Pfarrkirchen:Die durch die Hölle fahren

Sandbahnrennenn

Die Ränge der Arena sind gefüllt mit alten Matadoren und Schraubern.

(Foto: Beck)

Öl, Staub, Flüche und ein dummer Alkotest: Bei der deutschen Meisterschaft im Sandbahnfahren geht es archaisch zu. Ohne Knochenbrüche läuft ein Rennen selten ab.

Von Hans Kratzer

Über der Rennbahn von Pfarrkirchen flirrt die Luft. Die Sonne brät die Fahrer in ihrer bleischweren Lederkluft. Schon orgeln die Motoren, das Knattern dröhnt weit über das Stadion hinaus. In Pfarrkirchen herrscht Rennfieber. Auf dem tausend Meter langen Rundkurs beginnt die deutsche Meisterschaft im Sandbahnfahren. Gesucht wird der Champion der Seitenwagenklasse, aber die breite Öffentlichkeit wird davon kaum Notiz nehmen. Seitenwagenrennen, ein kurioser Sport, viele wissen gar nicht, dass es ein solches Spektakel überhaupt gibt.

Wenn die Fahrer vor dem Start im Leerlauf nervös den Gashebel hin- und herdrehen, dann vibriert die ganze Umgebung. Unwillkürlich hat man die apokalyptischen Fresken des Actionfilms Mad Max vor Augen - voller Höllenfahrer, Schrottwüsten und Treibstoffjunkies. Auch ein Sandbahnrennen in Pfarrkirchen bietet großes Kino - aber auch kleine Dramen.

Ede Starke, ein Sohn des Ruhrgebiets, kehrt im Fahrerlager den Boden sauber. Ede war auch einmal Rennfahrer, "einmal Benzin im Blut, immer Benzin im Blut", so lautet sein Motto. Um Rennen zu fahren, ist er zu alt, aber eine Maschine besitzt er noch. Diese überlässt er einem Nachwuchsfahrer. Seine Tochter mischt auch mit, als Beifahrerin. Mädchen sind im Seitenwagensport sehr willkommen, die Crew soll ja möglichst leicht sein, weniger Gewicht sorgt für eine rasantere Beschleunigung.

Während eines Rennens gebückt im Beiwagen eines Gespanns zu knien, ist eine Mutprobe ersten Ranges. Früher trugen die Beifahrer den gemütlichen Namen Schmiermaxe. Dabei ist ihr Job alles andere als gemütlich, müssen sie doch bei Tempo 100 im Beiwagen mit waghalsiger Akrobatik dafür sorgen, die schwere Maschine auf der Ideallinie zu halten. Kopf und Körper fliegen nur Zentimeter über der Fahrbahn dahin. Manchmal brennt der Lederanzug durch die Reibung am Boden durch. Vier Runden dauert ein Rennen. Die Maschinen, die keine Bremsen haben, driften Rad an Rad in die Kurven, Fahrer und Beifahrer verrichten Schwerstarbeit.

Die Lokalmatadore aus Pfarrkirchen gelten als unbesiegbar

Ede wirkt niedergeschlagen. 1400 Kilometer wird er seine Maschine mitsamt Werkzeug und Ersatzteilen an diesem Wochenende transportiert haben, vom Ruhrgebiet nach Niederbayern und wieder zurück. Alles umsonst. Ein Alkoholtest kurz vor dem Start hat das Team kalt erwischt. Edes Fahrer hat am Abend zuvor wohl zu lange gefeiert. Im Blut schwimmt ein bisschen Restalkohol, er wird disqualifiziert.

Im Rennen aber geschehen noch mehr Dramen. Neun Gespanne sind am Start, wer nach zehn Rennen die meisten Punkte gesammelt hat, ist Sieger. Markus Venus und Markus Heiß, die Lokalmatadore aus Pfarrkirchen, waren schon drei Mal deutsche Meister, sie gelten als unbesiegbar. Plötzlich knallt es, der hochgetunte Motor von Venus und Heiß hat sein letztes Lebenszeichen von sich gegeben. "Jetzt hods ihn zrissen!", raunt das Publikum, die Meisterschaft ist perdu.

Umso euphorischer rasen die ewigen Zweiten Markus Brandhofer und Tim Scheunemann dem Ziel entgegen. 300 Meter davor platzt aber auch ihr Motor. Die Maschinen sind empfindlicher als die Muskelfasern eines Sprinters. Brandhofers Helfer geben sämtliche Schimpflaute von sich, die seit der Erfindung des Verbrennungsmotors erfunden wurden. Die Lorbeeren ernten nun die Brüder Brandl, Senffabrikanten aus Gangkofen. Sie kommen zum Sieg wie die Jungfrau zum Kinde. Der Senf ist ihr Leben, die Sandbahn ihre Leidenschaft.

Die Ränge der Arena sind gefüllt mit alten Matadoren und Schraubern. Frei nach Loriot lautet ihr Elixier: Ein Leben ohne Rennen ist möglich, aber sinnlos. Am liebsten würden sie selber an die Dezibel-Front eilen, blöd ist nur, dass die Kondition nur noch fürs gescheit Daherreden ausreicht. In der Theorie sind die Recken von damals aber Spitze: "Mensch, da hätt' er doch innen vorbeigehen müssen", schreit einer. Fahrfehler werden gegeißelt: "Du bist aus der Spur, steig doch auf die Vespa um!"

Die Fahrer bleiben unbeeindruckt. Nicht umsonst tragen sie die Insignien der Coolness: Tätowierung, lässig im Mundwinkel hängende Zigarette, eine Dose Red Bull in der Hand, ein letztes Spucken in den Staub, bevor die staubige Mähne zurückgeschlagen und der Helm aufgezogen wird. Das fasziniert die Fans, sie streifen wie ein Wolfsrudel um die Fahrer und ihre Maschinen herum, gierig schnappen sie nach der Boxenluft, die geschwängert ist von den Dämpfen des Methanols, des Öls, der Schmiere.

Freilich, die fast buddhistische Lässigkeit, die ein erfahrener Fahrer wie Matthias Kröger ausstrahlt, lässt allzu leicht die Gefahr vergessen, die am Rennsport haftet. Knochenbrüche gehören zum Alltag. Oft aber geschah viel Schlimmeres - man nahm es hin, denn gerade das Risiko sorgt für den Nervenkitzel, der die Massen elektrisiert, früher noch viel mehr als heute. Beim ersten Sandbahnrennen in Pfarrkirchen im September 1966 säumten 20 000 Zuschauer die Rennbahn.

Sicherheitsauflagen gab es früher nicht

Ähnlich war es auch auf den anderen Strecken in Südbayern, einer klassischen Sandbahnregion. Hier wurden schon nach dem Ersten Weltkrieg Rennen organisiert. Man hatte ja durch die Pferderennen genügend Erfahrung und Leidenschaft aufgebaut. Selbst der Ursprung des Oktoberfests anno 1810 gründet in einem Pferderennen.

Vor 50, 60 Jahren erlebten Sandbahn- und Seitenwagenrennen ihre Blütezeit. Populäre Fahrer wie Rolf Enders waren damals so bekannt wie die Bundesligafußballer. Heute kommen zu einem Rennen in Pfarrkirchen gerade noch 2000 Anhänger.

Der Journalist Teja Fiedler hat am Beispiel von Plattling die prickelnde Rennatmosphäre von früher treffend beschrieben: "Wenn der Lokalmatador Max Reiter, nur Maxe genannt, gegen den Schrecken der Sandbahnen, den Abensberger Gunzenhauser, in die Kurven ging, standen 10 000 Fans dicht gepackt um die Arena und auf dem Eisenbahndamm. Sicherheitsauflagen gab es nicht. Einmal fuhr ein Zug einem Besucher die Beine ab. Das tat der Beliebtheit des Rennens keinen Abbruch."

Auch Pfarrkirchen erlebte auf seiner Sandbahn bittere Stunden. Am 7. September 1968 gab es kurz hintereinander zwei Todesstürze, einer betraf den Lokalmatador Franz Hasenberger, Vater zweier Kinder. Auch 1974 und 1987 starben Fahrer, nachdem sie in die Umgrenzung gerast waren. Heute sind schwere Unfälle selten geworden. Die Maschinen werden stetig besser, die Fahrer immer athletischer. Doch ohne Knochenbrüche geht es selten ab.

In Hertingen ist im vorigen Jahr ein Beifahrer vom Seitenwagen geschleudert und tödlich überfahren worden. Solche Schicksale lassen auch einen Champion wie Markus Venus nicht kalt. "Das hat uns schon zu denken gegeben", sagt er. Eine Woche später war er wieder am Start. "Wenn wir den Helm aufsetzen, wird alles ausgeblendet." Wer sich dem Rennsport verschreibt, darf über den Kick, aber nicht über die möglichen Konsequenzen nachdenken.

Junge Menschen sind kaum noch für diese fast archaische Form des Rennsports zu begeistern. "Ich geb' uns noch zehn Jahre", sagt ein Funktionär des Pfarrkirchener Rennvereins. 50 000 Euro hat der Renntag gekostet, Tonnen von Sand mussten bewegt, riesige Trucks und Traktoren und ein Heer von Helfern mobilisiert werden, es war ein Aufwand wie für ein Mega-Rockkonzert im Stadion. Von der Allgemeinheit wird dieser Einsatz nicht mehr goutiert. Auch Ede Starke macht sich keine Hoffnungen mehr: "Die jungen Leute gehen doch lieber ins Fußballstadion und saufen sich den Arsch voll."

18 Sichtfolien

Sandbahnfahren ist eine staubige Angelegenheit. Nur wer vorne fährt, hat freie Sicht. Die Verfolger bekommen den von den Konkurrenten aufgewirbelten Sand voll aufs Visier. Schnell sind sie blind. Die Helme der Seitenwagenfahrer sind deshalb mit Spezialvisieren ausgestattet. Mithilfe eines in den Mund geführten Schlauchs können sie 18 Mal blasen, woraufhin sich eine frische Folie vor die Augen schiebt. Die Fahrer können den Staub nicht wegwischen, da sie während der Fahrt die Hände nicht vom Lenker nehmen können.

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