Schienenverkehr:"Wie ein Postamt im 19. Jahrhundert"

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Der Bamberger Professor Lasse Gerrits hat zur Bahn geforscht - und Überraschendes zutage gefördert

Interview von Maximilian Gerl, Bamberg

Etwa jeder vierte Fernverkehrszug in Deutschland kommt zu spät, heißt es in der internen Statistik der Deutschen Bahn. Insofern mutet das Forschungsergebnis des Bamberger Professors Lasse Gerrits auf den ersten Blick skurril an: Er hat untersucht, wie sich das Störungsmanagement der Deutsche Bahn von dem der Kollegen in anderen europäischen Ländern unterscheidet - und dabei festgestellt, dass bei der Deutschen Bahn vieles besser läuft als gedacht.

SZ: Zugausfälle, Verspätungen, fehlende Informationen: Gerade Pendler haben von der Deutschen Bahn regelmäßig ein verheerendes Bild. Herr Gerrits, sind Sie sicher, dass das Ergebnis Ihrer Studie richtig ist?

Lasse Gerrits: Auch mir passiert es, dass ich mit dem Zug mal länger brauche. Aber wenn man die Bedingungen sieht, unter denen die Bahn arbeiten muss, stellt man fest, dass sie eigentlich gute Arbeit macht. Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr ist natürlich trotzdem zu niedrig und auch im internationalen Vergleich schlecht.

Im Wartestand: Bahnreisende müssen sich immer wieder in Geduld üben. Entweder haben Züge Verspätung oder sie fallen gleich ganz aus. So ist zumindest der Eindruck, den Fahrgäste oft haben. Dabei ist die Deutsche Bahn zuverlässiger, als die meisten denken. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Mit welchen Bedingungen muss die Bahn denn zurechtkommen?

Die Bahn ist organisiert wie ein Postamt im 19. Jahrhundert. Historisch kann man das gut verstehen, aber wir schreiben halt 2019. Die Technologie ist stellenweise veraltet. Viele Weichen müssen immer noch per Hand bedient werden. Das ist fehleranfällig und kostet Zeit. Hier könnten Digitalisierung und Zentralisierung helfen. Auch der Austausch von Informationen ist zu bürokratisch. Es gibt zum Beispiel Situationen, in denen müssen Mitarbeiter ein Fax an die Zentrale schicken.

Ein Fax?

Hat mich auch überrascht. Bei Personenunfällen müssen Mitarbeiter ein bestimmtes Formular unterzeichnen. Das muss auf Papier sein. Warum, das kann Ihnen ein Jurist besser erklären.

Sonst noch was?

Meine persönliche Meinung: Politiker meinen gern, die Bahn bekomme das ohne Geld hin. Aber wer Verbesserungen will, muss investieren. Stattdessen wird politisch entschieden, dass ICEs in kleinen Orten halten müssen, obwohl das nicht nötig wäre.

Der Niederländer Lasse Gerrits ist Professor an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Sein Lehrstuhl beschäftigt sich mit der Steuerung innovativer und komplexer technischer Systeme. (Foto: privat)

Macht die Bahn auch etwas gut?

Viele Mitarbeiter sind extrem erfahren. Die brauchen keinen Notfallplan, um zu wissen, wie sie eine Störung beheben. Und im Regionalverkehr ist die Pünktlichkeit deutlich besser als im Fernverkehr. Eine Strecke wie Bamberg-Nürnberg ist kürzer und daher überschaubarer. Wenn auch der Fernverkehr mit kürzeren Verbindungen arbeiten würde, müssten die Leute zwar öfter umsteigen - gleichzeitig würde es vieles einfacher machen. Stattdessen schaukeln sich Verspätungen im Fernverkehr auf und greifen auf andere Züge über, weil diese warten müssen.

Laut Ihrer Studie gibt es nicht das eine ideale Störungsmanagement.

Dafür ist gerade das deutsche System zu kompliziert. Man verweist immer gern auf die Schweiz, dass die Eisenbahn dort viel besser sei - dabei hat auch sie ihre Fehler. Das größte Problem Deutschlands ist seine Größe. Allein der Bahnverkehr in Bayern ist schwieriger zu managen als der in ganz Dänemark. So gesehen sind Vergleiche schwierig.

Kann die Bahn trotzdem von anderen Ländern lernen?

Ja, zum Beispiel beim informellen Austausch. Aber es tut sich was. Derzeit wird eine App entwickelt und getestet. Über sie sollen Bahnmitarbeiter künftig schneller Daten miteinander austauschen können. Bei einer Störung brauchen Betriebsleiter Zeit, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Alles, was den Informationsaustausch beschleunigt, hilft.

Es besteht also Hoffnung für die Bahn?

Klar. So schlimm ist es auch nicht.

© SZ vom 15.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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