Scharnagl und der unabhängige Freistaat:Bayern gegen die globalisierte Welt

"Widerstand ist nötig", sagt Wilfried Scharnagl, sonst gehe es mit Bayern bergab. Das CSU-Urgestein zeigt sich bei der Vorstellung seines neuen Buches mehr alterswild als altersmild - zur Freude der ergrauten Parteiprominenz.

Annette Ramelsberger

Alle, alle waren sie gekommen: die Altvorderen und Ergrauten, die einst Glanzvollen und Respektierten. Sie, die früher ganz nah bei ihrem Herrn saßen, hieß der nun Franz Josef Strauß oder Edmund Stoiber. Das halbe bayerische Kabinett hatte sich am Donnerstagabend im Bayerischen Hof in München versammelt - allerdings ein Kabinett aus einer recht fernen Zeit: der frühere Kultusminister Hans Zehetmair, der frühere Finanzminister Kurt Faltlhauser, die Ex-Minister Thomas Goppel, Hermann Leeb und Otmar Bernhard. Und sogar Gerold Tandler, Postwirt zu Altötting und weiland Innen- und Wirtschaftsminister unter Strauß, war nach München gekommen, um Unerhörtem zu lauschen.

Muenchen: Wilfried SCHARNAGL / 'Bayern kannes auch allein'

Mit seinem Plädoyer für ein unabhängiges Bayern ist Wilfried Scharnagl wieder in aller Munde - bei Zeitgenossen aus der Strauß-Ära und bei der Jungen Union.

(Foto: Johannes Simon)

Einer der Ihren hatte es ausgesprochen, klar und unmissverständlich: Sie alle hätten Besseres verdient gehabt. Bayern hätte Besseres verdient gehabt. Nicht diese Abhängigkeit von Berlin. Nicht dieses Aufschauen zu einer preußischen Kanzlerin. Nicht diese Milliardenüberweisungen an Bremen, Berlin, NRW und wie die Hungerleider heißen. Die Geschichte Bayerns hätte schöner, besser, glanzvoller sein können - wenn, ja wenn nicht im Jahre 1871 diese fatale Entscheidung gefallen wäre, dass Bayern dem Deutschen Reich beitritt.

Seitdem geht's bergab, sagt Wilfried Scharnagl, 73, Buchautor und jahrzehntelang Vordenker der CSU, Intimus und Alter Ego von Franz Josef Strauß. Und es wird noch stärker abwärts gehen, jetzt, wo nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch die EU nach dem Wohlstand des Freistaats greift. Es sei denn, die Bayern täten endlich das, was sie schon 1871 hätten tun sollen: dem Deutschen Reich den Rücken kehren. Austreten aus der Bundesrepublik. Sich befreien aus der Transferunion, die nur das Geld der Bayern wolle und sie dafür auch noch mit Hohn und Spott überziehe.

Scharnagl ruft zum Widerstand auf

Natürlich sagt Scharnagl das nicht in so einfachen Worten. Er, der Lateiner, der Historiker, dieses wandelnde Geschichtslexikon, hat das in ein Buch gepackt, das er kühn betitelt: "Bayern kann es auch allein. Plädoyer für den eigenen Staat." Und so abstrus die Idee von der Loslösung Bayerns aus der Bundesrepublik klingt, so sehr wärmen sich die alten CSU-Mannen an dieser Idee. Wie an einem Herdfeuer, das ihnen die kalte politische Gegenwart aus Rettungsschirmen und Länderfinanzausgleich erhellt.

Und Scharnagl ruft ihnen aufmunternd zu: "Appellare necesse est." Das ist Latein und heißt auf gut deutsch: Widerstand ist nötig. Aber das klänge in den Ohren der CSU-Herren zu sehr nach Wackersdorf und Wendland. So ein bisschen Latein beruhigt dann auch den Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Karl Huber, auch wenn Scharnagl kurz darauf anregt, mal eben das Geld für den Länderfinanzausgleich nicht mehr zu zahlen. "Dann soll man mal sehen, was passiert. Dann soll die Kanzlerin die Bundestruppen schicken - aber die wenigen Einsatzfähigen sind ja in Afghanistan."

Scharnagl war 24 Jahre lang Chefredakteur des Parteiblatts Bayernkurier. Er löschte jedes liberale Aufflackern in seiner Partei mit einem verbalen Wasserschwall. Er vergalt jedes kritische Wort dreifach, das sich einer gegen seinen Strauß zu führen wagte. Er ist Edmund Stoiber noch immer gram, der sich nach der Amigo-Affäre von FJS losgesagt hatte. Scharnagl ist der Lordsiegelbewahrer der Konservativen und er erfährt - obwohl seit 2001 nicht mehr in Amt und Würden - erstaunlichen Zuspruch in der Partei.

Alterswild statt altersmild

Vor allem die Jungen wollen das Urgestein sehen, das einst noch Seit an Seit mit Strauß schritt. Und Scharnagl kommt zum Parteinachwuchs, er lässt sich nicht bitten: Fährt nach Franken und Schwaben, sogar nach Sachsen. Demnächst tritt er in Glauchau auf, irgendwo bei Zwickau. Die Sachsen wollen von ihm wissen: Was sind die Fundamente der Union? Scharnagl wird es ihnen sagen. Er wird über die "Tapferkeit vor dem Freund" sprechen, eine seiner Lieblingsvokabeln, vom "Mut zur klaren Haltung". Und wird mitschwingen lassen, dass er genau die in der CSU vermisst.

Buchpraesentation 'Bayern kann es auch allein'

Die politischen Weggefährten Wilfried Scharnagl und Peter Gauweiler bei der Vorstellung des Buches. 

(Foto: dapd)

Sie holen ihn gern in die Talkshows, diesen Konservativen, der wie aus der Zeit gefallen wirkt, aber nicht auf den Mund. Der virtuos die Kunst der politischen Gemeinheit beherrscht. Alterswild statt altersmild, nennt ihn die Münchner Abendzeitung. Das ist es nicht allein. Scharnagl hat eine Position. Er steht dort, wo die CSU einmal stand, bevor sie von Stoiber windschnittig und von Seehofer wendig gemacht wurde. Wenn man sich mal wieder auf die Grundfesten besinnen will, dann holt man sich Scharnagl.

Der Feind sitzt in Manhattan

Und der holt sich seinen alten Mitkämpfer Gauweiler. Peter Gauweiler, auch er ein Verehrer von Strauß, auch er ein Streiter gegen die Übermacht Europas. Gauweiler versucht es nicht mit der Abspaltung Bayerns vom Bund, sondern mit einer Klage gegen den europäischen Rettungsschirm vor dem Verfassungsgericht. Er lobt plötzlich die Grünen, die auch immer von kleinen Einheiten und überschaubaren Lebensverhältnissen geschwärmt haben. Klein Bayernland gegen die globalisierte Welt. Nicht mehr Moskau ist der Feind, sondern es sind die Banker von Manhattan.

Da lassen sich die Herren nicht von ein paar kritischen Fragen beirren. Wie der Austritt Bayerns aus der Republik denn vonstatten gehen solle, fragt Hans Werner Kilz, der langjährige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung. Warum die CSU denn all die Jahre in Bonn und Berlin bei der Aushöhlung der Länderrechte mitgemacht habe? Ob die Flucht in den Nationalismus wirklich die sozialen Probleme in Europa löse? Da mussten die Herren dann doch passen.

Dafür hat die Bayernpartei Scharnagl gelobt. "Ausgerechnet Sie, der Sie zusammen mit Franz-Josef Strauß die Bayernpartei bis aufs Messer bekämpft haben, machen sich jetzt die Hauptforderung der Bayernpartei zu eigen", schreibt ihr Vorsitzender. Gerne könne Scharnagl beitreten.

Nicht überall ist die Reaktion so euphorisch. Auf der Homepage der JU Miesbach entspann sich folgender Dialog:

"typischer Sommerlochartikel, so was darf man nicht ernst nehmen. Die Idee ist nämlich ziemlich unsinnig..."

"Der altgediente scharnagl schreibt doch kein sommerloch-buch, der wird sich schon was dabei gedacht haben."

"Ein ganzes Buch darüber macht die Idee nicht unbedingt besser..."

Die Junge Union ist eben auch nicht mehr so wild, wie sie zu FJS' Zeiten war.

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