Schäden im Bayerischen Wald:"I hab koa Freud mehr, am liabsten daad i davonlaufen"

Sturmschaden im Landkreis Passau

Ordnung im Chaos: Im Bayerischen Wald summieren sich die kaputten Bäume auf 2,3 Millionen Festmeter. Für die Waldbesitzer ist jetzt am wichtigsten, wenigstens die Reste zu retten.

(Foto: Armin Weigel)
  • Ein Orkan hat vor drei Wochen in Teilen des Bayerischen Walds gewütet.
  • Böen rasten mit Tempo 130 über das Land und zerstörten etwa 10 000 Hektar Wald.
  • Die kaputten Bäume summieren sich auf 2,3 Millionen Festmeter, die jetzt aufgeräumt und verkauft werden müssen.

Von Christian Sebald, Salzweg

Aus der Luft sieht das Chaos schon ganz aufgeräumt aus. Bis vor drei Wochen stand hier ein dichter Fichtenwald. Jetzt liegen Unmengen Stammholz säuberlich aufgestapelt auf dem Waldboden. Am hinteren Ende des Geländes ragen noch viele Fichten, die der Orkan Kolle wie Streichhölzer abgebrochen hat, wie knochige Finger in die Luft.

Dort ist ein schwerer Harvester am Werk. Der Ausleger der Holzernte-Maschine umfasst mit seinem klobigen Aggregat einen Fichtentorso nach dem anderen. Jedesmal heult die Motorsäge auf, der Stamm ist sogleich durchtrennt. Keine Minute später hat das Aggregat den Nadelbaum mit seinen scharfen Messern erfasst, in exakt vier Meter lange Stücke zerteilt und auf einem Stapel abgelegt. Der Maschinenführer hat da bereits die nächste Fichte im Visier.

Bei dem Harvester steht Ewald Schätzl, 50, grüne Arbeitshose, roter Pullover, rissige Hände, müder Blick. Schätzl gehört der Wald, oder besser das, was Kolle übrig gelassen hat davon. "Ois is hin, das ganze Holz, die Wege, die paar Bäume, die noch stehen, die holt nächstes Jahr der Borkenkäfer", sagt er in schwerem niederbayerischen Dialekt. "I hab koa Freud mehr, am liabsten daad i davonlaufen."

So wie Schätzl, der mit seiner Familie in Salzweg bei Passau lebt, ergeht es derzeit vielen Menschen im Bayerischen Wald. 6000 Waldbesitzer hat Kolle getroffen, schätzt Johann Gaisbauer vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Passau. Nur 20 Minuten dauerte der Sturm, der vor drei Wochen nächtens über den Bayerischen Wald hinwegfegte. Aber die Böen, die mit Tempo 130 über das Land rasten, zerstörten ungefähr 10 000 Hektar Wald. Die kaputten Bäume summieren sich auf 2,3 Millionen Festmeter. Das ist eine so gigantische Menge, dass man damit eine mehr als zwei Meter hohe und einen Meter dicke Holzmauer von Passau bis nach Bukarest bauen könnte.

Der Wald von Ewald Schätzl ist ungefähr fünf Hektar groß. Er liegt gleich hinter der Hofstelle der Familie. Ewald Schätzl war einst Bauer. Die Kühe hat er aber schon vor etlichen Jahren abgeschafft. Auch die meisten Wiesen und Äcker sind verpachtet. In Schätzls Stall stehen jetzt ein paar Pensionspferde, die er und seine Frau Manuela zusammen mit den Pferden ihrer beiden Töchter nebenher versorgen. Im Hauptberuf arbeitet Schätzl am Passauer Klinikum als Hausmeister.

Aber im Herzen ist Schätzl Bauer geblieben. Der Wald ist sein Ein und Alles. Ob am Feierabend, am Wochenende oder an Feiertagen, Schätzl war immer draußen in seinem Wald. Er hat jungen Bergahorn und Buchen gepflanzt, damit unter den hohen Fichten Laubbäume nachwachsen. Er hat schwache Bäume gefällt, damit die starken mehr Platz haben. Er hat den Borkenkäfer und andere Schädlinge ferngehalten. Und natürlich hat er die Wege in Ordnung gehalten.

Kolle hat Schäden in Millionenhöhe angerichtet

Schätzls Wald war immer tipptop, sagen sie in Salzweg. Auch in diesen Wochen, in denen es nur noch ums Abholzen und Aufräumen geht, ist Schätzl immer draußen. "Er geht früh morgens und kommt erst am Abend heim", sagt seine Frau Manuela. "Seit der Wald kaputt ist, schläft er nicht mehr richtig, er isst kaum was und reden tut er auch nicht viel." Frau Schätzl macht sich große Sorgen um ihren Mann.

Die kaputten Wälder machen die Leute richtig fertig, sagt auch Johann Gaisbauer vom AELF Passau. Das bekomme man auf jeder Informationsveranstaltung zu spüren, die er und die anderen Förster in diesen Wochen für die Sturmopfer zwischen Passau und Neureichenau abhalten. "Hier bei uns im Bayerischen Wald ist der Wald von alters her die Sparkasse der Bauern", sagt Gaisbauer. "Das gilt auch heute noch, selbst wenn viele Waldbesitzer gar keine Bauern mehr sind. Die Leute haben eine ganz enge Verbindung zu ihren Wäldern."

Sturmschaden im Landkreis Passau

Seit der Sturmnacht ist Waldbauer Ewald Schätzl von früh morgens bis spät in den Abend in seinem Wald unterwegs.

(Foto: Armin Weigel)

Der Grund der engen Verbindung: So ein Wald ist das Werk von Generationen. Die Bäume, die der Großvater gepflanzt hat, kann erst der Enkel ernten. Bis auf den Kahlflächen, die Kolle geschlagen hat, wieder ein sattgrüner Wald steht, vergehen wenigstens 70 Jahre. "Klar, dass sich viele nicht raussehen, was aus ihren Wäldern werden soll", sagt Gaisbauer. So niedergeschlagen ist die Stimmung bisweilen auf den Informationsveranstaltungen, dass er und seine Förster mehr als Seelsorger gefragt sind als als Waldexperten.

Natürlich ist auch der materielle Schaden immens. Die Unmengen gesplitterter Baumstämme etwa sind höchstens noch als Papier- oder Bruchholz verwertbar. Die Händler zahlen dafür gerade mal einen bis drei Euro je Festmeter. Bei Schätzl hat dieser Tage ein Lastwagen die ersten 60 Festmeter Bruchholz abgeholt. "Bekommen haben wir dafür gerade mal 180 Euro", sagt sein Frau Manuela.

Und selbst für Baumstämme, die in Ordnung sind, müssen die Waldbesitzer 25 bis 30 Euro Sturmholz-Abschlag je Festmeter akzeptieren. Ansonsten sind die Stämme unverkäuflich. Zwar kann jetzt, drei Wochen nach Kolle, noch niemand die Höhe der Waldschäden genau beziffern. "Aber sie bewegen sich sicher im hohen zweistelligen Millionenbereich", sagt der AELF-Mann Gaisbauer.

Allein in Ewald Schätzls Wald werden der Harvesterfahrer und die drei anderen Forstarbeiter, die dort aufräumen, noch eineinhalb Wochen beschäftigt sein. Dann ziehen sie um in den Nachbarwald, den Kolle nicht minder übel zugerichtet hat. "Bis Herbst 2018", sagt der Forstmann Gaisbauer, "werden die Aufräumarbeiten in der Sturmregion andauern." Und danach? "Ich werd' meinen Wald wieder aufforsten", sagt Ewald Schätzl und seine Stimme klingt auf einmal bestimmt. "Auch wenn ich es selbst nicht mehr erleb', dass er wieder so dasteht wie vor Kolle."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: