Süddeutsche Zeitung

Chiemgau:Hässlicher Streit um ein beliebtes Wirtshaus

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Schleching ist gespalten, ob die Gemeinde das Wirtshaus am Streichen kaufen soll. Jetzt begehren die Bürger auf: Sie wollen selber abstimmen über ihr besonders schönes Stück Heimat.

Von Matthias Köpf, Schleching

Das Wirtshaus am Streichen oberhalb vom Schleching ist ein bayerisches Bildbandidyll, mit freiem Blick übers Achental und hinüber auf die blumenreichen Almwiesen am Geigelstein. Der erbitterte Streit, der unten im Ort um das Wirtshaus entbrannt ist, scheint dazu auf den ersten Blick rein gar nicht zu passen. Doch für die Schlechinger und viele andere Menschen im Chiemgau und weit darüber hinaus ist das Wirtshaus am Streichen eben ein besonders schönes Stück Heimat, und über so etwas lässt sich dann doch wieder besonders hässlich streiten.

Im Tal nämlich geht es nach dem Tod des beliebten Streichenwirts im Herbst darum, ob die Gemeinde das Wirtshaus kaufen und für immer als solches erhalten soll, oder ob sie das nicht besser privaten Investoren überlässt, weil sie ihr Geld in andere Aufgaben stecken soll und muss. Weil sie dem Gemeinderat da keine rein sachliche Entscheidung mehr zutrauen, haben einige Schlechinger nun innerhalb weniger Tage genügend Stimmen für einen Bürgerentscheid gesammelt.

Dabei haben sie selbst und auch die 304 Unterzeichner zu der entscheidenden Frage gar keine einheitliche Position. Die einen meinten Ja, die anderen Nein, sagt Katharina Gasteiger als eine von drei Initiatoren. Nur entscheiden sollten die Bürger eben selbst, denn der Gemeinderat habe sich in der Frage so zerstritten, dass Gasteiger auch die Zusammenarbeit in den fünf Jahren bis zur nächsten Gemeinderatswahl gefährdet sieht. Ein Bürgerentscheid sei da wenigstens gesichtswahrend für alle Seiten.

Eine klare Mehrheit im Rat hatte sich bisher für den Kauf ausgesprochen - jedenfalls nach allem, was man außerhalb des Rats darüber weiß, denn diskutiert und abgestimmt wurde hinter verschlossenen Türen. Da drang zwar schnell einiges durch, doch zugleich wabern für Gasteigers Geschmack auch viel zu viele Gerüchte, Unterstellungen und Diffamierungen durch den Ort.

Klar, weil von ihm selbst erklärt, ist jedenfalls die Position von Bürgermeister Josef Loferer. Er ist der Ansicht, dass die Gemeinde mit ihren vielen Pflichtaufgaben wie Kindergarten und Straßenunterhalt genug zu tun hat und mit dem Kauf und der Sanierung des Wirtshauses auf viele Jahre hinaus jeglichen weiteren finanziellen Spielraum verlieren würde. Loferer sähe es deshalb erklärtermaßen lieber, wenn ein von zwei auswärtigen Geldgebern unterstützter örtlicher Unternehmer das Wirtshaus und den Grund drumherum kaufen würde.

Die ebenfalls klare Gegenposition vertreten die von viel Prominenz unterstützen "Streichenfreunde", zu denen sich etwa die Zweite Bürgermeisterin und Loferers Vorgänger bekennen: Nur die Gemeinde könne das Wirtshaus auf Dauer öffentlich zugänglich halten, denn bei privaten Investoren wisse man spätestens ab der zweiten Generation nicht mehr, ob doch einmal einer einen Zaun ziehen und ein Privathaus oder ein Hotel draus machen werde. Die Streichenfreunde genießen die Sympathie der beiden Geschwister und Erben des verstorbenen Wirts, die das Gasthaus aus Altersgründen selbst auch nicht erhalten können. Zudem dürfen die Streichenfreunde mit einer Million Euro aus der Familienstiftung eines Schlechingers rechnen. Die ist nach Angaben des Stifters gemeinnützig, dürfe gar keine privaten Ziele verfolgen und könne so dafür einstehen, dass das Wirtshaus auch auf Dauer eines bleibt.

Das wollen in Schleching eigentlich alle, aber nicht jeder um jeden Preis. Für die meisten bleibe da noch viel zu viel unklar, sagt Katharina Gasteiger. Es müssten alle Angaben zum Kaufpreis, zu den genauen Plänen und zur finanziellen Lage auf den Tisch. Über ein Konzept der Streichenfreunde sollte der Rat an diesem Montag sprechen, allerdings wieder nicht öffentlich. Eine Woche später soll es in einer Sondersitzung um die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gehen.

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SZ vom 14.06.2021
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