Schädling im Vormarsch:Obstbäume in Gefahr

Im Raum Rosenheim breitet sich der asiatische Moschusbockkäfer aus. Die Behörden haben deshalb zwei große Quarantänezonen verhängt

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Die Stadt Rosenheim steht nahezu komplett unter Quarantäne, das benachbarte Kolbermoor ebenso. Die entsprechende Verfügung des örtlichen Amts für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten betrifft die zusammen knapp 80 000 Einwohner allerdings nur indirekt, sondern in erster Linie alle ihre Obstbäume wie Pflaume, Zwetschge, Kirsche, Kriecherl, Mirabelle, Aprikose oder Pfirsich. Diese Bäume müssen vorerst bis Ende 2020 alle zwei Monate auf Spuren des Asiatischen Moschusbockkäfers untersucht und bei einschlägigen Symptomen sofort gefällt, gehäckselt, verpackt und in der Rosenheimer Müllverbrennungsanlage vernichtet werden. Ihr Holz darf nur nach vorheriger Genehmigung transportiert werden. Damit wollen die Behörden verhindern, dass sich der exotische Obstschädling von seiner ersten Fundstelle in Deutschland weiter ausbreitet.

Den Nachweis, der für so eine Verfügung nötig ist, haben die Experten der Landesanstalt für Landwirtschaft nun per DNA-Untersuchung von Käferlarven aus zwei Bäumen geführt. Ein Baum geriet im vergangenen Juni in Rosenheim in Verdacht, einer im Oktober in Kolbermoor. Um beiden Bäume haben die Behörden nun jeweils einen Zwei-Kilometer-Kreis als Quarantänezone gezogen, denn einen größeren Aktionsradius trauen Experten den eher flugfaulen Käfern kaum zu. In den beiden Zonen liegen Tausende Hausgärten, einige Waldstücke und viele öffentliche Parkflächen und Grünstreifen. Überall dort müssen die Bäume auf Bohrlöcher, Eiablagestellen, Rindenschäden, Nagespäne und natürlich auf die Käfer selbst untersucht werden. Dazu verpflichtet die Verfügung alle privaten Gartenbesitzer, die dazu auch Behördenmitarbeiter auf ihre Grundstücke lassen müssen. Das Rosenheimer Landwirtschaftsamt hat mehrere Mitarbeiter dafür abgestellt, die Landesanstalt will eigens drei Leute einstellen.

Schädling im Vormarsch: Der Moschusbockkäfer ist eine gefährliche Schönheit. Er befällt Obstbäume und richtet damit große Schäden an. Die Behörden versuchen seine Ausbreitung in Europa zu stoppen.

Der Moschusbockkäfer ist eine gefährliche Schönheit. Er befällt Obstbäume und richtet damit große Schäden an. Die Behörden versuchen seine Ausbreitung in Europa zu stoppen.

(Foto: LfL)

Grund für die drastische Reaktion ist die Sorge, dass der vermutlich in Palettenholz oder importierten Bäumchen eingeschleppte Käfer im schlimmsten Fall großflächig Steinobstbäume vernichten könnte, indem er sie durch die Fraßgänge vieler Larvengenerationen tödlich schwächt. Das deutschlandweit für den Schutz von Kulturpflanzen maßgebliche Julius-Kühn-Institut hat das Risiko im Jahr 2012 als hoch eingestuft - schon damals wegen eines Käferfunds in Kolbermoor. Der lackschwarze Käfer mit dem roten Halsschild zwischen dem vordersten Beinpaar sieht durchaus attraktiv aus: Ohne seine gewaltigen Fühler ist er etwa drei Zentimeter lang. Er treibt sich nicht erst seit dem amtlich gültigen DNA-Nachweis im Raum Rosenheim herum - und womöglich unerkannt auch längst anderswo. Karin Krause vom Landwirtschaftsamt Rosenheim spricht von knapp 30 Bäumen mit Käferspuren und schließt aus den Fraßbildern, dass hier schon mehrere Käfergenerationen am Werk waren - und jede Generation lebt zwei bis drei Jahre als Larve im Baum. In Europa sei der Asiatische Moschusbock sonst nur in zwei Regionen in Italien nachgewiesen: In der Lombardei und in Kampanien um Neapel, wo im November eine erste Aprikosenplantage gerodet worden sei, um die weitere Ausbreitung des Käfers zu verhindern. Vor ähnlichem wollen die Behörde die heimischen Obstbäume und auch die großen Obstbaugebiete etwa in Franken und am Bodensee bewahren.

Für den emeritierten Professor Ernst-Gerhard Burmeister von der zoologischen Staatssammlung in München wäre eine Rodung wie in Neapel geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie Behörden den großflächigen Schaden erst selbst herbeiführen, den sie eigentlich abwenden wollen. Dem Insektenforscher Burmeister ist die wissenschaftliche Ehre zuteil geworden, als erster den Fund eines Asiatischen Moschusbockkäfers in Deutschland beschrieben zu haben. Die Mieterin eines Hauses in Kolbermoor habe im Sommer 2011 ein Exemplar in die Zoologische Staatssammlung gebracht, sagt Burmeister. Er hat den Fund dann im Nachrichtenblatt der bayerischen Entomologen beschrieben, und das wird offenbar auch in Ämtern gelesen.

Schädling im Vormarsch: Ein typisches Schadensbild: Der Käfer bohrt tiefe Gänge und bringt Bäume so zum Absterben.

Ein typisches Schadensbild: Der Käfer bohrt tiefe Gänge und bringt Bäume so zum Absterben.

(Foto: Karin Krause/oh)

Die Landesanstalt für Landwirtschaft habe ihn dann jedenfalls massiv unter Druck gesetzt und ihm sogar ein Ordnungsgeld in fünfstelliger Höhe angedroht, damit er den genauen Fundort verrate, sagt Burmeister. Nachdem er sich geweigert habe, mussten Mitarbeiter der Behörde mit dem Foto aus Burmeisters Entomologenblatt Kolbermoor durchkämmen, um diesen Pflaumenbaum mit der Tellerschaukel und dem Nistkasten zu finden. Ehe er auf Kosten des Hauseigentümers gefällt, gehäckselt und verbrannt werden konnte, habe ihn aber jemand selbst umgesägt und weggeschafft, sagt Burmeister, und Karin Krause vom Landwirtschaftsamt bestätigt seine Angaben. Uneins sind beide aber in der Bewertung dieser Vorgeschichte und der Gefahr, die vom Käfer ausgeht. Burmeister sagt, die Ausbreitung eingewanderter Arten sei nichts Neues und auch kaum zu verhindern. Der Insektenforscher verweist auf die Miniermotte, die auch nicht alle Kastanien umgebracht habe. "Für uns ist das ein tolles Tier", sagt Burmeister über den Asiatischen Moschusbock. Für einen Schädling hält er den ebenso wenig wie den grünlich-kupferfarbenen einheimischen Moschusbock, der gewöhnlich in Weidenholz lebt.

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