Schlagende Studentenverbindungen:Seltsame Seminare für Einser-Schüler

Außerordentliches Treffen der Deutschen Burschenschaften

Auch hinter dem Hochbegabten-Förderungsverein Jugend Aktiv steht ein Netz aus schlagenden Verbindungen.

(Foto: dpa)

Viele bayerische Gymnasien vermitteln ihre besten Abiturienten an den Hochbegabten-Förderungsverein Jugend Aktiv. Was die Schulleiter nicht wissen: Dahinter steht ein Netzwerk schlagender Verbindungen. Das Kultusministerium sieht "Untersuchungsbedarf".

Von Stefanie Schoene

"Sie trugen rosa Kniestrümpfe und Schärpe, und der Oberbursche hatte ein Mützchen auf. Um 17 Uhr bekamen wir das erste Bier angeboten. Echt schräg!" Eigentlich dachte die Augsburger Gymnasiastin, sie nähme an einem ganz normalen Begabten-Seminar in München teil. Doch dann stellte sie fest, dass sie auf der Veranstaltung eines bundesweiten Netzwerks schlagender Studentenverbindungen gelandet war.

Weder ihre Eltern noch ihre Schulleitung hatten gewusst, wohin sie das Mädchen schickten. Der Veranstalter des Seminars: der Verein Jugend Aktiv. Dass dieser seinen wahren Hintergrund verschweigt, hat System. Seit Jahren verschafft er sich so Zugang zu den besten Abiturienten.

Die Schülerin des Augsburger Holbein-Gymnasiums hatte sich auf Empfehlung ihres Schulleiters mit Gutachten und Fragebögen bei Jugend Aktiv beworben. Das Angebot des Vereins: kostenlose Coachings und Seminare, die den Einserschülern dabei helfen sollen, den richtigen Beruf zu wählen. Mitte Februar wurden die Augsburger Gymnasiastin und 54 weitere angehende Einser-Abiturienten in verschiedenen Münchener Corpshäusern in Rhetorik und Selbstpräsentation trainiert.

Ihre Gruppe tagte im Corps Arminia, einer schlagenden Verbindung, die zum Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV) gehört. Eine weitere Gruppe war in der Suevia Guestphalia untergebracht, ebenfalls schlagend und KSCV-Mitglied. Auch hier Füxe mit Schärpen und die frühzeitige Aufforderungen, mitzutrinken. "Selten habe ich eine so große Affinität zu Alkohol gesehen", lautet der Kommentar einer Schülerin aus dieser Gruppe. Am Samstagabend luden "Alte Herren" und Corpsstudenten in Festtracht, "Wichs" genannt, die 17- und 18-Jährigen ins prächtige Domizil des Corps Rheno Palatia nahe dem Hofbräuhaus.

"Wir wollen herausragende Schüler unterstützen"

Seit 2002 knüpft Jugend Aktiv in München auf diese Weise Kontakte zu Hochbegabten. Heuer schickten Schulleiter aus Altötting, Bad Tölz, Burghausen, Kempten, München, Neubiberg, Rosenheim, Schongau, Trostberg und Augsburg ihre besten Abiturienten in die vermeintlich normalen Begabtenseminare. Rolf Schuh, Mitglied der schlagenden Verbindung Rheno Palatia und Jugend-Aktiv-Geschäftsstellenleiter in München, erklärt: "Wir wollen herausragende Schüler unterstützen, die Führungspositionen unserer Gesellschaft besetzen werden." 493 Mädchen und Buben durchliefen die Programme bis heute.

Die karge Website des Vereins formuliert, man setze sich "für die künftigen Leistungsträger unserer Gesellschaft" ein. Die Trainings vermittelten ein "fundiertes Verständnis von gesellschaftlichen Werten". Ein Hinweis auf die zahlreichen Corps und Akademien, die hinter dem Verein stehen, findet sich nicht.

Die Vorstände der Hamburger Vereinszentrale sind Mitglieder pflichtschlagender Corps und des KSCV. Laut dem Corps Magazin ist der Verein eine "Komponente korpsstudentischer Förderaktivitäten der Korps Akademie". Auch die Akademie Weinheim Seminar, die die Rhetoriktrainer für Jugend Aktiv stellt, gehört zum dichten Netzwerk des KSCV. Von den fünf Rhetoriktrainern in München kamen in diesem Jahr vier von der Akademie Weinheim und gehören den schlagenden Corps Vitruvia, Alemannia München, Franco-Guestphalia Köln und dem KSCV Würzburg an.

Verbindungen haben sich nie als solche offenbart

Dass der Verein Jugend Aktiv zu diesem deutschlandweiten Netzwerk gehört, streitet Rolf Schuh nicht ab. "Bisher haben wir das immer verschwiegen - um der Vereinsarbeit nicht zu schaden", lautet seine Begründung. Eine verschleierte Nachwuchsrekrutierung sei das Jugend-Aktiv-Training aber nicht.

Die Schulleiter, die ihre Top-Abiturienten an Jugend Aktiv vermitteln, hatten keine Ahnung. Manche wie Wolfgang Fladerer, Leiter des Lion-Feuchtwanger-Gymnasiums in München, schicken schon seit Jahren ihre Besten zu diesen Veranstaltungen. "Die Verbindungen haben sich noch nie offenbart", erklärt sein Kollege Rudolf Schramm aus Altötting. "Wir werden die Zusammenarbeit jetzt prüfen." Auch Harald Vorleuter, Leiter des Gabriel-von-Seidl-Gymnasiums in Bad Tölz, ist überrascht, als er auf die Basis von Jugend Aktiv angesprochen wird. Er fordert eine Überprüfung seitens des Kultusministeriums und findet die verdeckten Arbeitsmethoden des Vereins "unsensibel".

In München gehören 17 schlagende Verbindungen dem 1848 gegründeten KSCV an. Deutschlandweit sind in diesem Milieu etwa 24 000 "Alte Herren" und aktive Studenten organisiert. Ihr Markenzeichen ist die geschlagene Mensur. Soziologe Stephan Peters, der über den KSCV promoviert hat, erklärt das Ritual: "Es geht bei der Mensur nicht um Sport, sondern sie ist ein Erziehungsmittel der Gemeinschaft. Corpsstudenten stellen das in der Regel auch nicht in Abrede. Es geht, neben der Distanzierung vom Weiblichen - die Mensur ist eben auch ein Mannbarkeitsritual -, unter anderem auch darum, nicht auszuweichen, für die Gemeinschaft (etwas Höheres) seinen Kopf hinzuhalten und die eigene Angst vor der scharfen Waffe zu besiegen." Frauen gelten den Männerbünden als "unwürdig" und dienen zur Aufwertung offizieller Veranstaltungen. Peters bezeichnet Jugend Aktiv als "Tarnorganisation" und die Förderung von Mädchen als Taktik: "Würden sie nur Jungen einladen würden, kämen sie bei den Schulleitern nicht weit."

"Alles andere als neutral"

Der Darmstädter Soziologieprofessor Michael Hartmann geht davon aus, dass der Verein gezielt Nachwuchsarbeit betreibt, um die Corps ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit zu entreißen. "Unter den 1000 'wichtigsten Deutschen', die wir in einer Untersuchung befragt haben, waren nur zwei Korporierte", erklärt er. "Die oft wohnungssuchenden Studenten, die sie derzeit rekrutieren, sind nicht die Zielgruppe der Alten Herren. Mit dem Gang an die Gymnasien können sie gezielt Akademikerkinder erreichen." Auch wenn in den Seminaren keine direkte Anwerbung stattfinde - man bringt sich ins Gespräch.

Das bayerische Kultusministerium listet Jugend Aktiv seit Jahren als Ansprechpartner für Hochbegabung, obwohl bereits 2006 erste Hinweise auf schlagende Verbindungen bekannt wurden. Erst jetzt, im Zuge der SZ-Recherchen, wurden Abteilungsleiter des zuständigen Referats VI unruhig - schließlich soll Ministerialdirigent Walter Gremm im April auf dem "Unternehmensempfang" des Vereins die Schüler-Zertifikate überreichen. In einer Stellungnahme heißt es, man sehe "Untersuchungsbedarf". Der Verein bezeichne sich als "weltanschaulich neutral", seine Arbeit sei bisher nicht beanstandet worden.

"Ein Männerbund, dessen Werte auf deutschnationalen Ideen des 19. Jahrhunderts beruhen und der Frauen für minderwertig hält, ist für mich alles andere als neutral", sagt Dieter Rieken, Vater einer der Teilnehmerinnen. An einer öffentlichen Schule habe ein solcher Verein mit seinen konspirativen Methoden nichts zu suchen.

Anmerkung der Redaktion: In der vorherigen Version des Textes haben wir fälschlicherweise von Burschenschaften geschrieben. Zudem wurde ein Zitat des Soziologen Stephan Peters verkürzt und falsch wiedergegeben. Diese Fehler haben wir korrigiert.

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