei bekommt meist nur die Fahrer zu fassen, während die Hintermänner straffrei bleiben. Wie ihr System funktioniert.

Von Heiner Effern und Andreas Glas

Reinhold Jungwirth zeigt auf die Hortensien in seinem Garten. "Hier ist es gewesen." Hier lag der Schlafsack, daneben Papiere einer ungarischen Behörde. Sie gehörten einem Pakistaner, er muss hier übernachtet haben. Der Garten liegt am Passauer Ortsrand, hier wohnt Jungwirth mit seiner Frau Sieglinde. Vom Garten aus schauen die beiden auf das alte Zollhaus und das Bächlein, das Deutschland und Österreich an dieser Stelle teilt. "Ich fürchte mich ja schon ein bisschen", sagt Sieglinde Jungwirth. "Nicht vor den Flüchtlingen, vor den Schleusern."

In ihrer Hofeinfahrt hat neulich ein Transporter geparkt, hat Flüchtlinge abgesetzt, mitten in der Nacht. Ein paar Tage stand der Wagen in der Einfahrt, ein rostiger Mercedes mit französischem Kennzeichen. Der Fahrer ist abgehauen, die Polizei hat ihn wenig später geschnappt. Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft. Und mit ihm gut 600 weitere Menschen, die Flüchtlinge nach Bayern geschleust haben sollen.

"Wie bei einem Viehtransport"

Im Freistaat enden zwei Hauptrouten für Flüchtlinge, beide beginnen am Balkan. Eine Route endet im Raum Passau, die andere führt über Salzburg und die A 8 nach Bayern. Bei etwa der Hälfte aller Schleuser, die in der Bundesrepublik gefasst werden, klicken die Handschellen in Bayern. Erwischen die Fahnder einen Schleuser, landet er vor dem Amtsgericht, zum Beispiel im oberbayerischen Laufen. "Bei uns drücken die Prozesse jetzt richtig rein", sagt Karl Bösenecker, Vizechef am Laufener Amtsgericht. Nicht nur die Masse an Verfahren macht ihm Sorgen, auch die Methoden der Schleuser. "20 bis 30 Personen in einem Fahrzeug sind an der Tagesordnung. Die Schleuser pferchen die Menschen ein wie bei einem Viehtransport."

So gesehen ist Lazlo P. ein "vergleichsweise braver Schleuser". Findet jedenfalls der Richter, der über seine Strafe entscheiden soll. Es ist Montagfrüh, im Saal des Passauer Amtsgerichts liest der Staatsanwalt die Klageschrift vor. "Gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern" nennt das Gesetz den Tatbestand. Im März hatten Fahnder Lazlo P. ertappt, wie er drei Syrer am Straßenrand absetzen wollte.

Beim Verhör gab der 32-Jährige zu, dass es nicht seine erste Schleuserfahrt war. Siebenmal sei er gefahren. Der Start sei immer in Ungarn gewesen, das Ziel immer woanders. Berlin, Hannover, Nürnberg, nach Passau fuhr er gleich dreimal. Fünf Monate musste Lazlo P. auf seinen Prozess warten, fünf Monate saß er in Untersuchungshaft. "Die fünf Monate waren so schwer, so lang. Es tut mir leid", sagt er vor Gericht.

Schleuser in Bayern: Vorsicht, Fußgänger: Die Polizei stellt derzeit an der A 3 Warntafeln auf, die Autofahrer auf Flüchtlinge am Fahrbahnrand aufmerksam machen sollen.

Vorsicht, Fußgänger: Die Polizei stellt derzeit an der A 3 Warntafeln auf, die Autofahrer auf Flüchtlinge am Fahrbahnrand aufmerksam machen sollen.

(Foto: Hubert J. Denk)

Wie Lazlo P. zum Schleuser wurde

Nicht die Flüchtlinge sind das Problem, sondern die Schleuser. Das sagen zurzeit viele Politiker. Schleuser ist gleich Täter ist gleich böse - so sehen das die meisten. Der Passauer Richter sieht an diesem Montagvormittag, dass nicht jeder Schleuser in dieses Klischee passt. Lazlo P., blaue Sträflingsklamotte, die Haare kurz geschoren, sitzt gebückt auf der Anklagebank und erzählt, dass ihm das Leben übel mitgespielt habe. Er hat studiert, wollte Sportlehrer werden, einen Job hat er aber nur im Fitnessstudio gekriegt. Monatslohn: 400 Euro.

"Nicht wenig in Ungarn", sagt er, wäre da nicht der Kredit gewesen, den sein Bruder aufgenommen und für den er gebürgt habe. Als sein Bruder nicht mehr zahlen konnte, habe er einspringen müssen, sein Gehalt sei gepfändet worden. Dann habe ihm im Fitnessstudio einer die Nummer eines Schleusers zugesteckt, der 400 Euro pro Fahrt zahlt. "Ich war verzweifelt", sagt Lazlo P., nur deshalb habe er angerufen.

Der Richter verurteilt Lazlo P. zu einem Jahr Haft auf Bewährung. Der Staatsanwalt hatte zwei Monate mehr gefordert, weil die vielen Schleuser im Raum Passau "eine Plage geworden" seien. Der Richter sieht das anders, eine Teilschuld trage "das völlige Versagen der Flüchtlingspolitik in Europa". Dieses Versagen führe erst dazu, dass Schleuser angeheuert würden. Lazlo P. darf wieder nach Hause. Nach Ungarn, wo seine Freundin und zwei Kinder auf ihn warten. Er hat die Strafe kassiert, seine Auftraggeber bleiben unbehelligt.

Bayerns Gerichte stehen vor dem Kollaps

Es sind die Fahrer, die den Kopf hinhalten müssen. Mehr als 1300 hat die bayerische Polizei allein im ersten Halbjahr gefasst. Es gibt fünfmal mehr Untersuchungshäftlinge als Zellen, die Schleuser werden deshalb kreuz und quer auf Bayerns Gefängnisse verteilt. Weil jeder Einzelne vor den Haftrichter muss, sind die Gerichte nah am Kollaps. Auch in Laufen schieben die zwei zuständigen Richter einen eigenen Sitzungstag ein, um die Verfahren stemmen zu können. "Unsere Kapazitäten sind irgendwann einmal erschöpft", sagt Karl Bösenecker. Andere Verfahren, bei denen die Angeklagten nicht in Untersuchungshaft sitzen, werden nach hinten geschoben.

Die hohen Häftlingszahlen schüren den Verdacht, dass bayerische Richter schneller Haftbefehle ausstellen als ihre Kollegen in den anderen Bundesländern. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg saß Ende Juli nur ein mutmaßlicher Schleuser in U-Haft, obwohl 147 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Auch die Staatsanwaltschaft Traunstein bemüht sich, die Schleuser schnell vor Gericht zu bringen. Im engen Kontakt mit der Polizei wird ermittelt, woher ein Schleuser kommt und mit wem er vernetzt ist. Wenn keine Aussicht besteht, die Hintermänner zu ermitteln, "dann klagen wir schnellstmöglich an", sagt Oberstaatsanwalt Robert Schnabl, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft in Traunstein.

Was Schleusern als Strafe droht

Wie lange die Schleuser in Haft müssen, ist unterschiedlich, die Höchststrafe liegt bei zehn Jahren. Wenn sie einen Teil ihrer Haft abgesessen haben, werden einige in ihr Heimatland abgeschoben. Dorthin, wo ihre Auftraggeber unbeirrt neue Fahrer anwerben. Es sind Netzwerke, die häufig länderübergreifend arbeiten. Wie ein Reisebüro bieten sie den Flüchtlingen Kataloge an, sie können wählen zwischen einzelnen Etappen oder einem All-inclusive-Paket für die komplette Strecke quer durch Europa - für bis zu 20 000 Euro. Die Fahrer bekommen nur einen Bruchteil davon. Weil die Hintermänner meist pro geschleuster Person zahlen, stopfen ihre Fahrer so viele Flüchtlinge wie möglich in ihre Fahrzeuge.

"Es ist ein Massengeschäft", sagt Johann Kröninger, Leiter der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung. Es gebe viele Einzelpersonen, die auf eigene Faust Mitfahrer an Bahnhöfen oder über Online-Mitfahrportale werben. Aber hinter den meisten geschleusten Menschen stehe eine Organisation mit entsprechender Logistik, mit einem Fuhrpark von manchmal 150 Fahrzeugen. An die Hintermänner zu kommen, sei schwierig, sagt Kröninger, aber "ab und an" gelinge es.

Die Bundespolizei, sagt Kröninger, "arbeitet über dem Anschlag", bekommt ihre Arbeit nur noch mit Unterstützung der Landes- und Bereitschaftspolizei hin. Hunderte Beamte fahnden rund um die Uhr im Grenzgebiet, fassen täglich etwa ein Dutzend Fahrer - und können den Schleuserbetrieb doch nicht stoppen. An Nachschub mangelt es jedenfalls nicht. In Bulgarien, Rumänien oder Ungarn finden die Strippenzieher immer wieder neue Fahrer, die mitschleusen und mitverdienen wollen. "Wer gefasst wird", sagt Johann Kröninger, "wird nahtlos ersetzt."

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