Russenmafia in Bayern:Tigran und die Spur des Verbrechens

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Ein Prozess vor der Staatsschutzkammer soll zeigen, wie der Kopf der bayerischen Russenmafia den Heroinhandel kontrollierte.

Stefan Mayr

Der Mann nennt sich Tigran Sarkisjan - und beweist damit, dass er sich für etwas ganz Besonderes hält: Tigran Sakisjan ist der ehemalige Zentralbankchef und jetzige Premierminister der Republik Armenien. Doch der Mann, dem nun vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts München I der Prozess gemacht wird, hat nur den Vornamen mit dem armenischen Regierungschef gemein.

Die Spuren der Russenmafia verteilen sich kreuz und quer über den Freistaat.Zum Vergrößern bitte klicken. (Foto: SZ-Grafik)

Allerdings fühlt auch er sich wie der Chef eines eigenen Reiches - des Reichs, das er und seine Freunde sich in ganz Bayern aufgebaut haben: das Reich der Russenmafia. Bis zu seiner Festnahme im Februar 2008 war der 39-jährige gelernte Restaurator Tigran K. der Kopf der bayerischen Russenmafia. Am Freitag beginnt der Prozess gegen den gebürtigen Armenier und zwei Komplizen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen.

Die Verhandlung wird einen tiefen Einblick gewähren in das brutale System des sogenannten "Heiligen Abschtschjak", auf das sich die Bande bei all ihren Straftaten berief.

Tigran K. hatte mit seiner Bande seit 2001 um die Vorherrschaft über den Heroinhandel im Freistaat gekämpft. Dabei ging er systematisch vor; die Mitangeklagten Reinhold R., 30, und Valentin P., 31, waren seine Statthalter in Regensburg. Von dort überwachten sie den Drogenhandel und die Fälschung von Führerscheinen im Umland. Für den Süden des Freistaats war Thomas F., 31, aus Kaufbeuren verantwortlich. Er wurde bereits zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Ihre Beute mussten die Komplizen stets an Tigran K. ausbezahlen, der von München aus die Fäden zog. Er leitete das Geld im Sinne der Gemeinschaftskasse "Abschtschjak" an arme oder inhaftierte Bandenmitglieder weiter, um deren Familien oder Anwälte zu finanzieren.

Der Rest ging an den legendären Paten Alexander Bor, der in Russland angeblich 30 Banden kontrolliert und Kontakte zur Cosa Nostra in Italien sowie zur Russenmafia in den USA hat. Allein im Februar 2007 soll Tigran K. 40.000 Euro an Bor gezahlt haben.

Einen Polizisten in den Hinterhalt gelockt

Um bayernweit Respekt zu erlangen, schwärmten Tigran Ks. Untertanen regelmäßig zu brutalen Erpresserbesuchen oder Bestrafungsaktionen aus. "Der Einfluss geht bis in die Justizvollzugsanstalten", sagt ein Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA). Als Beispiel nennt er die Messerstecherei in der JVA Straubing im Oktober, bei der ein Häftling starb.

Auch den Übergriff von Silvester 2006 in Ingolstadt, bei der ein Polizist vor einer Diskothek in einen Hinterhalt gelockt und krankenhausreif geschlagen wurde, ordnet das LKA dem Umfeld des Russen-Paten zu.

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Kempten wirft allein dem Rädelsführer 60 Einzeltaten vor. Darüber hinaus sollen die Mitbeschuldigten Valentin P. und Reinhold R. weitere Taten begangen haben, die ihr Chef befahl oder von denen er wusste. Der Hauptanklagepunkt gegen das Trio lautet Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dahinter verbergen sich über 200 Einzeldelikte - Drogenhandel, Diebstahl, Geld- und Urkundenfälschung sowie räuberische Erpressung.

In einem Fall griffen Tigran und seine Komplizen sogar zu einer Kalaschnikow: In der Nacht zum 13. September 2007 besuchten sie einen Bekannten in Traunreut, um von ihm Geld zu erpressen. Weil der Mann telefonische Drohungen ignoriert hatte, hielt ihm Valentin P. die vollautomatische Waffe vors Gesicht. Derart eingeschüchtert zahlte der Bedrohte sofort und reichlich.

Im Oktober 2006 um drei Uhr nachts klingelte Tigran K. mit vier Komplizen in Türkheim (Landkreis Unterallgäu) zwei Drogenhändler aus dem Bett. Den Dealern wurde klargemacht, dass sie künftig ihr Heroin bei Ks. Freunden kaufen müssten - für 40 Euro pro Gramm. Gäbe es Probleme, würden K. und seine Leute das ähnlich lösen wie 2002 in Augsburg. Damit spielten sie auf eine Geiselnahme an, bei der ein widerspenstiger Dealer auf offener Straße in ein Auto gezerrt und massiv misshandelt wurde. Das Opfer überlebte, bei der Geldübergabe wurden fast alle Täter festgenommen.

Bei vielen weiteren Schutzgelderpressungen genügte es dem Trio, den Namen ihres Paten zu nennen: Alexander Bor. Diese zwei Wörter haben ein Drohpotential, das wohl nur eine Kalaschnikow übertreffen kann. "Dieser Name ist seit 1991 ein Mythos", sagt der LKA-Ermittler. Im September 1991 hatte Alexander Bor auf dem Parkplatz des Ungererbades in München seinen Mafia-Konkurrenten Efim Laskin ("der schöne Zar") erstochen und verbluten lassen.

Die Gerichtsverhandlung gegen Bor fand damals aus Sicherheitsgründen im Gefängnis München-Stadelheim statt. Der heute 54-Jährige wurde wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Damals wurde auf den ermittelnden Kriminalbeamten und den Staatsanwalt angeblich ein Kopfgeld von jeweils 100.000 Euro ausgesetzt. Beide wurden jahrelang rund um die Uhr bewacht. Bor ist auch der Grund, warum beim Prozessauftakt am Freitag die Sicherheit verstärkt wird - und warum die Staatsanwälte nicht namentlich genannt werden wollen.

Casting für Erpresser

Im Revisionsprozess 2004 wurde Bor zu 13 Jahren Haft verurteilt, 2006 wurde er nach Russland ausgewiesen - versehen mit einem Rückkehrverbot. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, seinen internationalen Einfluss auszuüben. Sein erster Ansprechpartner in Bayern ist Tigran K. Er ist 2001 zu Bors Nachfolger aufgestiegen - zwei Jahre, nachdem dieser verhaftet worden war. Zuletzt bemühte sich Tigran K. sehr um Nachwuchskräfte. Im Sommer 2007 organisierte er in der Münchner Verdistraße sogar eine Art Casting, bei dem er jungen Kandidaten aus Russland und Armenien die Prinzipien des "Abschtschjak" erklärte.

Im Februar 2008 wurde K. auf der Autobahnraststätte Augsburg-Ost festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Das Gericht hat zwölf Verhandlungstage anberaumt, mit dem Urteil wird im Januar 2009 gerechnet. Bis dahin wird die Vereinigung ihr Nachwuchsproblem aller Voraussicht nach gelöst haben: "Die Rekrutierung funktioniert gerade in den JVAs sehr gut", sagt der Ermittler aus dem LKA. Vielen Bandenmitgliedern diene das Gefängnis sogar als Sprungbrett in der Mafia-Hierarchie. "So mancher Häftling kehrt gestärkt in die Freiheit zurück."

© SZ vom 13.11.2008/sekr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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