Schafkopfen neu entdeckt:Wenn Uli Hoeneß die Oide sucht

Schafkopfen neu entdeckt: Über eine künstliche Intelligenz würde sich manch einer beim Kartenspielen freuen. In dem Experiment war die angebliche KI aber ziemlich dumm - trotzdem verließen sich die Probanden auf sie.

Über eine künstliche Intelligenz würde sich manch einer beim Kartenspielen freuen. In dem Experiment war die angebliche KI aber ziemlich dumm - trotzdem verließen sich die Probanden auf sie.

(Foto: Claus Schunk/LKS)

Das Schafkopfen kehrt in die bayerische Kultur zurück: Es erfordert Schläue, Kombinationsgabe und ein wenig Hinterfotzigkeit. In zahlreichen Wirtshäusern wird die Tradition wieder zunehmend gepflegt. Auch Prominente spielen es gerne.

Von Udo Watter

Aus traditioneller Sicht gehört zum Genius Loci eines bayerischen Wirtshauses die Schafkopfrunde. Wie könnte man der Gemütlichkeit virtuoser huldigen, seine Zeit am Stammtisch sinnvoller verprassen als in Gesellschaft von drei Spielpartnern, Bier und einem bayerischen Blatt? Als Kulturgut hat es seinen festen Platz in der stammeseigenen Folklore, manche Leute behaupten sogar, in ihm spiegle sich die hiesige Mentalität besonders gut wider. Es fordert Kombinationsgabe, Schläue - und auch eine gewisse Hinterfotzigkeit. Und dass Ober und Unter den König schlagen, könnte man auch als Symbol für die stammestypische Widerborstigkeit gegen die Großkopferten deuten.

Allerdings hat sich in jüngerer Zeit nicht ganz zu Unrecht der Eindruck aufgedrängt, mit dem Karteln verhalte es sich ähnlich wie mit dem Dialekt: Der Rückgang ist unaufhaltsam, gerade in der Landeshauptstadt. Besonders die zunehmende Tendenz der Wirte, das Schafkopfen in ihren Räumen zu untersagen, schien Kulturpessimisten in vergangenen Dekaden immer wieder zu bestätigen. Aber halt: Während es beim Dialekt für das junge München wohl wirklich zu spät ist, wäre es verkehrt, einen Abgesang auf das Schafkopfen anzustimmen. Im Gegenteil, sagt der Münchner Adam Merschbacher, Autor des Buches "Schafkopf - Das anspruchsvolle Kartenspiel": "In den meisten Wirtschaften ist das überhaupt kein Problem. Man muss nur aufeinander zugehen, miteinander reden, und die Spieler sollen sich anständig benehmen."

Merschbacher, 59, gründete 2004 mit ein paar Gesinnungsgenossen den Verein "Münchner Schafkopfschule" - es war damals in der Tat eine Reaktion auf die Befürchtung, Schafkopfer würden zunehmend im öffentlichen Raum ausgebremst. Hinzu kam die Vermutung, die bayerischen Teenager erachteten es nicht mehr als unerlässliches Kapitel ihrer Jugend, das landestypische Kartenspiel zu erlernen. "Wir haben gesagt: Schafkopfen ist ein Kulturgut. Wir müssen was unternehmen", erklärt Merschbacher. Kurse geben, mit den Wirten über eine Koexistenz reden, verlässliche Regeln aufstellen, Turniere organisieren - sie engagierten sich, und sie hatten Erfolg. Wenn Merschbacher mit anderen Mitgliedern der "Schafkopfschule" 2014 Zehnjähriges feiert, wird er das Gefühl haben, Protagonist und Zeuge einer kleinen Trendwende gewesen zu sein.

Zwar gibt es immer noch Wirte, die keine Schafkopfer in ihren Lokalen wollen, weil diese zu wenig konsumierten oder durch deftiges Vokabular oder kräftiges Kartengeschmetter auffielen. Aber es gibt auch gegenteilige Fälle: Auf der Homepage der "Münchner Schafkopfschule", die seit 2007 auch offiziell für die Reglementierung bei Turnieren verantwortlich zeichnet, finden sich jede Menge Münchner Gasthäuser und Kneipen, in denen Schafkopfen erlaubt ist: "Die melden sich oft von sich aus", erklärt Merschbacher.

Eine Frage der Tradition

Auf der Liste sind Klassiker wie das Hofbräuhaus, der Hofbräukeller (Schwemme), die Pschorr Stuben, der Löwenbräukeller oder das Wirtshaus im Fraunhofer, aber auch Kneipen wie das Vivo oder das Klenze 17. Auch Frank-Ulrich John, Pressesprecher des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, unterstreicht diese Entwicklung: "Wir haben den Eindruck, das hat sich in den vergangenen Jahren entspannt. Wie immer, wenn eine Tradition in Gefahr ist, besinnt man sich, und es wird wieder besser." Freilich liege es im Ermessen des Wirtes, ob das Schafkopfen ins Ambiente passe und zur Philosophie des Hauses, etwa eines Speiselokals in der Innenstadt.

Schafkopfen

Sitzen lange und machen wenig Zeche: Kartenspieler sind bei Wirten nicht unbedingt die beliebtesten Gäste.

(Foto: Catherina Hess)

Was den Nachwuchs angeht, haben sich die Untergangsprophetien wohl ebenfalls als verfrüht erwiesen. Zwar kam vor einigen Jahren der Bürgermeister von Breitenbrunn im Altmühltal dadurch in die Schlagzeilen, dass er Schafkopfseminare mit der Begründung gab: "Die jungen Leut können nimmer g'scheit spielen." Aber der Wille zum Lernen ist ja andererseits der erste Weg zur Besserung. An Volkshochschulen sind Schafkopfkurse keine Seltenheit, und die Seminare der "Münchner Schafkopfschule" sind stets ausverkauft.

"Und da sind bis zu 50 Prozent Frauen dabei", erklärt Merschbacher. Seinen Schätzungen nach spielen zwischen zwei und drei Millionen Menschen in Bayern Schafkopf, darunter eben auch Frauen und Jugendliche. Zahlreiche dieser Spieler sagen ihr Grün-Solo oder ihren Wenz regelmäßig im Internet an - die Website Sauspiel.de hat rund 280 000 Mitglieder. Zudem gibt es viele Turniere im Freistaat, sogar Weltmeisterschaften oder Schafkopfreisen durch Europa und in die USA.

Kartenspielen als Strategietraining

Zudem ist das Spiel quer durch alle Schichten beliebt. Prominenter Schafkopfer ist etwa Uli Hoeneß, wenn auch laut Karl-Heinz Rummenigge nicht unbedingt der erfolgreichste: "Sein Geld gibt er fürs Verlieren beim Schafkopfen aus", verkündete er bei seiner Rede zum 60. Geburtstag von Hoeneß. Dessen Pendant von den Blauen, 1860-Präsident Dieter Schneider, sucht ebenfalls gerne mal die Oide (Eichel-Sau) oder die Kugelbauer Theres (Schellen-Sau). Vom Focus-Herausgeber Helmut Marktwort heißt es, er soll Angela Merkel einmal darauf hingewiesen haben, sie solle es auch mit Schafkopf probieren: Weil sie dann sehe, wie leicht man Koalitionen schmieden könne - eine Anspielung auf das Rufspiel, bei dem man als Spieler sich seinen Partner wählt, ohne zunächst zu wissen, mit wem man zusammengehört.

Schafkopfen

Schafkopfen in der Stadthalle Germering.

(Foto: Johannes Simon)

Bei aller Freude über dieses offenbar stabile Hoch: So omnipräsent und stilprägend wie früher ist das Schafkopfen für die bayerische Gesellschaft nicht mehr. Es gibt zwar noch viele Turniere - in den Sportvereinen oder bei der Freiwilligen Feuerwehr -, aber wenn das einzige Dorfwirtshaus am flachen Land schließen muss, dann fehlt eben die adäquate Bühne.

Man kann natürlich auch die üblichen digitalen Verführungen erwähnen, welche das Leben der Jugendlichen zunehmend bestimmen. Auch das Rauchverbot schmeckt so manchem Kartenfreund nicht. Wiesnwirt Wiggerl Hagn, selbst passionierter Schafkopfer, glaubt, dass die vermeintliche Renaissance eher dem Zeitgeist, der Sehnsucht nach Regionalität à la "Dahoam is dahoam" geschuldet sei. "Es gibt ja jetzt wieder so eine Hinwendung zum Bayerischen. Aber es ist nicht mehr so wie früher. Das ist teilweise nur Kolorit." In seiner ehemaligen Wirtschaft Unionsbräu in Haidhausen hat Hagn, der momentan ein neues Lokal im Englischen Garten bezieht, das Spiel erlaubt.

Aber er könne Kollegen schon verstehen, die dagegen seien. "Es wird deutlich weniger konsumiert. Der Wirt ist da schon auch Sponsor." Er selber kommt nicht mehr oft zum Karteln, aber die Liebe zum Spiel brennt immer noch: "Zum einen brauchst du einen klugen Kopf und Raffinesse. Und zum anderen geht es dabei auch um Kommunikation. Und um Gemütlichkeit."

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