Salafist aus Kempten:"Ja, ich bin wieder frei"

Aktenlage

Der Salafist Erhan A. (hier auf dem Cover des Süddeutsche Zeitung Magazin) hadert mit seiner Abschiebung.

(Foto: Matthias Ziegler)

Erhan A., der ausgewiesene Salafist aus Kempten, kann sich in der Türkei frei bewegen - offenbar ohne Aufsicht. Im bayerischen Innenministerium hält man die Ausweisung noch immer für richtig.

Von Sarah Kanning

Für das bayerische Innenministerium ist er ein "hochgefährlicher Mann", saß zwei Wochen lang in Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn. Doch seit dem Wochenende ist Erhan A., militanter Islamist aus Kempten, in gewisser Weise auch wieder ein freier Mann - wenn auch nicht in Deutschland, sondern in der Türkei. Am Freitag hat der 22 Jahre alte Mann Deutschland in Richtung Türkei verlassen müssen, wo er geboren wurde und deren Staatsbürgerschaft er bis heute besitzt. "Wir haben unser Ziel erreicht, ihn möglichst schnell abzuschieben", heißt es aus dem Innenministerium. Und: "In diesem konkreten Fall wäre alles andere absurd gewesen."

Nicht nur die Entscheidung ist umstritten. Alles spricht dafür, dass der junge Mann, der im Interview mit dem SZ-Magazin angekündigt hatte, sogar seine Familie töten zu wollen, falls sie sich gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" stelle, in der Türkei weder in Haft sitzt, noch von den Behörden kontrolliert wird. "Ja, ich bin wieder frei", schreibt Erhan A. bei Facebook. Dort ist er seit seiner Ankunft in der Türkei wieder täglich aktiv.

Sein Anwalt Michael Murat Sertsöz, der am Montag nicht zu erreichen war, sagte Focus online am Wochenende, dass sein Mandant nach der Landung in Ankara kurz von der Polizei befragt worden und dann seinen Familienangehörigen am Flughafen übergeben worden sei. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hatte vor der Abschiebung in einem SZ-Gespräch gesagt, dass man bei einem Land wie der Türkei davon ausgehen könne, "dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden um ihn kümmern". Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer stellte sich hinter Herrmann: "Ich teile die Entscheidung ausdrücklich."

Erhan A. galt als Kopf einer stark dschihadistisch orientierten Salafistenszene in Kempten. Sein Vorgänger, der inzwischen in Syrien gestorben ist, hatte die kleine Gruppe in Kontakt mit radikalen Salafisten gebracht. Im Gespräch mit dem SZ-Magazin hatte Erhan A. großspurig berichtet, schon einmal selbst auf dem Weg nach Syrien gewesen zu sein und es wieder zu versuchen. Man könne ihn nicht aufhalten.

Gerade aus diesem Grund kritisieren beispielsweise die Grünen die Entscheidung des Innenministeriums: Es sei die Frage, sagte Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause am Montag im Landtag, ob der Staat mit der Abschiebung "dem Salafisten noch einen Gefallen tut, dass man ihn quasi vor die Haustür transportiert".

Doch was Erhan A. nun auf Facebook aus der Türkei schreibt, hat einen deutlich anderen Tonfall: "Meine Abschiebung war rechtswidrig, Leute", schreibt er beispielsweise am Samstag. Oder: "Das war mehr 'ne Entführung als eine Abschiebung!" Nach seinen Angaben seien weder er noch seine Familie vorher über den Termin seiner Ausweisung informiert worden. Normalerweise halten sich Abschiebehäftlinge nach Aussage der JVA Mühldorf 20 bis 21 Tage in der JVA auf. Erhan A. beschreibt den 15. Tag seiner Haft folgendermaßen: "Ich steh' morgens auf, bete mein Morgengebet, geh' zu einem albanischen, muslimischen Bruder in sein Zimmer." Da "kam ein Justizvollzugsbeamter und nahm mich mit ins Büro. Dort erhielt ich etwa 40 Seiten, dass ich abgeschoben werde. Ich so: wann? Jetzt dann gleich."

Die Beamten hätten seine Sachen gepackt und ihn zum Flughafen gebracht. Der Eilantrag seines Anwalts, den sofortigen Vollzug auszusetzen, kam offenbar zu spät. "Ich bin weder vorbestraft, noch habe ich einen Konflikt mit den Gesetzen in Deutschland gehabt", schreibt Erhan A. Das Innenministerium reagiert irritiert auf die Vorwürfe. "Der Mann saß in Abschiebehaft, wo ist das Problem?", sagt ein Sprecher. Gegen den sofortigen Abschiebungsbescheid sei einstweiliger Rechtsschutz möglich, "aber offenbar ist sein Anwalt damit nicht durchgedrungen". Von einer überstürzten Ausweisung könne aber keine Rede sein: "Da war alles ganz normal. Es ging aber ja gerade darum, ihn schnell abzuschieben."

A. könne gegen die Ausweisung klagen, das ginge auch aus dem Ausland. "Aber wir haben keine Angst, wir haben richtig gehandelt und sind überzeugt, dass unser Bescheid hier Bestandskraft hat." Wird die Klage abgewiesen, darf A. in den kommenden sieben Jahren nicht nach Deutschland einreisen. Die bayerischen Grünen halten das Vorgehen der CSU für politisch falsch, "weil man sich dem Problem, das wir in der Tat haben, anders stellen muss", wie Margarete Bause sagt. Aus dem Innenministerium heißt es, man sei gerade dabei, Präventionsangebote zu schaffen.

A.'s Anwalt Sertsöz hält es für ausgeschlossen, dass sein Klient den Aufenthalt in der Türkei nutzen könnte, um von dort aus in den Dschihad nach Syrien zu reisen. "Seine Familie wird ihm schon den Kopf zurechtrücken, der geht nicht nach Syrien."

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