Süddeutsche Zeitung

Schießerei in Georgensgmünd:Polizist soll "Reichsbürger" Dienstgeheimnisse verraten haben

  • Der "Reichsbürger" aus Georgensgmünd, der einen SEK-Beamten erschossen haben soll, hatte über einen Handy-Chat guten Kontakt zu zwei Polizisten.
  • Beide sind vom Dienst suspendiert, ihre Wohnungen wurden durchsucht. Bei einem fanden die Ermittler diverse verbotene Gegenstände.
  • Ob die zwei Polizisten selbst "Reichsbürger" sind, ist noch nicht klar.

Von Olaf Przybilla und Wolfgang Wittl, Nürnberg

Zwei bayerische Polizeibeamte stehen im Verdacht, mit dem mutmaßlichen Todesschützen von Georgensgmünd in Kontakt gestanden zu haben. Beide wurden bis auf Weiteres vom Dienst suspendiert, sagte Johann Rast, der Polizeipräsident von Mittelfranken. Gegen einen der beiden, einen 49 Jahre alten Oberkommissar, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Er soll Dienstgeheimnisse aus dem Polizeicomputer preisgegeben haben - und das ausgerechnet jenem "Reichsbürger", der am 19. Oktober im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizeibeamten erschossen haben soll.

Innenminister Joachim Herrmann zeigte sich "entsetzt" über die neue Entwicklung. Die mittelfränkische Polizei habe ihn vor zwei Wochen benachrichtigt, dass der Tatverdächtige möglicherweise in Kontakt mit Polizisten gestanden sei, sagte er am Rande einer CSU-Fraktionssitzung im Landtag. Die wichtigste Frage sei nun, ob der mutmaßliche Täter "womöglich auch über die geplante Durchsuchungsaktion bei ihm schon im Vorfeld informiert worden" sei.

Der Verdacht, dass der beschuldigte Beamte womöglich den Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Georgensgmünd verraten hatte, bestehe allerdings nicht, sagte Oberstaatsanwalt Alfred Huber. Vielmehr soll der beschuldigte Polizist im August, also zwei Monate vor dem Einsatz, eine Anfrage des "Reichsbürgers" aus Georgensgmünd beantwortet haben. Dieser hatte, nachdem er aufgefordert wurde, seine Waffen abzugeben, offenbar bei dem ihm bekannten Beamten angefragt, ob im Polizeicomputer strafrechtlich Relevantes über ihn zu finden sei. Dies soll der Beamte verneint haben. In der Wohnung dieses Beamten fanden Ermittler am Mittwoch diverse verbotene Gegenstände, darunter Wurfsterne und ein Wurfmesser.

Die beiden nun suspendierten Beamten und der 49 Jahre alte Wolfgang P., der "Reichsbürger" aus Georgensgmünd, hatten offenbar in einem gemeinsamen Handy-Chat Kontakt untereinander. Ob die beiden Polizisten ebenfalls den "Reichsbürgern" zuzurechnen sind, sei noch nicht klar, sagte Polizeipräsident Rast. Man habe bei Durchsuchungen in insgesamt fünf Objekten umfangreiches Material sichergestellt. Die beiden Polizisten haben sich in Vernehmungen bereits zur Sache geäußert. Über den Inhalt wollten die Ermittler keine Angaben machen.

Wegen möglicher Verbindungen zur "Reichsbürgerbewegung" waren vor den beiden nun suspendierten Beamten bereits vier bayerische Polizisten vom Dienst freigestellt worden. Darunter ist ein Bereitschaftspolizist aus Oberbayern, ein Beamter aus München, einer aus dem Polizeipräsidium Schwaben Nord und eine Beamtin aus Unterfranken. Der Münchner Beamte soll selbst beim Landratsamt vorgesprochen und dort eine krude Weltanschauung zum Besten gegeben haben.

Der Bereitschaftspolizist soll als Ausbilder einer Polizeischule tätig gewesen sein, gab sich als "Reichsbürger" zu erkennen und nahm an entsprechenden Veranstaltungen teil. Vom Beamten aus Schwaben fanden Ermittler Schriftstücke, die darauf schließen lassen, dass er dem Gedankengut der "Reichsbürger" nahesteht. Nach Angaben eines Sprechers des Innenministeriums gibt es derzeit wegen ähnlicher Verdachtsmomente insgesamt zwölf Disziplinarverfahren gegen bayerische Beamte. Zehn von ihnen sind im Dienst, zwei im Ruhestand.

Wolfgang P. besaß mehr als 30 Waffen

Die meisten der Polizisten, gegen die Disziplinarverfahren laufen, waren bereits im Polizeidienst, als es die "Reichsbürgerbewegung" noch nicht gab. Die Polizei hatte zuletzt Kontakt zu Gemeinden aufgenommen und um Hinweise auf dort aufgefallene "Reichsbürger" gebeten. Diese leugnen die Existenz der Bundesrepublik, beschimpfen Gerichtsvollzieher, pöbeln Richter an und versuchen, Behörden mit ausladendem Schriftverkehr lahmzulegen.

Wolfgang P., der "Reichsbürger von Georgensgmünd, besaß als Jäger und Sportschütze mehr als 30 Kurz- und Langwaffen. Als der 49-Jährige den Behörden gegenüber immer renitenter wurde, sollte er seine Waffen abgeben, weigerte sich aber. Am 19. Oktober 2016 war deshalb ein Spezialeinsatzkommando auf sein Grundstück vorgefahren, um die Waffen zu beschlagnahmen. Man sei extra mit Blaulicht und Martinshorn gekommen, hatte Polizeipräsident Rast später erklärt, um dem 49-Jährigen "zu zeigen, dass nicht irgendwelche Einbrecher" ans Werk gehen.

Doch exakt dafür hatte der "Reichsbürger" die Polizei offenbar gehalten: für Einbrecher, die ohne Rechtsgrundlage in sein Leben als Nicht-Bundesbürger eindrangen. Darauf schien P. offenbar vorbereitet gewesen zu sein. Als die SEK-Beamten seine Haustür aufbrachen, hatte er sich bereits eine Schutzweste übergezogen und hielt eine Waffe in der Hand. Womöglich lagen Weste und Waffe bereits neben seinem Bett parat. Ermittlern zufolge soll er sofort von oben, aus dem ersten Stock, das Feuer auf die Polizisten eröffnet haben.

Dabei traf er einen 32 Jahre alten SEK-Beamten am Rand von dessen Schutzweste. Der Polizist wurde dadurch so schwer verletzt, dass er am Tag darauf in einer Nürnberger Klinik starb. Einen anderen Polizisten traf der Mann am Arm, zwei weitere Beamte wurden bei dem Einsatz durch Glassplitter verletzt. Erst nach den Schüssen hatten Polizisten den Schützen überwältigen können. Der 49-Jährige befindet sich in Untersuchungshaft, gegen ihn wird unter anderem wegen Mordes ermittelt.

Grüne und SPD äußersten sich am Mittwoch geschockt über die neue Entwicklung. Die CSU habe beim Thema "Reichsbürger" zu lange weggeschaut, kritisierten die Landtags-Grünen. Auch die SPD sah ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die Staatsregierung habe die "Reichsbürgerbewegung" verharmlost und relativiert und die Augen "vor den Gefahren durch Rechtsradikalismus" verschlossen.

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SZ vom 24.11.2016/imei
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